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Trump-Wör­ter­buch #21: Elec­to­ral Col­lege – Garan­tie für Trumps Sieg?

Ein­mal mehr wird bei der dies­jäh­ri­gen Prä­si­dent­schafts­wahl in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten das abge­nu­del­te Kli­schee von der »wich­tigs­ten Wahl unse­rer Lebens­zeit« stra­pa­ziert. Und wis­sen Sie was? Dies­mal trifft es tat­säch­lich zu. Es ist nicht nur gut mög­lich, son­dern sogar wahr­schein­lich, dass dort ein Mann Prä­si­dent wird, der unge­niert die Besei­ti­gung der Demo­kra­tie nicht nur pro­pa­giert, son­dern sogar bereits den 900-sei­ti­gen Fahr­plan dazu vor­lie­gen hat. Und wer nun denkt, Biden wird das Ren­nen schon machen, weil die Mehr­heit der Ame­ri­ka­ner das schlicht nicht wol­len kann, der ver­gisst dabei eine so ein­zig­ar­ti­ge wie bescheu­er­te klei­ne Beson­der­heit des ame­ri­ka­ni­schen Wahl­sys­tems: das »Elec­to­ral College«. 

Wer es selbst nach Bush/Gore und Trump/Clinton noch nicht gemerkt haben soll­te: der Wil­le der ame­ri­ka­ni­schen Mehr­heit spielt bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len über­haupt kei­ne Rol­le – es zählt ein­zig und allein, wonach einer Mehr­heit in eini­gen weni­gen lau­ni­schen »Swing-Sta­tes« am Wahl­tag der Sinn ste­hen mag. Und da die­se merk­wür­di­ge Ein­rich­tung Trumps Wie­der­wahl nicht nur mög­lich, son­dern sogar wahr­schein­lich macht, sei sie hier noch ein­mal kurz und bün­dig anhand einer Gra­fik erklärt. 

Das Sys­tem der Elec­to­ral Col­leges hat zwei beson­ders schwer­wie­gen­de Folgen. 

1) Die Swing Sta­tes: Auch wenn in der Regel der Kan­di­dat mit den meis­ten Volks­stim­men sich durch­setzt, das bun­des­staat­li­che Prin­zip »Alle Stim­men dem Sie­ger« setzt lan­des­weit die Mehr­heits­wahl außer kraft. Das führ­te fünf­mal in der Geschich­te der Ver­ei­nig­ten Staa­ten dazu, dass nicht der Kan­di­dat mit den meis­ten Wäh­ler­stim­men, son­dern der mit den meis­ten Wahl­män­ner­stim­men Prä­si­dent wur­de, zwei­mal allein in die­sem 21. Jahr­hun­dert. Und ent­schie­den wur­de die Wahl nicht lan­des­weit, son­dern in eini­gen weni­gen »Swing Sta­tes«. Das sind Staa­ten, in denen die Mehr­heit des repu­bli­ka­ni­schen und demo­kra­ti­schen Kan­di­da­ten stets so knapp aus­fällt, dass das Ergeb­nis bei jeder Wahl erneut auf der Kip­pe steht. Sie sind denn auch die Schlacht­fel­der auf denen der Wahl­kampf aus­ge­tra­gen wird. 

Alle Staa­ten, die nicht fest in demo­kra­ti­scher (dun­kel­blau) oder repu­bli­ka­ni­scher Hand (dun­kel­rot) sind, gel­ten als Swing Staa­tes.1 Exper­ten sind sich nicht immer einig dar­über, wel­che Staa­ten zu den Swing Sta­tes zu zäh­len sind. Der Cook Poli­ti­cal Report sieht Ari­zo­na, Flo­ri­da, Michi­gan, Penn­syl­va­nia und Wis­con­sin als sol­che; ande­re wür­den New Hamp­shire, North Caro­li­na und eine Hand­voll ande­rer Staa­ten auf die Lis­te set­zen. Eines jeden­falls ist his­to­risch erwie­sen: der Kan­di­dat, der Flo­ri­da gewann, der wur­de auch Prä­si­dent. Immer.2

2) Die Stim­me man­cher Wäh­ler ist gewich­ti­ger als die ande­rer. Eine wei­te­re Fol­ge des Elec­to­ral-Col­lege-Sys­tems ist der für unse­re Ver­hält­nis­se völ­lig absur­de Umstand, dass die Wäh­ler­stim­men man­cher Bun­des­staa­ten das Mehr­fa­che wert sind als die anderer. 

