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Trump-Wör­ter­buch #71: Die Debat­te der Zwei­ten Riege

Sinn und Unsinn von TV-Wahl-Debat­ten hat­ten wir schon erwähnt. Und was die­se hier anbe­langt: Nie­mand hat­te viel erwar­tet von die­sem Duell, ent­spre­chend scheint auch nie­mand ent­täuscht gewe­sen zu sein. Und unterm Strich schei­nen sogar bei­de pro­fi­tiert zu haben. Die Ame­ri­ka­ner haben bei­de bes­ser ken­nen­ge­lernt. Aber dass die­ser Schlag­ab­tausch Ein­fluss auf das Wahl­er­geb­nis haben wird, davon geht nie­mand aus. Rela­tiv sicher ist wohl nur, dass man von einem der bei­den nach der Wahl nicht mehr viel hören wird. Aber mal von Spe­ku­la­tio­nen abge­se­hen: bei­de ste­hen bei ihren Wäh­lern bes­ser da als zuvor. Und nie­mand konn­te über­se­hen, dass die bei­den sich der­art zivi­li­siert strit­ten, dass man sich fra­gen muss, ob sie sich nicht, hät­ten sie nicht die Gat­tin­nen dabei gehabt, anschlie­ßend abge­seilt hät­ten, um zusam­men einen auf die Lam­pe zu gießen.

Die TV-Debat­te der Vize-Kan­di­da­ten hat noch nie eine Rol­le gespielt. Aber die­se Wahl ist nun mal anders als jede ande­re, also wer weiß. Las­sen wir Mut­ma­ßun­gen hier mal außen vor. Zunächst ein­mal scheint Ame­ri­ka sich dar­über einig zu sein, dass hier zwei Leu­te debat­tiert haben, die sich mit per­sön­li­chen Angrif­fen zurück­hiel­ten und tat­säch­lich über Poli­tik zu reden ver­such­ten.1 Mit den übli­chen Aus­weich­ma­nö­vern, aber dazu kom­men wir gleich. Im Prin­zip ging es um die Sache. Und das zivi­li­siert bis kum­pel­haft. Ent­spre­chend fie­len die Kom­men­ta­re von Mode­ra­to­ren aus der Come­di­an-Rie­ge aus – »stink­lang­wei­lig« befan­den die.2 Nur ein­mal wur­de die Debat­te so hit­zig, dass man ihnen die Mikros aus­schal­ten zu müs­sen mein­te. Der Ver­ant­wort­li­che? Drei­mal dür­fen Sie raten. J.D. Van­ce fühl­te sich bemü­ßigt, über sei­ne Rede­zeit hin­aus etwas klar­zu­stel­len. Aber alles in allem gaben die bei­den sich als Fami­li­en­vä­ter, alte Nach­barn aus dem Mit­tel­wes­ten, die sich über den Gar­ten­zaun hin­weg dar­über strei­ten, wem das Laub oder die Pflau­men auf bei­der Rasen gehören.

Wer hat das Duell gewon­nen? Das ist so unklar wie alles bei die­ser gan­zen ver­ma­le­dei­ten Wahl. Laut einer CBS-Umfra­ge unmit­tel­bar danach hiel­ten 42 Pro­zent derer, die die Debat­te ver­folgt hat­ten, Van­ce für den Sie­ger, 41 Pro­zent dach­ten, Walz habe gewon­nen, 17 Pro­zent ent­schie­den sich für unent­schie­den. Laut einer CNN-Umfra­ge hat­te für 51 Pro­zent Van­ce die Nase vorn, für 49 Pro­zent Walz.3 Sei’s drum, es ist eine gute Gele­gen­heit, uns eini­ge der bis­her ver­nach­läs­sig­ten Punk­te in den Pro­gram­men bei­der Par­tei­en näher anzu­se­hen, also schau­en wir uns eini­ge die­ser Pos­ten an.

