Müßiger Leser! Im letzten Teil von Brander Matthews Artikel über die Funktion des Slangs zitiert er Cervantes’ Don Quijote, was Bildung und Schicksal neuer Wörter angeht. Da das Buch bereits übersetzt ist, schlägt man als Übersetzer natürlich in dieser bereits vorhandenen Übertragung nach. Nicht weil man zu faul ist, das selber zu erledigen, sondern weil sich das nach den Regeln der Zunft so gehört. Und es ist meist ein rechter Aufwand, der mit Bibliotheksbesuchen und weiß der Kuckuck was sonst noch verbunden ist. Das Internet jedoch macht einem das alles erheblich leichter, geradezu vergnüglich manchmal.
Vom Don Quijote gibt es mehrere Übersetzungen, von denen die älteren im Web zu finden sind. Die neue und viel gerühmte Übertragung von Susanne Lange steht auf meiner langen Einkaufsliste…
Wie auch immer, bei Brander Matthews heißt es:
It happens that Don Quixote preceded Professor Whitney in this exposition of the law, for when he was instructing Sancho Panza, then about to be appointed governor of an island, he used a Latinized form of a certain word1 which had become vulgar, explaining that “if some do not understand these terms it matters little, for custom will bring them into use in the course of time so that they will be readily understood. That is the way a language is enriched; custom and the public are all-powerful there.“2
oder bei mir:
Ganz zufällig ist Don Quixote Professor Whitney mit dieser Auslegung des Gesetzes zuvorgekommen, denn bei seiner Unterweisung Sancho Pansas, der eben zum Statthalter einer Insel ernannt werden soll, bediente der Mann von der Mancha sich einer latinisierten Form eines gewissen Wortes, das vulgär geworden war, und erklärte dabei: »und wenn auch mancher dieses Wort nicht versteht, so schadet es wenig, denn der Gebrauch wird es mit der Zeit einführen, so daß es alsdann leicht verstanden wird, und dieses heißt die Sprache bereichern, über welche die Menge sowie die Gewohnheit immer ihre Macht ausüben.«3
Die englische Übersetzung, die hier zitiert wird, ist relativ schnell gefunden, obwohl der Umstand, dass der Wälzer meist in vier Bänden erschienen ist, die Suche durchaus erschwert. Ich finde die Stelle in der Übersetzung von John Ormsby in der Ausgabe von Smith, Elder & Co aus dem Jahre 1885, genauer gesagt im Kapitel 43, auf den Seiten 41 und 42. Dort heißt es:
“Take care, Sancho, not to chew on both sides, and not to eruct in anybody’s presence.”
“Eruct!” said Sancho; “I don’t know what that means.”
“To eruct, Sancho,” said Don Quixote, “means to belch, and that is one of the filthiest words in the Spanish language, though a very expressive one; and therefore nice folk have had recourse to the Latin, and instead of belch say eruct, and instead of belches say eructations; and if some do not understand these terms it matters little, for custom will bring them into use in the course of time, so that they will be readily understood; this is the way a language is enriched; custom and the public are all-powerful there.”
In der Übersetzung von P.A. Motteux aus dem Jahre 19084 lautet diese Stelle:
—Be careful not to chew on both sides, that is, fill not thy mouth too full, and take heed not to eruct before company.”
“Eruct?” quoth Sancho; “I do not understand that cramp word.” — “To eruct,” answered Don Quixote, ‘4s as much as to say, to belch; but this being one of the most disagreeable and beastly words in our language, though very expressive and significant; the more polite, instead of belching, say eructing, which is borrowed from the Latin. Now, though the vulgar may not understand this, it matters not much; for use and custom will make it familiar and understood. By such innovations are languages enriched, when the words are adopted by the multitude, and naturalized by custom.”
In der Übersetzung von Henry Edward Watts von 18885 heißt es:
Have a care, Sancho, not to chew on both sides of the mouth, nor to eruct1 in any one’s presence.
—That about eructing I dont understand, said Sancho.
—To eruct means to belch,2 said Don Quixote; and this is one of the vilest words in the language, though very significant; and so dainty people have recourse to the Latin, and for belch say eruct and for belches eructations; and should any not understand these terms it matters little, for use will introduce them with time, so that they will be easily understood; and this is the way to enrich the language over which custom and the multitude bear sway.
Da diese Ausgabe kommentiert ist, möchte ich Ihnen die dazu gehörigen Kommentare nicht vorenthalten:
1 Erutar, Sancho might well say that he did not understand the word, as it is one coined by Cervantes from the Latin, and here first used. Clemencin, at this passage, gives a list of the new words, either invented by the author, or which have come into use through their appearance in Don Quixote, They amount to no more than a dozen in all, and are all of them useful words, regularly formed, such as adarvar (to strike senseless with wonder or fright), segundar, gallardearse (to brisk oneself up), mofante (a sneerer or scoffer), &c.
2 Regoldar, quasi re-holgar (to experience the return of pleasure partaken). The action of “eructing,” in the East, is supposed, when performed by a guest after eating, to be a mark of polite attention, — a tribute to the excellence of the dinner and a compliment to the cook. Nor is the custom confined to the East, with people of Sancho’s station.
In der »neuen, revidierten Jubiläumsausgabe« der deutschen Übersetzung von Ludwig Braunfels aus dem Jahre 1925 heißt es im Band V auf Seite 57:
Hüte dich auf beiden Backen zu kauen und vor dritten Leuten zu eruktieren.
Das Ding mit dem Eruktieren, das versteh’ ich nicht, sagte Sancho.