Neh­men wir zum Bei­spiel Texas, einen Staat mit einer gro­ßen Bevöl­ke­rung, und Ver­mont, einen Staat mit einer sehr klei­nen. Texas hat 36 Ver­tre­ter im Kon­gress, Ver­mont nur einen. Die Abge­ord­ne­ten bei­der Staa­ten ver­tre­ten jeweils in etwa die glei­che Anzahl von Men­schen im Elec­to­ral Col­lege. (Texas: 702.000 / Ver­mont: 630.000) Ein Staat erhält die glei­che Anzahl von Dele­gier­ten wie sei­ne Ver­tre­ter im Kon­gress plus zwei für jeden Sena­tor. Texas hat also 38 Wahl­män­ner­stim­men, Ver­mont hat drei. Die­se Kom­bi­na­ti­on führt jedoch dazu, dass die Anzahl der Per­so­nen, die jeder Dele­gier­te ver­tritt, von Staat zu Staat sehr unter­schied­lich ist. In Texas reprä­sen­tiert ein Wahl­mann (mit 664.000 Wäh­lern) drei­mal so vie­le Men­schen wie einer in Ver­mont (210.000 Wäh­ler). Was die Stim­me jedes ein­zel­nen Wäh­lers in Ver­mont viel ein­fluss­rei­cher macht. 

Drängt sich lang­sam die Fra­ge auf, war­um in den USA so anders gewählt wird als in der übri­gen demo­kra­ti­schen Welt. 

Nun, als die Grün­der­vä­ter sich Ende des 18. Jahr­hun­derts zusam­men­setz­ten, um den von Eng­land befrei­ten Kolo­nien eine Ver­fas­sung zu geben, war erst mal guter Rat teu­er. Man betrat hier Neu­land. Repu­blik gut und schön, aber es gab kei­ne Vor­bil­der dafür. Die Ver­fas­sung, an der man da arbei­te­te, soll­te die ers­te geschrie­be­ne demo­kra­ti­sche Ver­fas­sung der Welt wer­den. Es gab nir­gend­wo vom Volk gewähl­te Füh­rer. Da es kei­ne Vor­bil­der gab, hat­te man Angst vor die­sem neu­en Ding, der Mehr­heits­herr­schaft. Wer woll­te wis­sen, wen die Leu­te wäh­len wür­den, wenn man ein­fach jedem die­ser neu­en Ame­ri­ka­ner eine Stim­me gab? James Madi­son ent­warf ein Sys­tem ähn­lich dem der heu­ti­gen euro­päi­schen par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tien. Aber das lehn­ten die ande­ren eben­so ab, wie die pure Demo­kra­tie einer Direkt­wahl. Das Elec­to­ral Col­lege war also bei die­ser Ent­schei­dung buch­stäb­lich »drit­te Wahl«. Impro­vi­siert, aus dem Ärmel gezau­bert, ein Expe­ri­ment, ein prag­ma­ti­scher Kom­pro­miss. Es galt die drei­zehn Kolo­nien des neu­en Bun­des unter einen Hut zu bekom­men, bevor es zum Streit kam, zum Bruch, zu einem erneu­ten Krieg, dies­mal unter­ein­an­der, und bevor es den Bri­ten oder Fran­zo­sen gelang, ihn zu spal­ten. Das »Wahl­män­ner­kol­le­gi­um« soll­te klei­ne­ren Staa­ten einen gewis­sen Schutz davor gewäh­ren, bei Prä­si­dent­schafts­wahl nicht ein­fach von den grö­ße­ren über­stimmt wer­den. Man räum­te damit, um zu einem Kon­sens zu kom­men, den bevöl­ke­rungs­ar­men Staa­ten in etwa die­sel­be Macht ein wie den bevöl­ke­rungs­rei­chen. Die Ver­fas­sung war damit zwangs­läu­fig ein »unvoll­kom­me­nes« Doku­ment, wie Geor­ge Washing­ton sag­te, das zu ver­bes­sern künf­ti­gen Gene­ra­ti­on oblag.3