Man begann mit einer Fra­ge zur in eben die­sem Augen­blick eska­lie­ren­den Situa­ti­on im Nahen Osten, die in den USA durch­aus zu den Wahl­kampf­the­men gehört. Steu­er­gel­der, ame­ri­ka­ni­sche Gei­ßeln, ame­ri­ka­ni­sche Sol­da­ten, das sind schon des­halb hei­ße The­men, weil eine zuneh­men­de Zahl von Wäh­lern Ame­ri­kas Enga­ge­ment in der Welt­po­li­tik am liebs­ten ver­rin­gert sähen.4 Kurz gesagt, Demo­kra­ten sind eher dafür, dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten wei­ter­hin eine wich­ti­ge Rol­le in der Welt­po­li­tik spie­len, Repu­bli­ka­ner eher weni­ger.5 Die Fra­ge ist bru­tal in ihrer Direkt­heit: Wür­den Sie, ange­sichts des Umstands, dass Iran bin­nen weni­ger Wochen eine Atom­waf­fe haben könn­te, einen Prä­ven­tiv­schlag Isra­els befürworten?

Tim Walz, furcht­bar ner­vös, ver­has­pelt sich hier wie des Öfte­ren im Lauf der Debat­te, möch­te aber – der Fra­ge aus­wei­chend – sagen, dass a) Hamas am 7. Okto­ber 2023 ange­fan­gen habe und b) Isra­el das Recht haben müs­se, sich zu ver­tei­di­gen. Ange­sichts der Aus­brei­tung Irans und sei­ner Stell­ver­tre­ter­staa­ten sei eine star­ke Füh­rung dort wich­ti­ger denn je; womit er auch die Rol­le der USA in der Regi­on meint. Und für die­se sta­bi­le Füh­rungs­rol­le käme kei­nes­falls ein nun­mehr fast 80-jäh­ri­ger Donald Trump infra­ge, der von ehe­ma­li­gen engen Mit­ar­bei­tern als gefähr­lich bezeich­net wer­de. Sein Stabs­chef John Kel­ly sag­te, ihm sei nie jemand mit mehr Feh­lern unter­ge­kom­men. J.D. Van­ce selbst habe gesagt, der Mann sei für das höchs­te Amt unge­eig­net. Der Treue Ame­ri­kas zu sei­nen Ver­bün­de­ten sei wich­ti­ger denn je, und Trumps Unbe­stän­dig­keit sei da nicht weni­ger kon­tra­pro­duk­tiv als sein Getur­tel mit Putin und Nord­ko­rea. Har­ris zitie­rend sag­te er, die USA wür­den ihre Streit­kräf­te und die Streit­kräf­te ihrer Ver­bün­de­ten schüt­zen, und das wer­de Kon­se­quen­zen haben. Direkt beant­wor­tet er die Fra­ge jedoch letzt­lich nicht.

Van­ce steht die­sem Wischi­wa­schi in nichts nach. Er ver­bringt die Hälf­te sei­ner Zeit mit einem Resü­mee sei­ner bio­gra­phi­schen Hill­bil­ly Elegy und ver­spricht, den ame­ri­ka­ni­schen Traum mit Trump im Wei­ßen Haus wie­der erreich­bar zu machen. Dann nimmt er Trump vor Walz in Schutz: der Ex-Prä­si­dent, den Walz eben als Chao­ten bezeich­net hät­te, habe in Wirk­lich­keit durch wirk­sa­me Abschre­ckung Sta­bi­li­tät in die Welt gebracht hat. Der Iran, von dem der Angriff gegen Isra­el aus­ging, habe dank Biden/Harris über 100 Mil­li­ar­den Dol­lar an zuvor ein­ge­fro­re­nem Mit­teln erhal­ten. Damit hät­ten die Ira­ner Waf­fen gekauft, die jetzt gegen Ame­ri­kas Ver­bün­de­te ein­ge­setzt wür­den. Donald Trump wür­de für Frie­den durch Stär­ke ste­hen; man wür­de die USA wie­der fürch­ten; ihre glo­ba­le Füh­rungs­rol­le wür­de für Sta­bi­li­tät und die Rück­kehr des Frie­dens in der Welt ste­hen. Was den Prä­ven­tiv­schlag gegen den Iran anbe­langt, so sei das Isra­els Ent­schei­dung. Und die USA soll­ten ihre Ver­bün­de­ten unter­stüt­zen, wo immer die­se gegen das Böse kämp­fen. Auch wenn Van­ce direk­ter ant­wor­tet als Walz, ihre Ant­wor­ten lau­fen auf das­sel­be hinaus.

