Nachdem wir das letzte Mal die Entwicklung von »agony« in den Wörterbüchern skizziert haben, sehen wir uns doch zum Abschluss noch an, was die Kollegen im Lauf der Zeit so mit der Wendung »in an agony of« gemacht haben. Hier zeigt sich der Sinn des Sammelns & systematischen Durchackerns gedruckter Übersetzungen ganz wunderbar. Ob man nun von Haus aus ein Problem mit der Wendung gehabt hätte oder nicht, spielt dabei keine Rolle; es lässt sich eine Menge lernen. Und das sollte ja der Sinn der ganzen Arbeit sein.
Aus Gründen der Bequemlichkeit – die Geschichte ist wieder mal weit mehr Arbeit geworden als beabsichtigt – nehme ich mal einfach noch einige Fundstellen aus meiner Datenbank, ohne sie weiter einzuteilen oder zu kategorisieren. Das sind nun konkrete, im Druck erschienene Beispiele für den Umgang mit unserer Wendung »in an agony of«. Und nur nebenbei bemerkt: obwohl ich selbstverständlich die Übersetzer prinzipiell nenne, möchte ich in den Fällen darauf verzichten, in denen jemand völlig daneben gelangt hat. Es geht hier schließlich nicht darum, im Glashaus mit Steinen zu werfen, sondern darum etwas zu lernen, weiter nichts.
The gunner’s mate was suspended in an agony of worry about the letter that Maryk had sent to the Red Cross regarding his mother’s illness.«1
»Der Geschützführer schwebte in einer ständigen, zermürbenden Unruhe, seit Maryk wegen der Krankheit seiner Mutter an das Rote Kreuz geschrieben hatte.«2
An dem Satz gefällt mir so einiges nicht und »suspended« wäre gleich ein weiterer Kandidat für eine ähnliche Recherche. »Zermürbende Unruhe« an sich für »in an agony of worry« freilich wäre prinzipiell eine durchaus brauchbare Lösung.
and I am in an agony of nerves, every day that you are away from us, for fear that I should be taken away suddenly, in the middle of the night perhaps«3
Atwood, Alias Grace: »und jeden Tag, den Du nicht bei uns bist, leide ich Qualen der Angst, daß ich plötzlich abberufen werden könnte, vielleicht in der Mitte der Nacht«4
Hier wurden »nerves« und »fear« recht clever zusammengezogen. Und »Qualen der Angst« sind nachzuvollziehen. Ich finde dafür auch auf die Schnelle zwei Beispiele in der deutschen Literatur:
Da setzt sich denn der Bube, in der Mitte des Zimmers mit dem Rücken gegen den Vorhang gekehrt, in einen Sessel und bleibt ein paar Stunden lange sitzen, indes der arme Hofmeister im Hemde und mit bloßen Füßen alle Qualen der Angst und der Kälte erduldet.«5
und:
Nun, werde nicht wieder ängstlich, fuhr sie fort, da sie sah, daß Margarithens Kopf glühend roth auf die Brust sank, und alle Qualen der Angst und Beschämung sie zu ergreifen schienen. Wenn es Dich sehr ängstigt, will ich warten, bis Du mehr Vertrauen zu mir fassest, sollte ich hier überhaupt lange verweilen.«6
Wie’s der Zufall so will, von einem Schloss zum anderen. Norman Mailer, dem ich die Wendung gar nicht zugetraut hätte, benutzt sie in seiner Hitler-Biographie:
the continuing absence of Alois caused Johann Nepomuk Hiedler to live in an agony of love.« 7
»Die fortwährende Abwesenheit von Alois verursachte Johann Nepomuk Hiedler wahre Liebesmartern.«8
»Liebesmartern« ist eine durchaus originelle Lösung. Die Verstärkung durch »wahre« scheint mir recht idiomatisch und erinnert mich an einen Artikel aus den Lebenden Sprachen von anno dunnemals, laut dem das Deutsche gern etwas kräftiger zulangt als das Englische. Muss ich mal raussuchen. Eine weitere solche Verstärkung wäre »tausend«, das ich bei E.T.A. Hoffmann gefunden habe: »wie er aus dem von tausend Liebesqualen aufgeregten Gemüt hervorsprudelte«9. Da ich die »Liebesmartern« nicht gefunden habe, gebe ich mich hier mal mit den »Liebesqualen« zufrieden. Bei Hermann Essig heißt es »hinter den verschlungenen Armen der in heißen Liebesqualen Sitzenden an der Aisne.«10 Aber ich schweife wieder mal ab. Werfen wir lieber mal einen Blick in Edgar Allan Poes Gordon Pym in Der Übersetzung von Arno Schmidt:
My powers of speech totally failed, and in an agony of terror lest my friend should conclude me dead, and return without attempting to reach me, … «11
»Mein Sprachvermögen verweigerte mir einfach den Dienst; und in einer Agonie des Entsetzens, daß mein Freund mich für tot halten & ohne einen weiteren Versuch, mich zu erreichen, umkehren könne, stand ich da …«12
Arno Schmidt behält hier die »Agonie« bei, was durchaus des Öfteren gemacht wird. Und der Text von Poe ist durchaus alt genug, um das auszuhalten. Von Poe zu einem ziemlich jungen Text:
At first it wouldn’t start. In an agony of dread, she waited and watched as Dwina tried to fire the ignition.«13
»Starr vor Angst wartete Maddy und sah zu, wie Dwina den Zündschlüssel immer wieder im Schloß drehte.«14
Auch eine originelle Lösung, die mir persönlich gut gefällt & auf die man erst mal kommen muss; sicher nicht verkehrt, sich die zu merken. Zeitlich genau zwischen Poe und Lette liegt wohl Dreiser:
and finally in an agony of dissatisfaction with herself at having brought all this on herself, she retired to the rest room«15
»Aber ach, dieses Warten! Der Schmerz über seine Kälte! Sie konnte es kaum aushalten und zog sich in einem Übermaß an Kränkung darüber, daß sie selbst an all dem schuld war, gegen drei Uhr in den Erholungsraum zurück.“16
»Kränkung« scheint mir »dissatisfaction« nicht ganz zu treffen, obwohl ich zu sehen meine, dass hier die »agony« integriert werden soll – was freilich das »Übermaß« fragwürdig erscheinen ließe. Ansonsten ist auch »Übermaß an…« für »agony of… « eine Lösung, die man sich herausschreiben sollte. Hier wieder ein älterer Text:
Every time Aram saw her, he was startled at the alteration; and kissing her cheek, her lips, her temples, in an agony of grief, wondered that to him alone it was forbidden to weep.«17
»So oft Aram sie sah, erschrak er über die Veränderung. In der Todesqual des Grames küßte er ihr Wange, Lippen Schläfen und wunderte sich, daß nur ihm es versagt war, zu weinen.«18
»In der Todesqual des Grames« gefällt mir zwar nicht, aber definitiv trifft »Todesqual« die »agony«.
Gleich viermal habe ich mir unsere Wendung im Falle von Styrons Nat Turner notiert:
With his other hand he is clutching his stomach in an agony of delight, and his laughter is high, loud, irrepressible.«19
»Mit der anderen hält er sich den Bauch vor Lachen – das Gelächter klingt laut und hoch und unwiderstehlich. »Hund, elender!« schreie ich ihn an.«20
Eine besonders originelle Lösung ist folgende:
I was in an agony of waiting.«19
»Das Warten peinigte mich.«21
Die »agony« mit »peinigen« in eine Verbalkonstruktion aufzulösen, ist so originell wie selten und entsprechend interessant. Und der Kollege macht das gleich noch mal:
as I sat here in the hopeless agony of the knowledge of what was going to befall me«22
»wie ich hoffnungslos vor mich hin brüte und genau weiß, was ich zu erwarten hab«21
Noch mal eine verbale Lösung, die vielleicht ein eleganteres »in dem Wissen, was…« hätte vertragen können statt dem zweiten Verb, aber »hoffnungslos brüten« scheint mir die »agony« durchaus ebenso zu treffen wie die nächste Lösung:
buzzing eternally between heaven and oblivion in a pure agony of mindless twitching«22
»die endlos zwischen Himmel und Vergessen hin und her summen, verdammt zur ewigen Qual, zuckend, vom Trieb gezwungen, sich von Schweiß und Schmutz und Kot zu ernähren«21
Das sachte Verschieben der Bezüge macht sich nicht schlecht. Und der »agony« ist auch Genüge getan. Und zu guter Letzt, auch wenn das reiner Zufall ist, die Art Lösung, mit der wir begonnen haben, die darin besteht, die Wendung ganz einfach wegzulassen:
You mean to tell me that now, after all these here months, your heart ain’t touched by the agony of an event like that?«19
»Du willst mir also sagen, daß nach all diesen Monaten dein Herz von so was nicht gerührt wird?«21
- Herman Wouk, The Caine Mutiny [↩]
- Herman Wouk, Die Caine war ihr Schicksal, dt. von Christoph Ecke [↩]
- Atwood, Alias Grace [↩]
- Atwood, Alias Grace, dt. von Brigitte Walitzek [↩]
- Grillparzer, Selbstbiographie [↩]
- Henriette Paalzow, Godwie Castle. Breslau 1838 [↩]
- Norman Mailer, The Castle in the Forest [↩]
- Norman Mailer, Das Schloss im Wald, dt. von Alfred Starkmann [↩]
- Hoffmann, Die Serapionsbrüder [↩]
- Essig, Der Taifun [↩]
- Poe, Gordon Pym [↩]
- Poe, Gordon Pym, dt. von Arno Schmidt [↩]
- Kathy Lette, Mad Cows [↩]
- Kathy Lette, Kinderwahn, dt. von Thomas Bodmer [↩]
- Theodore Dreiser, An American Tragedy [↩]
- Theodore Dreiser, Eine amerikanische Tragödie, dt. von Marianne Schön [↩]
- Edward Bulwer Lytton, Eugene Aram [↩]
- Edward Bulwer Lytton, Eugen Aram; die Gutenberg-DVD nennt den Übersetzer leider nicht [↩]
- William Styron, The Confessions of Nat Turner [↩] [↩] [↩]
- William Styron, Die Bekenntnisse des Nat Turner; der Übersetzer ist in meiner Buchclub-Ausgabe nicht genannt; das Titelfoto zu schießen war ja auch sicher mehr Arbeit… [↩]
- William Styron, Die Bekenntnisse des Nat Turner [↩] [↩] [↩] [↩]
- William Styron, The Confessions of Nat Turner [↩] [↩]