E.B. Tylor – Linguistische Aspekte des Slang (4)
Macmillan’s Magazine, Vol. XXIX (1873–74) pp. 502–513
Übersetzung © Bernhard Schmid
Die Vermehrung des Wortschatzes durch Neubildungen und Wortänderungen, wie wir sie eben mit Beispielen belegt haben, ist jedoch im Slang – wie in anderen Spachzweigen auch – eher selten. Ein hundertmal effektiveres Mittel besteht darin, fertige Wörter zu nehmen und diese dann geschickt für neue Ideen zu adaptieren. Zu diesem Ende bedient der Slang sich ganz ungeniert der grammatischen Muster der Sprache ganz allgemein. Ein Pferd als prauncer zu bezeichnen (ein prigger of prauncers ist im Cant, der alten Gaunersprache, ein Pferdedieb), einen Fuß als trotter (französisch trottin), eine Feder als volante, einen Keks als cassant (im Sinne des modernen amerikanischen cracker) und die Erde als the produisante belegt eine Methode der Wortbildung ganz nach Art des Sanskrit. In die andere Richtung ist diese Art der Wortbildung im Englischen noch aufschlussreicher, da sie uns im Geiste auf einen primitiven Zustand der Sprache zurückführt, in dem es kaum einen Unterschied gab zwischen ihren einzelnen Elementen und in dem noch jedes Wort zu konjugieren war; so steht etwa to knife für erstechen, war to fork out ursprünglich eine Art des Taschendiebstahls, bei dem man zwei gestreckte Finger wie eine Gabel in die Tasche des Opfers schiebt; to be cornered bedeutet in eine Ecke gedrängt, to be fullied voll und ganz dem Gericht überantwortet, to be county-courted heißt vorgeladen werden oder, um den präzisen Slangausdruck zu verwenden, summonsed, i.e. eine summons (Vorladung) des County Court zugestellt bekommen. Einige der von Adjektiven abgeleiteten Substantive im Slang sind durchaus treffend: hardy für einen Stein, flimsy für eine Banknote, milky ones für weiße Leintücher; im Französischen finden wir dure für Eisen, basse für die Erde, curieux für einen Richter und incommode für eine Laterne; das Italienische kennt dannoso (der bzw. die Gefährliche) für die Zunge, divoti (die Andächtigen) für die Knie und perpetua (die Ewigwährende) für die Seele.
Von hier kommen wir auf Trope und Metapher, derer der Slang sich ausgiebig und oft mit einigem Geschicke bedient. Selbstverständlich haben wir es hier mit einem Fall von »natürlicher Auslese« zu tun. Schreiber von Burlesken, Haarespalter, die Witzbolde aus den Raucherzimmern der Clubs oder vom Droschkenstationsplatz sind unablässig bei der Arbeit an neuen Beiwörtern und Gleichnissen; aber der Prozentsatz derer, die selbst der Slang zu akzeptieren und in Umlauf zu bringen gewillt ist, fällt so unendlich klein aus, dass auf tausend Versager kaum ein Erfolg kommt. Die Öffentlichkeit ist, alles in allem, ein nicht zu unterschätzender Kenner von Sinnfälligkeit und Humor; und das Wort oder die Wendung, die ins öffentliche Leben zu entlassen sie bereit ist, kann wohl gewisser Meriten nicht entbehren. Es muss jemand mit einem Ohr für den Witz gewesen sein, der dem haarigen Flaum auf ungepflegten Möbeln den Namen beggar’s velvet oder slut’s wool gegeben hat; der einen Schurken hoch oben auf dem Pranger als overseer und den Sklavenhandel als blackbird-catching bezeichnet hat; der eine »große maskuline, einem Herren ähnliche Dame« mit der ausdrucksvollen Bezeichnung horse-godmother bedenken kann; der den Wirt einer Gaststätte einen ale-draper oder beggarmaker nennt oder ein Spiel Karten »The History of the Four Kings; or, Child’s Best Guide to the Gallows«. Etwas nachgerade Nettes hat der Gebrauch von granny zur Bezeichnung eines eingebildeten überlegenen Wissens und der eigenen Bedeutung wie in der von Mayhew zitierten Bemerkung »to take the granny off them as has white hands«. Jeder, der die kleinen Mädchen gesehen hat, die man zu Besorgungen in die Stadt schickt und die sich auf die Zehenspitzen stellen, um nach einem Türklopfer hoch über ihren Köpfchen zu greifen, wird die Wendung »up to the knocker« zu schätzen wissen, die eine Person beschreibt, die ihrer Aufgabe gewachsen oder nach der neuesten Mode gekleidet ist. Man sagt von einem Mann, dessen Frau kein Vermögen mit in die Ehe bringt, dass er for love (aus Liebe) geheiratet habe, und so ist das Wort love heute gleichbedeutend mit »nichts«. Nicht nur ist die Wendung to play for love in Gebrauch, sie dient dem Billardkellner als Zahl beim Führen der Trefferliste: five-love, eight-love etc. Es war ursprünglich Fleischer-Slang, Herz, Leber und Lunge als pluck zu bezeichnen, da man sie herausrupft, dann begann man den Mut als pluck zu bezeichnen, so dass heute jeder von pluck und plucky spricht, und warum auch nicht? Diese Wörter haben nicht weniger das Recht zu existieren als heart und hearty. Es bedarf keiner Erklärung, weshalb to peel dasselbe ist wie to strip oder ‘tater-trap ein Mund, weshalb floored oder gravelled (französisch terrassé) metaphorisch wie materiell »zu Boden geschlagen« heißt; desgleichen gilt für die Wendung to die in a horse’s nightcap, »erhängt werden«, und planted, was »beerdigt werden« heißt, wenn es durch den Pastor geschieht. Da man einen Polizisten als blue-bottle bezeichnet, erhält die Schmeißfliege (blue-bottle) durch bloße Inversion den Namen policeman. Crown und half-crown sind unter Londoner Droschkenkutschern als hind-wheel und fore-wheel bekannt, so wie in Paris roue de derrière und roue de devant eine 5‑Franc-Münze und eine 2‑Franc-Münze sind; ähnlich ist red rag, die Zunge, im französischen chiffon rouge und »balancer le chiffon rouge« heißt »reden«; accroche-cœur nennen die Franzosen die hakenähnliche Locke, die im Deutschen Bubenträtzerlein und im Englischen beau-catcher heißt. Es steckt eine ganze sarkastische Moralpredigt dahinter, einen Wegweiser am Straßenrand als parson zu bezeichnen, weil er anderen den rechten Weg weist, ohne ihn selber zu nehmen. Überhaupt ist der Slang in so mancherlei Hinsicht etwas hart, was den Geistlichen anbelangt. Er ist als devil-driver oder devil-scolder bekannt und auch als ungrateful man, insofern er wenigstens einmal die Woche seinen größten Wohltäter, den Teufel, beschimpft.