Was die 100-Mil­li­ar­den-Dol­lar-Behaup­tung anbe­langt, so hält Van­ce sich an Trumps Vor­ga­ben. Den bekann­ten Tat­sa­chen ent­spre­chen die frei­lich nicht: Biden hat im Zuge eines Gefan­ge­nen­aus­tauschs dem Iran sechs Mil­li­ar­den ein­ge­fro­re­ner ira­ni­scher Mit­tel zuge­sagt, dann aber nach dem Ter­ror­an­schlag der Hamas erklärt, die Mit­tel in abseh­ba­rer Zeit doch nicht frei­zu­ge­ben. 2015 hat­te man dem Iran die gesam­te Sum­me zuge­sagt, wenn das Land sich an das Atom­ab­kom­men hal­ten wür­de. Das aller­dings kün­dig­te Trump bekannt­lich auf. Der ehe­ma­li­ge israe­li­sche Minis­ter­prä­si­dent Yair Lapid sag­te 2022, das Abkom­men wür­de Tehe­ran jähr­lich 100 Mil­li­ar­den Dol­lar zur Desta­bi­li­sie­rung des Nahen Ostens zur Ver­fü­gung stel­len wür­de. Wie er auf die­se Sum­me kam, ist unklar.6

Van­ce beruft sich dar­auf, dass Trumps Prä­si­dent­schaft – dank Trumps Poli­tik der Stär­ke – der ein­zi­ge Zeit­raum der letz­ten Jahr­zehn­te gewe­sen sei, in dem welt­weit kein grö­ße­rer Kon­flikt aus­ge­bro­chen sei.

Das Letz­te, was wir jetzt brau­chen, ist ein fast 80-jäh­ri­ger Donald Trump mit sei­nem Gere­de über Besucherzahlen. 

– Tim Walz

Was den Kli­ma­wan­del angeht, so sei­en er und Donald Trump, so Van­ce, für sau­be­re Luft und sau­be­res Was­ser, eine sau­be­re­re und siche­re­re Umwelt. Aber das mit den CO2-Emis­sio­nen sähe man bei den Repu­bli­ka­ner eben anders. Selbst wenn man, um des Argu­men­tes wil­len, davon aus­gin­ge, dass sie allein hin­ter dem Kli­ma­wan­del ste­hen, so gäbe es drauf nur eine Ant­wort: so viel ame­ri­ka­ni­sche Pro­duk­ti­on wie mög­lich nach Ame­ri­ka ver­la­gern und so viel Ener­gie wie mög­lich in Ame­ri­ka zu erzeu­gen. War­um? Weil Ame­ri­kas Wirt­schaft die sau­bers­te der Welt sei. Kama­la Har­ris Poli­tik habe zu mehr Ener­gie­er­zeu­gung in Chi­na geführt, zu mehr Pro­duk­ti­on in Über­see, zu mehr Geschäf­ten mit eini­gen der schmut­zigs­ten Tei­le der Welt. Er mei­ne damit die Men­ge an CO2-Emis­sio­nen, die sie pro Ein­heit der Wirt­schafts­leis­tung ver­ur­sa­chen. Wer sau­be­re Luft und sau­be­res Was­ser wol­le, müs­se die Inves­ti­tio­nen in die ame­ri­ka­ni­schen Arbeit­neh­mer und das ame­ri­ka­ni­sche Volk ver­dop­peln. Kama­la Har­ris habe genau das Gegen­teil getan. Das Pro­blem dabei ist, wie bei so vie­lem, was Van­ce sagt, dass es nicht ganz stimmt. So ist es falsch, wenn er behaup­tet, die Wirt­schaft der USA sei die »sau­bers­te der gan­zen Welt« und Chi­nas eine »der dre­ckigs­ten«. Womit er sagen will, dass man nur Arbeits­plät­ze im Her­stel­lungs­sek­tor in die Staa­ten zurück­zu­ho­len braucht, um dem Kli­ma­wan­del (»mal ange­nom­men, der Koh­len­stoff­aus­stoß hät­te was damit zu tun«) zu begeg­nen, was impli­ziert, man kön­ne wei­ter auf Öl udn Gas set­zen. Mal abge­se­hen davon, dass die Bilanz Repu­bli­ka­ni­scher Regie­run­gen, was die Schaf­fung von Arbeits­plät­zen über­haupt angeht jäm­mer­lich ist – seit Ende des Kal­ten Krie­ges gehen von 51 Mil­lio­nen neu geschaf­fe­nen Jobs gera­de mal eine Mil­li­on auf ihr Kon­to, 50 Mil­lio­nen auf das der Demo­kra­ten7 –, ran­gie­ren die USA nach den Mess­wer­ten des SDG‑9 auf Platz 20, Chi­na dage­gen auf Platz 15.8 Die USA ran­gie­ren bei den Treib­haus­ga­sen gleich hin­ter Chi­na auf Platz 2. Auf dem Glo­bal Avera­ge Ener­gy Tran­si­ti­on Index, ein Maß für Leis­tung und Bereit­schaft für den Über­gang zu sau­be­rer Ener­gie, lie­gen die USA auf Platz 19. Laut Envi­ron­men­tal Per­for­mance Index, einem Pro­jekt der Uni­ver­si­tä­ten Yale und Colum­bia, das Län­der anhand von Indi­ka­to­ren wie Kli­ma­schutz, Luft­ver­schmut­zung, Ent­wal­dung und Schutz der bio­lo­gi­schen Viel­falt bewer­tet ran­gie­ren die USA auf Platz 34.9 Der Cli­ma­te Chan­ge Per­for­mance Index (CCPI) setz­te die USA 2024 auf Platz 57 von 63 Län­dern und der EU.10

