SlangGuy's Blog ...

Hohe Lite­ra­tur hin oder her…

Über­set­zen ist in ers­ter Linie ein Hand­werk. Schon früh habe ich bei mei­ner Wör­ter­buch­ar­beit die zeit­rau­ben­de Suche nach deut­schen Lösun­gen in gedruck­ten Über­set­zun­gen auf­ge­ge­ben; die mage­re Aus­beu­te lohnt den unge­heu­ren Auf­wand ein­fach nicht. Aber ab und an, wenn ich nur danach zu grei­fen brau­che, schla­ge ich denn doch wie­der nach – um dann auch prompt ent­täuscht zu werden.

So dach­te ich mir neu­lich, schau doch mal, wie Woll­schlä­ger im Ulys­ses „biff him one“ über­setzt. Nun, sein „hau ihm in die Fres­se“ wäre mir per­sön­lich als adäqua­te Lösung eini­ge Num­mern zu derb, ist aber unterm Strich durch­aus in Ord­nung, der Satz davor aller­dings ist, wie ich fest­stel­len muss, völ­lig falsch über­setzt: „He does­n’t half want a thick ear, the bligh­ter. Biff him one, Har­ry.“ Dar­aus macht Woll­schlä­ger: „Was wollt ihr dem noch lan­ge die Hucke voll­quat­schen, dem Wider­ling! Hau ihm in die Fres­se, Harry!“

Hier miss­ver­steht der Über­set­zer das „geschwol­le­ne Ohr“ als durch Reden her­bei­ge­führt, aber ein „thick ear“ bekommt man im Eng­li­schen aus­schließ­lich von einem Schlag; das ist ein fes­tes Bild, meist als fami­liä­re Andro­hung einer Ohr­fei­ge: „Behave yours­elf or I’ll give you a thick ear!”If he got hold of you he would give you a thick ear, then tell you to get home.”

Aber das Miss­ver­ständ­nis fängt ganz wo anders an, näm­lich damit dass der Über­set­zer die Wen­dung „not half“ nicht kennt. Bei „not half“ unter­schlägt er das alles ent­schei­den­de „half“ und kehrt das Idi­om damit ins Gegen­teil; es bedeu­tet eben nicht „nicht“, son­dern „in hohem Maße“: Holy bana­nas, it’s not half hot today! Time to dig out the big fan I think.” (ist das heiß heu­te!) “You don’t look half dif­fe­rent.” (Du hast dich ja ganz schön ver­än­dert.)  “She didn’t half swear.” (Was hat die geflucht.) usw. Wäh­rend der Über­set­zer den Satz also so inter­pre­tiert, dass Har­ry dem Mann “kein dickes Ohr quat­schen” sol­le, ist dem Mann bei Joy­ce nach einem Satz hei­ßer Ohren, nach einer “dicken Lip­pe”, wenn man’s frei­er ange­hen will. Natür­lich soll­te man in die­sem Fall in der deut­schen Spra­che zurück­ge­hen, aber dar­um geht es hier nicht.

Ich will auf etwas ande­res hin­aus. Es han­delt sich hier um ganz all­täg­li­che Idi­oms. Kein Mut­ter­sprach­ler wür­de hier etwas miss­ver­ste­hen. Ich muss da, gera­de weil es um Joy­ce geht, an einen ande­ren Kol­le­gen den­ken, Die­ter E. Zim­mer, der sich sei­ner­zeit im Zuge der lei­di­gen Lem­priè­re-Debat­te eine so arge Blö­ße gege­ben hat, als er sich mit der Bedeu­tung vonto stop in one’s tracks ver­ga­lop­pier­te und dann, dar­auf auf­merk­sam gemacht, mit kul­tur­päpst­li­chem Starr­sinn in die Vol­len ging mit der Retour­kut­sche, das käme doch wohl auf den Zusam­men­hang an. Aber „to stop in one’s tracks“ heißt nun mal nichts wei­ter als „ste­hen blei­ben“, nicht „hin­ter jeman­dem ste­hen­blei­ben“, in kei­nem Kon­text der Welt. Auch die­ses Idi­om ist All­tags­eng­lisch. Und “bligh­ter mit “Wider­ling zu über­set­zen, ist mehr als frag­wür­dig, spielt aber ange­sichts der ande­ren Feh­ler längst kei­ne Rol­le mehr.

Man fin­det das immer wie­der bei Über­set­zun­gen gro­ßer Autoren: den Leu­ten, die die­se Auf­trä­ge bekom­men (natür­lich wurmt es mich, dass ich sie nicht bekom­me, kei­ne Fra­ge), fehlt es viel zu oft am Nötigs­ten, am sprach­li­chen All­tag, an der Umgangs­spra­che, am sprach­li­chen Drill. Es genügt eben nicht, selbst Autor zu sein. Oder Jour­na­list. Und irgend­wann mal Eng­lisch gelernt zu haben. Und nicht sel­ten ist dabei eine eben­so gehö­ri­ge wie nun ein­mal fata­le Por­ti­on Über­heb­lich­keit gegen­über den sprach­li­chen Nie­de­run­gen mit im Spiel. Selbst wenn man den Ulys­ses auf der ande­ren Sei­te als gro­ßes Werk des All­tags fei­ert.1 Man kann das eine nicht ohne das ande­re sehen.

Lite­ra­tur hin oder her, Über­set­zen ist in ers­ter Linie ein Hand­werk, und als Hand­wer­ker muss man eben erst mal einen Ham­mer von einem Nagel unter­schei­den und letz­te­ren rich­tig ein­schla­gen ler­nen, bevor man auch nur dar­an den­ken kann, sich zum Kunst­hand­wer­ker erklä­ren zu wol­len. Anders gesagt: Wie soll­te man einen Text  auf der „lite­ra­ri­schen“ Ebe­ne gou­tie­ren und damit adäquat über­set­zen kön­nen, wenn man schlicht nicht weiß bzw. nicht spürt, was da steht? Statt sich auf hoch­li­te­ra­ri­schen Ver­an­stal­tun­gen gegen­sei­tig Zucker in den Arsch zu bla­sen, soll­ten Über­set­zer sich erst mal einen lau­fen­den Meter Idio­ma­ti­ken vor­neh­men und den Fern­se­her ein­schal­ten, ein paar Tau­send Epi­so­den ganz bana­ler eng­li­scher Sit­coms anschau­en. It Ain’t Half Hot Mum wäre kein schlech­ter Anfang. Gera­de für Joyce… 

  1. »All­tag« ist für die­se Leu­te eine lee­re Flos­kel und ent­spre­chend auch die Spra­che des All­tags ihrer Auf­merk­sam­keit schlicht nicht wert; was wären sie ohne die Strah­len der hoch­li­te­ra­ri­schen Son­ne,  die ihnen allein bei der Erwäh­nung von Ulys­ses oder Joy­ce scheint? []

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