Seit einigen Monaten gibt es eine Anthologie zu einem Genre, das sich dem altmodischen Medium des Buchdrucks praktisch per definitionem sperrt: Rap. Entsprechend hört sich der Titel für die einen vermutlich herzlich überflüssig an, während die anderen auf das Zerpflücken der getroffenen Auswahl harren. An das Problem dabei, das jeder einschlägig Interessierte kennt, nämlich die Qualität der Transkription, hat vorab offensichtlich keiner gedacht. Allen voran die Autoren.
Vorab, The Anthology of Rap ist nicht die erste Blütenlese1 des Rap, wie in den Rezensionen allenthalben zu lesen. Ich selbst habe mir bereits 1992 Lawrence A. Stanleys Rap: The Lyrics – The Words to Rap’s Greatest Hits zugelegt. Mit der Begeisterung des Slang-Freaks übrigens, nicht etwa weil ich auch nur einen der in die Sammlung aufgenommenen Tracks gekannt hätte, jedenfalls nicht bewusst. Überhaupt, wie man heute schon hinzufügen muss, das war vor dem Internet für Dummies wie unsereins; es waren praktisch die einzigen Texte, die vorgefertigt verfügbar waren. Wollte man Texte haben, musste man die Teile erst mal in stundenlanger Kleinarbeit abhören, notieren. Wie auch immer, die Village Voice zählt The Anthology of Rap zu den besten Büchern von 2010. Das sind so viele nicht. Man misst dem Buch also eine gewisse Bedeutung bei. Und die Autoren sind auf den ersten Blick auch keine Hohlen, immerhin lehren Adam Bradley und Andrew DuBois, beide Englischprofessoren, an der renommierten Yale University.
Umso ärgerlicher freilich sind dann meine beiden Moniten an diesem Buch: Erstens das allenthalben zu lesende, laut dem die Texte, wenn schon nicht alle voller Fehler, so doch einige erstaunlich fehlerhaft sind. Zweitens, und das ist meine eigene Beobachtung, wenn auch eng mit dem ersten Monitum verwandt, sind die Texte größtenteils einfach aus dem Web genommen – oder um es genauer zu sagen, sie sind von Ohhla geklaut. Das ist keine bloße Vermutung, es lässt sich eben anhand der abgedruckten Fehler belegen. Es sind wortwörtlich die Fehler der Ohhla-Texte.2
Und bevor jetzt jemand denkt, ich zöge hier gegen das einzigartige, unendlich lobenswerte und phantastische Original Hip Hop Lyrics Archive (Ohhla) vom Leder – Stopp! Genau das Gegenteil ist der Fall! Keine Ahnung, ob das Projekt irgendwo lobend erwähnt ist, mir stößt schon langem die hier und da in den einschlägigen Foren aufkommende Kritik daran auf. Ohhla hat es sich zur Aufgabe gemacht, Raplyrics zu sammeln und zu hosten. Diese werden von einer unermüdlichen Schar von Fans abgehört und ins Web gestellt. Unentgeltlich versteht sich. Und wer immer es mal versucht hat, der weiß wie sakrisch schwer es, die Teile abzuhören, geschweige denn zu Papier zu bringen. Und dass das mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist. Und Fehler nicht zu vermeiden. Obwohl sie im Großen und Ganzen – wir dürfen die schiere Masse der Texte dort nicht vergessen – ganz ausgezeichnet sind. Es ist etwas ganz anderes, die Basis dessen zu schaffen, das andere – die in der Regel zu faul oder erst gar nicht fähig wären zur fraglichen Leistung – dann kritisieren. Als Autor weiß ich, wovon ich rede.3 Zudem ist der Autor der Transkription jedem Text beigegeben, man könnte ihm die eigenen Vorschläge mailen.