Donald Trump, so kon­tert Walz, habe den Kli­ma­wan­del wie­der­holt als schlech­ten Scherz bezeich­net und dann gewit­zelt, da gäbe es künf­tig mehr Küs­ten­grund­stü­cke für Inves­ti­tio­nen. Für die Regie­rung Biden/Harris sei der Kli­ma­wan­del so real wie für sei­ne Land­wir­te in Min­ne­so­ta. Und man pro­du­zie­re die­ser Tage nicht nur mehr Erd­gas und mehr Öl denn je, man erzeu­ge auch mehr sau­be­re Ener­gie. Man müs­se sich wei­ter­ent­wi­ckeln, ja, aber immer unter den Vor­zei­chen, dass der Kli­ma­wan­del Rea­li­tät sei. Die USA sei­en auf dem Wege zur Ener­gie-Super­macht, müs­se aber ihre Ein­wir­kung auf die Umwelt redu­zie­ren. Unterm Strich sind sich auch hier bei­de einig, nur eben unter ande­ren Vor­zei­chen. Außer­dem kann man sich des Ver­dachts nicht erweh­ren, dass Van­ce bei die­sem Punkt sei­nen künf­ti­gen Chef nicht mit in Betracht zieht, denn der will ja erklär­ter­ma­ßen nur »boh­ren, boh­ren boh­ren«. Wind­ener­gie töte nur Vögel und Wale, und da ist da ja noch die Sache mit der sau­be­ren Koh­le. Dass Van­ce in die­sem Punkt nicht zu trau­en ist, dar­auf weist die Aus­sa­ge, dass Har­ris, wür­de sie ihre Aus­sa­gen tat­säch­lich glau­ben, mit Trumps Ener­gie­po­li­tik kon­form gehen wür­de. Hat sich nicht Trump aus dem Pari­ser Abkom­men aus­ge­klinkt? Da liegt Walz womög­lich rich­ti­ger, wenn er meint, Trump habe die Chefs der Ölkon­zer­ne nach Mar-a-Lago ein­ge­la­den und gesagt: Gebt mir Geld für mei­nen Wahl­kampf und ihr könnt tun, was ihr wollt.

Was die Grenz­fra­ge anbe­langt, der habe ich ein eige­nes Kapi­tel gewid­met. Die Posi­tio­nen blei­ben, die genann­ten Zah­len sind ent­we­der über- oder unter­trie­ben. So hal­ten sich laut Van­ce bis zu 25 Mil­lio­nen Ille­ga­le in den USA auf, wäh­rend die letz­te ver­füg­ba­re Schät­zung des Minis­te­ri­ums für Hei­mat­schutz im Janu­ar 2022 etwa 11 Mil­lio­nen Men­schen ille­gal in den USA leb­ten, von denen 79% vor Janu­ar 2010 in die Staa­ten gekom­men waren.11 Und aus den 600.000 Rechts­bre­chern aller Art wer­den bei ihm eine run­de Mil­li­on Kri­mi­nel­le. Da sind Park­sün­der dabei! Van­ce poch­te auf har­te Deportationsmaßnahmen.

