Hin und wieder beschleicht mich das Gefühl, in Büchern zu ersticken, die ich eigentlich nicht mehr brauche. Da die vier Wände um meinen Schreibtisch herum jedoch ohnehin nur noch mit Titeln bestückt sind, nach denen ich des Öfteren rasch mal greifen muss, gehe ich – absurderweise – einen Karton vom Dachboden holen, den ich dann durchsehe. Und wie beim Tapezieren, wo man sich beim Auslegen des Bodens gern mal in alten Zeitungen festliest, beginne ich in den Büchern aus dem Karton zu blättern. Und natürlich findet sich da immer wieder Interessantes.
So las ich dieser Tage in einem Heftchen aus dem Jahre 1947 folgendes: »Der Umstand jedoch, daß viele Millionen Deutsche in den letzten fünf Jahren der Hitlerregierung das Zivilkleid mit der Uniform vertauschen mußten, hat der gesellschaftlichen Struktur unseres Landes ein ausgesprochen militantes Gepräge verliehen, nicht nur nach außen, sondern mehr noch nach innen.«
Nun wird niemand unserer Gesellschaft ein militantes Gepräge nachsagen wollen, aber angesichts eines anderen Buches in dem Karton beginnen meine Gedanken auch schon Fäden zu ziehen.
Hier lese ich: »‘Farley, my lad, there’s bloody big news! The war is on!« So der Vater des auch hierzulande bekannten kanadischen Autors Farley Mowat im September 1939 zu seinem Sohn, der sich denn auch sofort zum Militär meldet, um gegen die Deutschen in den Krieg zu ziehen, der für ihn mit der Landung der Alliierten 1943 in Sizilien beginnt. Völlig desillusioniert kommt er nach Hause, wird zu einem der ganz großen Naturschriftsteller und schreibt 35 Jahre später, weil ihn die Erinnerungen nicht loslassen wollen, diese literarisch bestens aufgearbeiteten Memoiren.
Der Mann ist kein Norman Mailer, der in denselben Krieg zog, um darüber zu schreiben. Und sicher kein Ernst Jünger, der die Gewalt des Krieges immer wieder verherrlicht hat. Er möchte einfach nur aufräumen, einen Schlussstrich ziehen.
»Militantes Gepräge« hin oder her, deutsche Soldaten befinden sich wieder im Krieg, laut Focus sind bis Mitte Juni 2009 in Afghanistan bereits 19 gefallen.
Als einer, der immer schon dankbar war, in einer Zeit gelebt zu haben, in der wir keine Kriege führen, empfinde ich unsere heutige Gesellschaft als aggressiv und gewalttätig. Die Frage, ob nicht der eine oder andere, der zum Bund geht, auf ein »Abenteuer« spekuliert, ist wohl müßig. Aber ich frage mich, die beiden Bücher vor mir, wird einer darüber schreiben? Wird einer das Bedürfnis haben, aufzuräumen in seinen Erfahrungen? Wie literarisch wird das? Wird gar wieder ein Literat in den Krieg ziehen? Werden sich irgendwann die Ghostwriter auf die Heimkehrer stürzen? Und was wird wohl geschrieben werden? Heldengeschichten (aktuelle Landser-Heftchen gar?) oder die nach all den Kriegen der Menschheit mittlerweile längst nicht weniger banale Literatur der Desillusion?