Ueber das nothwendig Mangelhafte aller Uebersetzungen
Arthur Schopenhauer’s sämmtliche Werke
Parerga und Paralipomena
Kleine philosophische Schriften
Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände
Kap. XXV.
Ueber Sprache und Worte
§. 308.
Das Wort des Menschen ist das dauerhafteste Material. Hat ein Dichter seine flüchtigste Empfindung in ihr richtig angepassten Worten verkörpert; so lebt sie, in diesen, Jahrtausende hindurch, und wird in jedem empfänglichen Leser aufs Neue rege.
Während Schopenhauer sich in § 307 mit dem Rätsel um Entstehung und Niedergang komplexer Grammatiken beschäftigt, widmet er sich im folgenden Abschnitt dem Problem gleichwertiger Entsprechungen für Wörter in verschiedenen Sprachen oder, genauer gesagt, er spricht vom Mangel an solchen Entsprechungen und den Problemen, die sich daraus für die Übersetzung ergeben. Da dieser Abschnitt länger ist, habe ich vorsichtshalber aufgeteilt. Hier also der erste Teil.
§. 309.
Die Erlernung mehrerer Sprachen ist nicht allein ein mittelbares, sondern auch ein unmittelbares, tief eingreifendes, geistiges Bildungsmittel. Daher der Ausspruch Karls V: »so viele Sprachen Einer kann, so viele Mal ist er ein Mensch.« (Quot linguas quis callet, tot homines valet.) — Die Sprache selbst beruht auf Folgendem. (mehr …)