Walz wärmt das Argu­ment von Har­ris’ Lauf­bahn als Staats­an­wäl­tin ein, in der sie aktiv gegen grenz­über­schrei­ten­de Kri­mi­na­li­tät vor­ge­gan­gen sei. Und dann ver­weist er natür­lich auf das von Trump abge­schos­se­ne über­par­tei­li­che Grenz­ge­setz. Har­ris, so sagt er, wer­de es unter­schrei­ben, sobald es durch den Kon­gress sei. Dass Biden 94 von Trumps Durch­füh­rungs­ver­ord­nun­gen in Bezug auf die Gren­ze gekippt hät­te, was die Gren­ze ein­fach geöff­net hät­te, stimmt auch nicht.12 Eben­so frag­wür­dig ist der Vor­wurf von Walz, Trump habe sei­ne Ver­spre­chun­gen hin­sicht­lich der Gren­ze nicht gehal­ten – er habe gera­de mal zwei Pro­zent sei­ner Mau­er gebaut. Aller­dings ver­gisst er dabei, dass Biden den Mau­er­bau per Durch­füh­rungs­ver­ord­nung hat stop­pen las­sen.13 Van­ce punk­tet, wenn er sagt, dass Har­ris sich um der Wahl wil­len Trumps Grenz­plä­ne zu eigen gemacht habe, was aller­dings außer Acht lässt, dass die Demo­kra­ten Aus­wüch­se wie Mas­sen­de­por­ta­tio­nen und Fami­li­en­tren­nun­gen nach wie vor nicht wollen. 

Van­ce zufol­ge habe man die­se Fami­li­en­tren­nun­gen längst ange­sichts von »320.000 Kin­dern, die der Hei­mat­schutz effek­tiv aus den Augen ver­lo­ren« habe. Wenn man ihn nicht unter­stel­len möch­te, dass er damit die 32.000 Kin­der meint, die laut Hei­mat­schutz zwi­schen 2019 und 2023 ihrem Anhö­rungs­be­scheid nicht Fol­ge leis­te­ten, besteht die Mög­lich­keit, dass er sie mit den 291.000 unbe­glei­tet ins Land gekom­me­nen Kin­dern auf­ad­diert hat, die bis Mai 2024 noch kei­ne Beschei­de bekom­men hat­ten. Die­se Sta­tis­ti­ken spie­geln nicht not­wen­di­ger­wei­se die Zahl ver­miss­ter Kin­der wider. Sie kön­nen laut Minis­te­ri­um aus einer Viel­zahl von Grün­den nicht zum Ter­min erschei­nen sein, schon mal weil die Anschrift auf den Vor­la­dun­gen nicht stimm­te.14
Van­ce selbst weist dar­auf hin, dass es in die­sem Zusam­men­hang nicht ziel­füh­rend sei, Migran­ten mit bewuss­ten Gerüch­ten zu ent­mensch­li­chen und zu ver­leum­den. Er spielt damit auf die Kat­zen-und-Hun­de-Geschich­te und das Ein­ge­ständ­nis sei­nes Geg­ners an, man müs­se sol­che Geschich­ten erfin­den, um das eigent­li­che Pro­blem ins Ram­pen­licht zu rücken.15