Die Unter­zeich­nung der Ver­fas­sung war ein zähes Geran­gel vor allem zwi­schen den Skla­ven­hal­ter-Staa­ten des Südens und dem mehr oder weni­ger skla­ven­frei­en Nor­den. Der Nor­den woll­te, dass nur die freie Bevöl­ke­rung als Basis für die Zahl der Wahl­män­ner die­nen soll­te, und die war dort grö­ßer. So hat­ten die Skla­ven­staa­ten die berech­tig­te Sor­ge, bei den Wah­len stän­dig unter­ge­but­tert zu wer­den. Sie woll­ten, dass auch die (zahl­rei­chen) Skla­ven zur Bevöl­ke­rung zähl­ten, auch wenn die­se natür­lich nicht wäh­len durf­ten. Als Kom­pro­miss einig­te man sich auf eine »Drei-Fünf­tel-Klau­sel«, laut der ein Skla­ve nur zu drei Fünf­teln als Per­son zähl­te. Selbst nach der Befrei­ung der Skla­ven und dem häpp­chen­wei­sen Zuge­ständ­nis des Wahl­rechts an Schwar­ze, ersann man im Süden immer wie­der Mög­lich­kei­ten, Afro-Ame­ri­ka­ner an der Aus­übung des Wahl­rechts zu hin­dern, so dass man wei­ter­hin Wahl­män­ner auf der Basis einer Bevöl­ke­rung stell­te, die gar nicht wäh­len durf­te. Wie auch immer, grö­ße­re wie klei­ner Staa­ten sahen sich durch das Sys­tem gegen die Unwäg­bar­kei­ten des demo­kra­ti­schen Pro­zes­ses abge­si­chert. Man konn­te sei­ne Geschi­cke so erst mal getrost die­ser als Demo­kra­tie bezeich­ne­ten neu­en Erfin­dung anvertrauen. 

Ein erheb­li­ches Pro­blem erwuchs jedoch 1929 aus der Decke­lung der Zahl der Abge­ord­ne­ten im House auf 435.4 Selbst­ver­ständ­lich wuchs die Bevöl­ke­rung trotz die­ser Begren­zung der Abge­ord­ne­ten­zahl natür­lich wei­ter, die Zahl der Abge­ord­ne­ten dage­gen blieb gleich – und damit zwangs­läu­fig auch die Zahl der Wäh­ler. Das ist so absurd, wie es sich anhört. Lang­sam wur­de aus einer eher beschei­de­nen Gewich­tung zuguns­ten der bevöl­ke­rungs­är­me­ren Staa­ten eine immer stär­ke­re Gewich­tung zu deren Guns­ten. »Dies hat die Wahr­schein­lich­keit von Ergeb­nis­sen erhöht, bei denen die Stim­men des Wahl­män­ner­kol­le­gi­ums und die Stim­men der Bevöl­ke­rung nicht über­ein­stim­men.«5

