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Gaga ist weder caca, noch Gugag, noch Gäggi

Ety­mo­lo­gie ist meist kom­pli­ziert und oft Glück­sa­che, und ver­mu­tet man ein­fach drauf­los, ent­steht gern mal ein Irr­tum, der Ein­fluss auf das Wort selbst nimmt, das sich dann als Volks­ety­mo­lo­gie eine Ewig­keit hält. Wer eine Sprach­kolumne in einer unse­rer bes­ten Zei­tun­gen ver­bricht, soll­te sich das nicht zuschul­den kom­men las­sen und zur Erklä­rung eines Wor­tes nicht unbe­se­hen rasch mal Wör­ter heran­ziehen, die rein zufäl­lig irgend­wie ähn­lich klin­gen  oder ähn­lich aus­se­hen. Sch0n gar nicht, wenn es eines gibt, das haar­ge­nau so klingt und  genau­so aussieht.

Beim Ent­sor­gen der SZ guck ich sel­bi­ge gern noch mal durch, ob nicht viel­leicht noch was her­geht, das auf­zu­be­wah­ren sich loh­nen könn­te, um es dann spä­ter zu ent­sor­gen – nicht gele­se­ner als zuvor. In der Aus­ga­be vom 25./26. Juni fin­de ich im Feuil­le­ton auf Sei­te 15 die Phra­sen­mä­her-Glos­se von gmu mit dem Titel »Alles gaga«. Da ich »gaga« seit Jahr­zehn­ten geklärt wäh­ne, über­flie­ge ich die paar Zei­len inter­es­siert: Was gibt es zu »gaga« noch zu sagen? Gar etwas Neu­es? Offen­sicht­lich ist es im Schwan­ge. Immer noch, wür­de ich sagen, also was soll’s? Dann hor­che ich doch auf: »Wo nur wur­zelt die­se schö­ne neue Gaga-Welt?« Hopp­la! Wie alt ist denn der Autor – oder bes­ser gesagt: wie jung? Und dann heißt es: »Das Schwei­ze­ri­sche Idio­ti­kon klärt…« Wer bei mir hin und wie­der rein­guckt, kennt mich als Freund des schwei­ze­ri­schen Idi­oms, aber so leid’s mir tut: »Gaga«, »Gag-gagg«, »gag­ge­re«, »gag­gen«, »Gage­le«, »Gugag« und »Gäg­gi« haben mit »gaga« eben­so wenig zu tun wie der »›Gagg‹ (vgl. lat. caca­re und caca)«.1

Nicht nur wer­den da viel zu vie­le Wör­ter bemüht, die irgend­wie so ähn­lich sind; das geht mei­ner Erfah­rung nach so gut wie nie gut. Und vor allem: Wenn wir uns ety­mo­lo­gisch schon im Aus­land umschau­en, war­um dann nicht erst mal nach einem Wort, das haar­ge­nau so aus­sieht und klingt. Ich mei­ne, wenn etwas aus­sieht wie eine Ente, quakt wie eine Ente und wie eine sol­che schwimmt, dann ist es meist auch eine Ente.

Und bevor man wis­sen­schaft­lich wird: Fällt einem zu »gaga« nicht vor Lady Gaga erst mal Fred­die Mer­cu­ry ein? »All we hear is Radio Ga Ga, Radio Goo Goo, Radio Ga Ga« sang der mal. 1984 war das. Und da war das Wort für mich neu; ich geni­er’ mich ja schon – aber immer­hin habe ich damals nach­ge­schla­gen, was genau das hei­ßen soll und woher das kommt. Wit­zi­ger­wei­se war damals gera­de »der Par­tridge« in einem Band, ein dicker Wäl­zer mit rotem Schutz­um­schlag, her­aus­ge­kom­men und hat­te die alte zwei­bän­di­ge Aus­ga­be von Slang & Uncon­ven­tio­nal Eng­lish mit dem blau­en Umschlag ersetzt. 1984 – ich habe das gute Stück gera­de vor mir.2 Dar­in fand ich folgendes:

gaga; incor­rect­ly ga-ga. Evin­cing seni­le decay; stu­pidly dull, fatuous; ’soft’, ‘dot­ty’. Kipling used it twice, with the hyphen, in a let­ter dated 1 Dec. 1917 to Stan­ley Bald­win, quo­ted in Lord Bir­ken­head, Rudyard Kipling, 1978.

Von seni­lem Ver­fall ist hier die Rede, von Stumpf­heit, Albern­heit, Trot­te­lig­keit. Und ich habe seit­her dar­aus geschlos­sen, es kom­me zu uns aus Eng­land. Aber nur weil ich es damals nicht kann­te, heißt das natür­lich noch lan­ge nicht, dass es im Deut­schen nicht schon im Umlauf war. Aber im Schwan­ge? Küp­per3 führt es nicht auf. Wenn es also, wie ich sehe, schon Tuchol­sky ver­wen­det hat:

Der Chef schon etwas gaga, wie die Fran­zo­sen das nen­nen, mümm­lig, nicht mehr ganz auf dem Trab, viel­leicht Alko­ho­li­ker; sein Stell­ver­tre­ter ein gut­mü­ti­ger Mann, der nicht all­zu­viel zu sagen hat­te.«4

Und gleich nochmal:

… die­se Reden heu­te zei­gen nicht etwa, daß er gaga ist, denn er ist es nicht, son­dern sie zei­gen die gren­zen­lo­se Leicht­fer­tig­keit der Men­schen, die nie zurück­blät­tern, die alles ver­ges­sen, und sie zei­gen die Koof­mi­ch­ge­sin­nung aller die­ser Men­schen.«5

Den Tuchol­sky hat­te ich sei­ner­zeit nicht gefun­den; die digi­ta­le Biblio­thek sei geprie­sen. Trotz­dem bestä­tigt Tuchol­sky im ers­ten Zitat, was ich damals bei Par­tridge in Sachen Ety­mo­lo­gie von »gaga« fand:

Adopted ex Fr. s., whe­re, accor­ding to a French scho­lar, it came into use, ca. 1875, in the thea­tri­cal world; it is deri­ved ex Fr. s. gâteux, an old man feeb­le min­ded and no lon­ger able to con­trol his body, its­elf ex Stan­dard Fr. gâter, to impair, dama­ge, spoil. It may also have been influen­ced by the echo of idio­tic laugh­ter. Often in the phra­se, go gaga.

Am fran­zö­si­schen Thea­ter also ist »gaga« gebo­ren, im letz­ten Quar­tal des 19. Jhs. Und es bezeich­ne­te einen ver­greis­ten Mann, der sei­nes Kör­pers & Geis­tes nicht mehr ganz Herr ist. Und wo wir eben schon die digi­ta­le Welt geprie­sen haben, gucken wir doch gleich mal in einem fran­zö­si­schen Wör­ter­buch nach. Im Petit Larous­se von 1905 heißt es:

GAGA n. et adj. Fam. Hom­me tom­bé en enfance.

Ein Mann der alters­be­dingt wie­der zum Kin­de wird bzw. alters­be­dingt wie­der zum Kin­de gewor­den als Adjek­tiv. Die bes­te Aus­kunft hat wie so oft das Cent­re Natio­nal de Res­sour­ces Tex­tu­el­les et Lexi­cal­es; das ist für unse­re Zwe­cke hier etwas zu erschöp­fend, aber ich fin­de dort den Erst(?)beleg für »gaga« in einem Satz von Alphon­se Dau­det:

D’af­freux bour­geois qui ne com­pren­nent pas que si la mon­ar­chie est con­dam­née, il vaut mieux qu’el­le meu­re en com­bat­tant, roulée dans son dra­peau, plu­tôt que de finir dans un fau­teuil de ga-ga pous­sé par quel­que Par­le­ment.«6

Und hier »klärt« sich nun tat­säch­lich die »schö­ne neue Gaga-Welt«:

Ono­ma­to­poe­ti­sche Bil­dung in Nach­ah­mung des Gestam­mels in die Kind­heit zurück­ge­fal­le­ner Per­so­nen; die Ver­bin­dung mit gâteux ist nur von unter­ge­ord­ne­ter Bedeu­tung.7

Hier schließt sich der Kreis inso­fern, als es sich bei dem Schwei­zer Erklä­rungs­ver­such eben­falls um Laut­ma­le­rei han­delt, wenn auch um das »Gack­gack« der Hühner.

Zu klä­ren, oder bes­ser gesagt, zu erwäh­nen bleibt jetzt nur noch die Bedeu­tungs­aus­wei­tung von der senil-kind­li­chen Trot­te­lig­keit auf die Bekloppt­heit ganz all­ge­mein: »Der ist doch gaga!« und Ähn­li­ches höre ich – mei­ner Mei­nung nach seit dem Queen-Song – immer wie­der. Und kaum je ist von alten Men­schen die Rede. Aber der Sprung ist leicht nach­zu­voll­zie­hen und nur logisch. Die Sym­pto­me von »gaga« und »gaga« sind letzt­lich die­sel­ben, unter­schied­lich ist nur der Weg dort­hin. Die einen sind eben duss­lig gebo­ren, die ande­ren arbei­ten ein Leben lang müh­sam dar­auf hin.

  1. »Gag­ger­la« sind hier im Frän­ki­schen übri­gens die Pro­duk­te vom Huhn; und ein »Gag­gei« ist wei­ter im Süden ein duss­li­ger Mensch. []
  2. Das ist die von Paul Bea­le her­aus­ge­ge­be­ne Aus­ga­be; mitt­ler­wei­le hat den Par­tridge ja Tom Dal­zell über­nom­men. []
  3. Wör­ter­buch der deut­schen Umgangs­spra­che []
  4. Wer­ke und Brie­fe: Nach­her (1925–1928). Tuchol­sky: Wer­ke, Brie­fe, Mate­ria­li­en, S. 8969; vgl. Tuchol­sky-GW Bd. 10, S. 119 Rowohlt Ver­lag []
  5. Wer­ke und Brie­fe: 1935. Tuchol­sky: Wer­ke, Brie­fe, Mate­ria­li­en; vgl. Tuchol­sky-BA, S. 428–429. Rowohlt Ver­lag []
  6. 1879 A. Dau­det, Rois en exil, éd. A. Fayart, p. 25 []
  7. Ich habe mir zu über­set­zen erlaubt: –Ono­ma­to­pée fai­te à l’i­mi­ta­ti­on du bre­douil­le­ment des per­son­nes retom­bées en enfan­ce; le rappro­che­ment avec gâteux* n’est que second­ai­re. (Cf. FEW t. 4, p. 20b-21a; Bl.-W.5). Fréq. abs. lit­tér. : 30.« []

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