Was die Wirt­schaft anbe­langt, so mein­te Van­ce, dass Trumps Wirt­schafts­po­li­tik das höchs­te Ein­kom­men seit einer Gene­ra­ti­on gebracht hat. Was stimmt. Das mitt­le­re Haus­halts­ein­kom­men in den USA erreich­te wäh­rend sei­ner Amts­zeit 2019 ein Rekord­hoch von 68.703 US-Dol­lar, das ist ein Anstieg von 6,8% gegen­über 2018 und damit der höchs­te Wert, den das Land seit Beginn der Auf­zeich­nung der Daten 1967 ver­zeich­net hat. Der Wirt­schafts­rat des Wei­ßen Hau­ses erklär­te den Ein­kom­mens­an­stieg mit der stei­gen­den Zahl der Arbeit­neh­mer im Land: Im Ver­gleich zu 2018 waren 2019 2,2 Mil­lio­nen Men­schen mehr erwerbs­tä­tig, und 1,2 Mil­lio­nen mehr Men­schen arbei­te­ten das gan­ze Jahr über in Voll­zeit.16 Was hier nicht erwähnt wird, ist zum Einen das Ver­mächt­nis von Trumps Staats­ver­schul­dung, die unter sei­ner Füh­rung explo­si­ons­ar­tig – um fast 7,8 Bil­lio­nen Dol­lar – nach oben schoss und die die Nati­on auf Jahr­zehn­te belas­ten wird. Das ent­spricht einer Neu­ver­schul­dung von etwa 23.500 Dol­lar für jeden Ame­ri­ka­ner. Und das begann bereits vor der Pan­de­mie.17 Zum ande­ren fehlt der Hin­weis auf den Han­dels­krieg mit Chi­na, den Trumps Import­zöl­le aus­ge­lös­ten. Einer vom U.S.-China Busi­ness Coun­cil (USCBC) in Auf­trag gege­be­nen Stu­die zufol­ge kos­te­te Trumps Han­dels­po­li­tik die USA 245.000 Arbeits­plät­ze.18 Dar­über hin­aus bescher­te er der USA ein Außen­han­dels­de­fi­zit in nie gekann­ter Höhe. Donald Trump war 2016 als der »gro­ße Deal-Maker« ange­tre­ten und sein ers­ter Deal, »der größ­te Deal aller Zei­ten«, war das Han­dels­ab­kom­men mit Chi­na.19 Unterm Strich, da ist man sich einig, hat der Han­dels­krieg der ame­ri­ka­ni­schen Wirt­schaft erheb­lich gescha­det, ohne die zugrun­de lie­gen­den wirt­schaft­li­chen Pro­ble­me zu lösen, die er eigent­lich lösen soll­te.20 Die von Van­ce pro­pa­gier­te Rück­kehr zum »gesun­den Men­schen­ver­stand« der Regie­rung Trump gibt unter die­sen Vor­zei­chen zu denken. 

Vom Ein­druck her hat­te der bie­de­re Walz nicht wirk­lich eine Chan­ce gegen den aal­glat­ten Van­ce, der im Gegen­satz zu Trump, dem patho­lo­gi­schen Lüg­ner, der kaum weiß, was er so von sich gibt, sei­ne bewuss­ten Lügen aus­ge­zeich­net zu ver­mit­teln mag. Die von der fried­li­chen Amts­über­ga­be am 20. Janu­ar 2024 ist schlicht ein Ham­mer, und doch zuckt er nicht mit einer Wim­per. So unglück­lich Trump selbst mit »sei­ner Wahl« eines Vize sein mag, der Mann hat die Gabe, Trumps Lügen so ele­gant zu brin­gen, sie so gekonnt zu waschen, dass man nur stau­nen kann. Eines ist sicher, die Debat­te zeig­te, dass man durch­aus mit­ein­an­der reden könn­te. Auch wenn der eine auf die Lügen sei­ner Par­tei­li­nie besteht und der ande­re sei­ne »Ver­spre­cher« nicht ein­fach zuge­ben will.

Einer Umfra­ge vor der Debat­te zufol­ge, soll­te sie »eine erheb­li­che Wir­kung« auf zwei Drit­tel der Demo­kra­ten haben, 75 Pro­zent aller Ame­ri­ka­ner wür­den sie sehen.21 Nun, ganz so doll kam es nicht, aber den Niel­sen-Ratings zufol­ge schal­te­ten geschätz­te 43,15 Mil­li­on ein, nicht gezählt die Zuschau­er auf diver­sen Streaming-Plattformen. 

Wie auch immer, bei­de Kan­di­da­ten punk­te­ten bei den Wäh­lern ihrer jewei­li­gen Par­tei. Bei­de waren gescheit genug, nicht ein­an­der, son­dern jeweils den Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten des ande­ren anzu­grei­fen. So konn­te man zivi­li­siert blei­ben, so wie man es von poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen erwar­ten könn­te. Man muss sich fra­gen, was in den Köp­fen von Leu­ten vor­geht, die im Okto­ber 2024 noch immer nicht wis­sen, wel­che Sei­te sie wäh­len wol­len und die­se Debat­te wird wohl kei­nem von ihnen gehol­fen haben.