Aber das ist nur die Hälfte; die andere Hälfte ist die Tatsache, dass Ohhla praktisch die einzige Quelle von Hiphoptexten im Web ist. Was heißt im Web, sind sind praktisch die einzige Quelle. Punkt. Sie stehen auf einem verdammt schmalen Brett, wenn Sie meinen, die blitzende Lyrics-Site, auf die Google Sie mit ihrem Textfetzen schickt, hätte sich die Mühe gemacht, auch nur einen einzigen Raptext zu transkribieren; sie sind alle von Ohhla geklaut.
Mit Klauen wären wir wieder bei unserer Anthologie. Wenn Websites, die nichts anderes wollen, als Knete mit Klingeltönen zu machen, ihre Klicker mit geklauten Songtexten anlocken, dann ist das eine Sache, wenn nun aber zwei Englischprofessoren – zumal von der Yale University – hergehen und unbesehen bzw. ungehört Texte von Ohhla mopsen, ist das ein Hammer anderer Art. Wir sprechen schließlich hier von Literaturwissenschaftlern. Ich erinnere mich noch an die textkritischen Ausgaben großer Autoren, die zu erstellen eine Menge Zeit und Mühe kostet; aber auf deren Basis – und nur auf dieser – Literaturwissenschaft zu betreiben ist. Das wissen doch wohl zwei anderweitig profilierte Professoren aus Yale.
Selbst wenn die beiden Herren die literarische Seite von der musikalischen getrennt hätten, will sagen, sie wollten die »nervige Mucke« einfach nicht hören und haben sich auf die Texte beschränkt, so hätten sie andere damit beauftragen müssen, die Sachen noch mal gründlich durchzuhören. Was sie angeblich gemacht haben. Was aber gelogen ist; die Provenienz (Ohhla) ist so eindeutig, die Texte so haargenau übernommen. Kein Aas hat da was dran gemacht. Man kann sich des Gedankens der cleveren Geschäftsidee mit Fundsachen aus dem Interweb nicht erwehren.
Diese schlumpige Art von Literaturwissenschaft ist ein Schierlingstropfen, zweifelsohne. Auch dass man einmal mehr Ohhla beklaut hat. Auf der anderen Seite ist es trotzdem ein geiles Buch. Dafür sorgen schon die Aufsätze, die sie in Auftrag gegeben haben. Und digital hin oder her, in einem knappen 1000-seitigen Ziegel Raplyrics zu blättern, das ist immer noch eine Freude für sich. Raptexte in Buchform. Also ich find das stark.
Wenn man die Literaturwissenschaft denn doch nicht völlig vergessen hat, dann besteht übrigens ein Hoffnungsschimmer. Hieße das Buch The Yale Anthology of Rap, so könnte man jedenfalls damit rechnen, dass die Blütenlese gepflegt wird, da Projekte mit solchen Namen grundsätzlich auf lange Zeit gedacht sind.Falls man das »Yale« also einfach vergessen hat, wenn es also nicht tatsächlich nur darum ging, mit einer einmaligen Anthology of Rap mit Minimalaufwand die große Knete abzugreifen, dann überarbeitet man den Band ja womöglich in absehbarer Zeit. Das Web bietet ja nun dicke Möglichkeit für Korrekturvorschläge aus aller Welt. Die kann man denn auch beruhigt klauen.
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- genau das heißt Anthologie nämlich [↩]
- Haben die beiden Autoren als Englischlehrer nicht mit Plagiatoren zu tun?! [↩]
- Ich meine damit, von Dumpfbacken kritisiert zu werden, die aus der Tatsache, dass sie einen Fehler (wenn’s denn überhaupt einer ist) gefunden haben, gleich schließen, sie hätten das alles viel besser gemacht; hätten sie nicht, weil sich noch kein Kritiker auf der Welt zehn Jahre und länger an etwas gesetzt hat. Was übrigens keine Kritik an der Kritik ist, die durchaus nützlich sein kann, sondern lediglich Kritik an besagter Art von Klugscheißerei. [↩]