Also, Nürnberg, gab ein Wandrer aus Gebieten weit entlegen,
wie er schritt durch deine Gassen, fromm dir seinen Liedersegen…
Henry Wadsworth Longfellow (dt. von Ferdinand Freiligrath)
Amerikaner in Franken? Seh ich jeden Tag beim Einkaufen hier in Nürnberg. Sie sind die Gruppe, die man neben den Japanern sofort erkennt. Letztere vor allem, weil sie tatsächlich in Gruppen auftreten, erstere, die meist in älteren Pärchen unterwegs sind, erkennt man… tja, weil sie eben amerikanische Touristen sind. Eine dritte erkennbare Gruppe sind übrigens die Franzosen, die man aber weniger optisch identifiziert als eben durch ihre Sprache, die in jugendlicher Lautstärke über den Hauptmarkt tönt. Wie die Japaner sind sie in Gruppen unterwegs, Schulklassen vermutlich – dazu sind die Gruppen der Japaner zu alt. Mir sind sie alle recht.
Hier geht es allerdings um eine andere, eher elitäre Gruppe, die mir – leider – nun sicher nie über den Weg gelaufen ist: Amerikanische Dichter und Denker und das auch noch im 19. Jahrhundert – namentlich um Mark Twain, Bayard Taylor, James Russell Lowell, Henry Adams und William James. Übder den Weg gelaufen sind die, so möchte man meinen, meinem alten amerikanischen Spezi hier in der Stadt, Winston Kelley, von dem auch die Collagen hier sind. Winston ist – ungelogen – der 19th-Century Man. Ihm ist schon das 20. Jh. eher fremd gewesen, geschweige denn das Einundzwanzigste. Literarisch durchaus gebildet, wir haben mit’nander Amerikanistik studiert, gilt praktisch nichts »Neueres« als Mark Twain – und genau genommen ist für ihn Voltaires Candide ohnehin das einzige Buch, das zu lesen sich wirklich lohnt.
Aber umso geeigneter die Thematik für ihn: Amerikanische Dichter und Denker in Franken 1851–1901. Winston scheinen sie untergekommen zu sein, seine Landsleute; er ist genau der Mann, der die Schritte getan hätte, die sie damals getan haben, er ist genau der Typ. Dass er sie heute nachvollzogen hat, weiß ich, schließlich habe ich die Genese des Büchls miterlebt. Er ist nicht nur – buchstäblich – jedem Schritt nachgegangen, er bringt als Seelenverwandter seiner Vorfahren auch tatsächlich das Gespür für ihre Empfindungen mit. Und genau das macht das Büchl auch so lesenswert. Mehr noch als die verbürgten Eindrücke aus den Tagebüchern der Leute finde ich nämlich Winstons Mutmaßungen darüber, was sie an dem und dem Tag gemacht haben könnten.
Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass er [Mark Twain] einen Weg gefunden hat, vielleicht mit der Pferdebahn über das Hallertor zum Plärrer, um den Ludwigs-Eisenbahn-Brunnen zur Erinnerung an die Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnlinie (1835) zu besichtigen. Auch diese, erst im Oktober zuvor enthüllte Sehenswürdigkeit, war in der amerikanischen Presse nicht erwähnt worden.
oder
Twains ausgesprochenes Interesse an Mfartin Behaim dürfte ihn zweifelsohne zum Theresienplatz geführt haben, wo erst ein Jahr zuvor das Behaim-Denkmal enthüllt worden war, das die wichtigsten amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften mit keinem Wort erwähnt hatten.
Und stets sind diese Mutmaßungen mit eben den interessanten Fakten belegt, die den Betreffenden zu seinen Schritten inspiriert haben mussten – und die für den Kultivierten auch heute noch von Interesse sind:
Das Denkmal zeigt Behaim als geharnischten Ritter (einen tapferen Verteidiger der Mächte des Lichtes gegen die der Finsternis), wieder am Globus stehend, in den Händen die Symbole der Unbesiegbarkeit, wie auf dem Freskoporträt an der Fassade seines Geburtshauses, das unverkennbar dem Denkmal Pate gestanden hat. Zu seiner linken Seite sitzt die personifizierte Exakte Wissenschaft mit Lorbeerkranz, bescheidenem Mantel, auf dem Oberschenkel ein aufgeschlagenes Buch, das ein Astrolabium zeigt, ihr zu Füßen ein Buch von Regiomontanus, vermutlich die Ephemerides astronomicae, und eine Schriftrolle. Zu seiner Rechten sitzt der personifizierte Welthandel, auffallend kostbar gekleidet, ein Füllhorn voll Ananas, Mais und anderen exotischen Viktualien auskippend, Symbol für die Bereicherung des Lebens. Vermittelt wird die Maxime, dass wissenschaftliche Kenntnisse zum Wohlstand führen.
Interessant ist für mich als, wenn schon nicht gebürtigen Nürnberger, so doch als vor Zeiten hier Hängengebliebenen, dass Orte, wo man rasch mal hinspaziert, um sich im Sommer ein Weißbier zu gönnen, seinerzeit noch außerhalb der Stadt lagen und praktisch sonntägliche Ausflugsziele mit allerhand Lustbarkeiten bis hin zum Theater waren.
Aber natürlich ist Franken nicht nur Nürnberg und Twain, auf den ich mich hier beschränke, war vor allem in Franken Bayreuths wegen. Und während vermutlich jeder weiß, weshalb man Bayreuth besucht, war ihm mehr als an Wagner an einer Frau gelegen, deren Lebenserinnerungen er mit für die interessantesten hielt, die er je gelesen hatte. Mark Twain hatte eine Schwäche für Wilhelmine, die Markgräfin von Bayreuth, die 150 Jahre vor ihm als Fremde in Bayreuth Einzug gehalten hatte. Und Winston hat doch tatsächlich ein Fragment Twains ausgegraben, eine erste Skizze für einen Roman über die Tochter des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und Schwester von Friedrich dem Großen, die sich eigentlich bereits als Königin von England gesehen hatte, dann aber nur die Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth geworden war. Ihre Memoiren hatten es Twain angetan, und es wäre sicher interessant gewesen, sie als Hauptfigur von einem von Twain großen Romanentwürfen zu sehen. Das Fragment, das Wilhelmines für sie bitter enttäuschende Ankunft in Bayreuth schildert, liegt hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor.
Und wenn, so möchte ich noch anfügen, hier drinsteht, dass einer der Genannten um die & die Zeit mit dem & dem Zug in Nürnberg eintraf und in dem & und dem Gasthof in dem & dem Zimmer abstieg, dann dürfen Sie das auch glauben. weil ich weiß, dass der Autor die Fahrpläne gewälzt und die Gästebücher der Stadt studiert hat. Keiner hätte das besser machen können, als ein Amerikaner, der in Nürnberg – und im 19. Jh. – hängen geblieben ist.
Zu guter Letzt: Das Büchl ist mit allerhand zeitgenössischen Abbildungen geschmückt, die einem einen Eindruck von Nürnberg & Franken der Zeit geben, und mit zahlreichen Anmerkungen versehen, die zu weiterem Studium anregen.