Anmer­kun­gen

  1. Mark Por­ter, Zoe Law e.a., »VP Deba­te Live: Walz and Van­ce focus on poli­cy over per­so­nal attacks — as it hap­pen­ed«. Reu­ters, 2. Okto­ber 2024. ↩︎
  2. Micha­el Kos­ta, »VP Deba­te: Tim Walz and JD Vance’s Big­gest Moments and Mis­ses«. The Dai­ly Show, 02.10.2024. ↩︎
  3. Andrew Prokop, Dylan Scott, Abdal­lah Fay­yad, and Chris­ti­an Paz, »3 win­ners and 2 losers from the Walz-Van­ce deba­te«. Vox, Oct 2, 2024. ↩︎
  4. Jef­frey M. Jones, »Fewer Ame­ri­cans Want U.S. Taking Major Role in World Affairs«. Gal­lup, March 3, 2023. ↩︎
  5. Bruce Sto­kes, »Public Opi­ni­on: US Enga­ge­ment with the World and the US Elec­tion«. Ger­man Mar­shall Foun­da­ti­on, Sep­tem­ber 19, 2024. ↩︎
  6. Reu­ters, »Fact Check: Walz vs Van­ce deba­te: 12 state­ments exami­ned«. Reu­ters, Octo­ber 2, 2024. ↩︎
  7. Phil­ip Bump, »Bill Clin­ton and the wide gap in job gains by pre­si­den­ti­al par­ty«. August 22, 2024. ↩︎
  8. SDG‑9 Indus­try Tra­cker: United Sta­tes of Ame­ri­ca. ↩︎
  9. Envi­ron­men­tal Per­for­mance Index. ↩︎
  10. CCPI 2024: Ran­king and Results. ↩︎
  11. »Esti­ma­tes of the Unaut­ho­ri­zed Immi­grant Popu­la­ti­on Resi­ding in the United Sta­tes«. Office of Home­land Secu­ri­ty Sta­tis­tics. ↩︎
  12. Tom Nor­ton »Fact Check: Trump’s New Seven Point Attack on Har­ris’ Immi­gra­ti­on Record«. News­week, Aug 30, 2024. ↩︎
  13. Ebda. ↩︎
  14. »Der Umstand, dass das ICE kei­ne Vor­la­dun­gen für Migran­ten­kin­der aus­ge­stellt hat, bedeu­tet nicht, dass die­se Min­der­jäh­ri­gen ver­lo­ren gegan­gen sind – weder buch­stäb­lich noch im Sys­tem. Es bedeu­tet, dass sie noch nicht vor ein Ein­wan­de­rungs­ge­richt gestellt wor­den sind. Das ICE ist im Übri­gen kei­ne Kin­der­schutz­be­hör­de. Für die Betreu­ung und Unter­brin­gung von Migran­ten­kin­dern, die ohne ihre Eltern die US-Gren­ze über­que­ren, ist das Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um zustän­dig, und zwar so lan­ge, bis sie an Spon­so­ren über­ge­ben wer­den oder 18 Jah­re alt wer­den.« Cami­lo Mon­toya-Gal­vez »Mis­lea­ding: Van­ce claims DHS ›has effec­tively lost‹ 320,000 child­ren«. CBS, 2.10.2024. ↩︎
  15. Kit Maher and Chris Boy­et­te, »JD Van­ce defends base­l­ess rumor about Hai­ti­an immi­grants eating pets«. CNN, Sep­tem­ber 15, 2024. ↩︎
  16. Reu­ters, »Fact Check: Walz vs Van­ce deba­te: 12 state­ments exami­ned«. Reu­ters, Octo­ber 2, 2024. ↩︎
  17. Allan Slo­an, Pro­Pu­bli­ca, and Ceza­ry Pod­kul for Pro­Pu­bli­ca, »Donald Trump Built a Natio­nal Debt So Big (Even Befo­re the Pan­de­mic) That It’ll Weigh Down the Eco­no­my for Years«. Pro­Pu­bli­ca, 14 Juni 2024. ↩︎
  18. Micha­el Pet­tis, »How Trump’s Tariffs Real­ly Affec­ted the U.S. Job Mar­ket«. Car­ne­gie Endow­ment, Janu­ary 28, 2021. ↩︎
  19. Ryan Hass and Abra­ham Den­mark, »More pain than gain: How the US-Chi­na trade war hurt Ame­ri­ca«, Broo­kings, August 7, 2020. ↩︎
  20. Ebda. ↩︎
  21. Ali­c­ja Hag­o­pian, »Van­ce-Walz vice-pre­si­den­ti­al deba­te could chan­ge the cour­se of the elec­tion, polls show«. The Inde­pen­dent, 2.10.2024. ↩︎

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