Heu­te haben sich die Staa­ten, denen das Wahl­män­ner-Sys­tem zugu­te kommt, ver­än­dert, aber es macht nach wie vor eini­ge Wäh­ler ein­fluss­rei­cher als ande­re. Wenn wir uns die Staa­ten mit vie­len Wahl­män­ner­stim­men für weni­ge Ein­woh­nern und die Staa­ten mit weni­gen Wahl­män­ner­stim­men für vie­le Ein­woh­ner anse­hen, sind die­se Staa­ten viel wei­ßer und weni­ger divers als der Rest Ame­ri­kas. Und vie­le die­ser Staa­ten sind repu­bli­ka­ni­sche Hoch­bur­gen. [Die Staa­ten rechts] nei­gen dazu, demo­kra­tisch zu wäh­len. Das ist ein Grund dafür, dass die bei­den letz­ten repu­bli­ka­ni­schen Prä­si­den­ten das Wahl­män­ner­kol­le­gi­um gewon­nen haben, ohne die Volks­ab­stim­mung zu gewin­nen. Und da es der­zeit die Demo­kra­ten sind, die durch das Elec­to­ral Col­lege in ers­ter Linie benach­tei­ligt wer­den, sind sie die­je­ni­gen, die dafür ein­tre­ten, es durch eine Direkt­wahl zu ersetzen.

Wie­der­hol­te Ver­su­che, das Elec­to­ral-Col­lege-Sys­tem durch eine Direkt­wahl zu erset­zen, wur­den im Kon­gress stets abge­bü­gelt – von Staa­ten, die von der neu­en Ungleich­heit pro­fi­tie­ren, ver­steht sich. 

Wie auch immer: Ver­ges­sen Sie, was Sie an Wahl­pro­gno­sen aus Ame­ri­ka hören, was zählt, sind die Swing Sta­tes, und die Ergeb­nis­se sind noto­risch schwer zu prognostizieren. 

Das wirk­lich Alar­mie­ren­de am Elec­to­ral-Col­lege-Sys­tem ist aber, dass aus­schließ­lich die Repu­bli­ka­ner davon pro­fi­tie­ren. Einer Ana­ly­se von Cook Poli­ti­cal Report zufol­ge haben die Repu­bli­ka­ner noch nie in einem Maß davon pro­fi­tiert wie im letz­ten Vier­tel­jahr­hun­dert und sie pro­fi­tie­ren heu­te davon mehr denn je. Wäh­rend ein repu­bli­ka­ni­scher Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat nach Wäh­ler­stim­men knapp ver­lie­ren und den­noch eine Mehr­heit im Elec­to­ral Col­lege haben kann, ist das für einen Demo­kra­ten so gut wie unmög­lich.6 Die Demo­kra­ten müss­ten bei den Wäh­ler­stim­men mit min­des­tens drei »rea­lis­ti­scher­wei­se 4« Pro­zent­punk­ten gewin­nen, woll­te ihr Kan­di­dat Prä­si­dent werden. 

Sehen wir den Tat­sa­chen ins Auge: Selbst wenn Biden einen noch grö­ße­ren Vor­sprung an Wäh­ler­stim­men auf sich ver­ei­ni­gen kann als sei­ner­zeit Hil­la­ry Clin­ton, eine Hand­voll Wahl­män­ner weni­ger als Donald Trump, und er – und Ame­ri­ka – ist verratzt. 

Anmer­kun­gen

  1. Das kann sich im Lauf der Geschich­te immer wie­der mal ändern. ↩︎
  2. US Govern­ment, »What Swing Sta­tes Are and Why They’re Important« ↩︎
  3. Frei nach Ste­ven Levits­ky & Dani­el Ziblatt, How Demo­cra­ci­es Die. New York; Crown, 2018. ↩︎
  4. »Why did Con­gress cap the House at 435 seats in 1929?« Quo­ra. ↩︎
  5. Dani­elle Allen, »Our demo­cra­cy is men­aced by two dra­gons. Here’s how to slay them.«. The Washing­ton Post. July 20, 2023. ↩︎
  6. Kathe­ri­ne Fung, »Elec­to­ral Col­lege Bene­fits GOP More Now Than in Last 25 Years: Report«. News­week. Jul 22, 2022. ↩︎

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