Don Quijote entgegnete: Eruktieren, Sancho, heißt soviel als rülpsen. Dieses letztere Wort ist zwar sehr bezeichnend, jedoch eines der unschicklichsten Worte in unserer Sprache. Und darum haben die Leute, die auf seinen Ausdruck halten, ihre Zuflucht zum Latein genommen und sagen eruktieren für rülpsen und für einen Rülpser als Eruktation. Und wenn auch der und jener diese Ausdrücke nicht verstehen sollte, so liegt wenig daran; der Gebrauch wird sie mit der Zeit allmähöich einführen, bis sie mit Leichtigkeit verstanden werden; und dies heißt die Sprache bereichern, über welche die gemeine Menge und der Gebrauch alle Macht haben.6
Etwas, was mir als Übersetzer aufgefallen ist: Bei einem Werk wie dem von Cervantes werden die Übersetzer durchaus genannt; die Übersetzungen sind der Bedeutung des Werks wegen zwangläufig mehr oder weniger berühmt. Trotzdem finde ich eine interessante Nennung bzw- Nichtnennung des Übersetzers in einer vom Gerhard Stalling Verlag 1921 besorgten Ausgabe: »Nach den besten deutschen Übersetzungen bearbeitet von Will Vesper.« Man lese daraus, was man will.
Ein anderer netter Fund in diesem Zusammenhang. Auf dem Titelblatt der ersten tatsächlich erschienenen, 1648 in »Franckfurt«7verlegten und unvollendet gebliebenen »Verdolmetschung« von einem gewissen Pahsch Basteln von der Sohle8 heißt es gar wunderlich und etwas mysteriös:
Kauff mich: Und liß mich.
Rewts dich: So friß mich.
Odr Bezahl dich
Die Übersetzung blieb unvollendet. Was aber nicht daran lag, dass das Buch keiner kaufte. Im Nachwort einer Faksimile-Nachdruck aus dem Jahre 1928 ((Sie finden sie hier.)) findet sich eine Erklärung dafür: Die Übersetzung war nur als Versuch gedacht.
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Eine wirklich interessante Seite habe ich in diesem Zusammenhang hier entdeckt. Diese Website bringt Don Quijote in sage und schreibe fünf Sprachen, Absatz für Absatz nebeneinander. Das ist die Seite, die ich als erste hätte finden müssen; freilich wären mir dann all die anderen feinen Sachen entgangen. Aber es ist eine Site, die man sich als Übersetzer unbedingt merken sollte, für den Fall, dass man mal ein Zitat übersetzen muss. Neben dem spanischen Original bietet die Site den Don in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch.Müsste ich glatt mal nachsehen, ob es so etwas auch von Shakespeare gibt. Zeno hat die Übersetzung von Braunfeld ebenfalls, und zwar hier.
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The Cervantes Project. Eine ungemein interessante Übersicht über Cervantes sowie die Literatur zu ihm nebst Übersetzungen gibt die Cervantes Collection. Saubere Auskünfte über die verschiedenen ausgaben und, sofern vorhanden, ihre Illustrationen. Ein interessanter Fund. Reich bebildert obendrein.
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Recherche ist immer problematisch für den Übersetzer; selbst wenn man sie berechnen und auf das Seitenhonorar draufschlagen kann. Wenn man überhaupt weiß, dass diese Möglichkeit besteht; der Verlag wird es Ihnen nicht sagen. Ich persönlich würde das ohnehin nicht machen; die Recherche gehört für mich dazu. Wie auch immer, das Internet hat die Recherche vereinfacht, nicht zuletzt weil man vom Arbeitsplatz zuhause aus bei jeder Bibliothek der Welt vorbeischauen kann, bevor man tatsächlich lossockt. So sieht man schon mal, ob sich der Weg überhaupt lohnt. Sie fällt dadurch meiner Ansicht nach auch gründlicher aus. Aber auch die Sachen, die man nebenbei noch so findet, nehmen wir nur die netten Illustrationen, die man so mitnehmen kann. Das macht die Recherche heute durchaus oft zu einem müßigen Abenteuer.
- die Rede ist von rülpsen: —Erutar, Sancho, quiere decir regoldar, y éste es uno de los más torpes vocablos que tiene la lengua castellana, aunque es muy sinificativo; y así, la gente curiosa se ha acogido al latín, y al regoldar dice erutar, y a los regüeldos, erutaciones; y, cuando algunos no entienden estos términos, importa poco, que el uso los irá introduciendo con el tiempo, que con facilidad se entiendan; y esto es enriquecer la lengua, sobre quien tiene poder el vulgo y el uso. [↩]
- Durchaus interessant ist, dass Brander Matthews – in einem Artikel über Umgangssprache – das Wort selbst nicht erwähnt. [↩]
- Miguel de Cervantes Saavedra, Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha Dt. von Ludwig Braunfels. Gibt es hier. [↩]
- The History of the Ingenious Gentleman Don Quixote of La Mancha, Translated from the Spanish by P.A. Motteux, Vol. IV Edinburgh; John Grant 1908, 62. [↩]
- The Ingenious Gentleman Don Quixote of La Mancha … Done into English with Notes, Original and Selected … by Henry Edward Watts, London: Bernard Quaritch, 1888, Vol. V. 57. Es handelt sich hier um eine fünfbändige Ausgabe. [↩]
- http://mgarci.aas.duke.edu/celestina/EDICIONES-BILINGUES/ALEMAN/DQ‑2–43.HTM [↩]
- http://de.wikisource.org/wiki/Don_Kichote_de_la_Mantzscha [↩]
- Pseudonym von Joachim Caesar [↩]