Begleitend zu meiner neuen Kolumne über den Trend zum Schnitzer in der öffentlichen Übersetzung & der noch nervigeren Macke, diese Schnitzer gleich als modisches Deutsch nachzuplappern, möchte ich hier eine Fundsache aus dem vorletzten Jahrhundert reinstellen. Ich denke, die Parallelen & meine Absicht dahinter, das alte »Werkchen« hier zugänglich zu machen, werden alsbald auch ohne große Ausführungen meinerseits augenfällig. Ich bringe das Büchl in seiner vierten Auflage & stelle hier die Vorworte dazu vorneweg. Die etwas umständliche Schreibe des Herren mag sie zurecht altmodisch anmuten, aber genau das ist der zweite Zweck dieser Übung. Womöglich fällt dem einen oder anderen ja auf, dass wir nicht zuletzt aufgrund radebrechender Holperübersetzungen auf dem besten Weg zurück zu einem solchen Deutsch sind. Ich verweise auf die nervige Renaissance des Relativpronomens »welcher, welche, welches«.
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O’Clarus Hiebslac
Fellow of the German Athenaeum in London etc.
Englische Sprach-Schnitzer
Gebrauch lächerlicher, anstößiger, oft unanständiger Worte und Redensarten von Seiten englisch sprechender Deutscher.
Zur Belehrung Erwachsener.
Ein humoristischer Vortrag
gehalten im Londoner deutschen Athenäum
Vierte Auflage
Straßburg
Verlag von Karl J. Trübner
1896
[erstmals aufgelegt 1884]
Vorwort.
Auf wiederholte Aufforderung deutscher Freunde zu London, welche dem nachfolgenden Vortrage (5. Juni 1882) beigewohnt, wage ich es, denselben der Öffentlichkeit zu übergeben. Ich zögerte lange, fürchtend, daß vieles darin Vorkommende Anstoß geben dürfte. Da dachte ich aber, daß alles, was im Vortrag vorkommt – ohne Ausnahme – im Munde deutscher Damen und Herren in England zuerst Anstoß gegeben, und daß gerade die Veröffentlichung ihrer unbewußt und unbefangen gemachten Schnitzer manche Unschuldigen vor ähnlichem Unglück bewahren könnte. Dieser Gedanke besiegte meine Furcht.
Ich kleidete den Gegenstand in ein humoristisches Gewand, einmal, weil der Stoff an und für sich schon humoristischer Natur ist, dann auch, weil eine in dieser Form gegebene Belehrung und Warnung eine größere Wirkung hat, als in ernstem, trockenem, pedantischem Schulgewande.
Ich hielt es für zweckmäßig, der sprachlichen Arbeit noch einen Anhang beizufügen über deutsche Familiennamen in England, ferner über Verhaltungsregeln in der englischen Gesellschaft über englische Titel, Briefadressen und Anrede, welche letzteren Fremde oft erst nach längerem Aufenthalt in England kennen lernen.
So sende ich denn dieses Heftchen hinüber übers Meer nach dem schönen Deutschland, in welchem ich so manche glückliche Jahre meiner Kindheit und Jugend verlebt, das ich stets warm lieben werde, und hoffe, daß man das Büchlein mit nachsichtiger Güte aufnehmen und beurteilen möchte und strengen Ästhetikern die Worte ans Herz legend: Dem Reinen ist alles rein.
London, 1884.
O’Clarus Hiebslac
Vorwort zur zweiten Auflage.
Die Notwendigkeit einer zweiten Auflage, sechs Monate nach dem ersten Erscheinen dieses Heftchens, läßt mich annehmen, daß dasselbe sich einigermaßen als nützlich erwiesen hat und beruhigt mich hinsichtlich der gefürchteten Anstößigkeit mancher Beispiele. Der Zweck des Werkchens ist ja gerade Anstößigkeit in gebildeter Gesellschaft zu verhindern. Um aber dieses zu erreichen, konnte ich nicht umhin, Fehler anzuführen, welche von Seiten Unerfahrener in englischer Gesellschaft schon Anstoß erregt haben. Es stand mir kein anderer Weg offen für Belehrung. Zudem ist dieses Werkchen nicht für die Jugend, sondern nur für Erwachsene geschrieben. Es ist mir eine große Befriedigung, daß der Zweck dieser Arbeit von einer Zahl hochstehender deutscher Gelehrter und eminenter Schulmänner gewürdigt worden ist. »Sie haben«, – schreibt mir einer von letzteren, – in Form eines humoristischen Vortrags einen ungemein ernsten und wichtigen Gegenstand behandelt, denn gerade die von Ihnen aufgezählten Verstöße bilden eine wahre via crucis für den englisch sprechenden und schreibenden Deutschen, der sich, – und das ist das Fatalste bei der Sache, —— vorkommenden Falls nirgends Rates erholen kann. Sie schenken ihm in Ihrem prächtigen Büchlein ein verläßliches Vademecum, wofür er Ihnen gar nicht dankbar genug sein kann. Man muß derartige Sprachschnitzer selbst gemacht und die teils peinlichen, teils lächerlichen Wirkungen selbst gekostet haben, um Ihren sprachlichen Schutzengel nach Gebühr zu würdigen«.
London, November 1884.
O’Clavus Hiebslac.
Vorwort zur dritten Auflage.
Der rasche Absatz der zweiten Auflage dieses Werkchens, nachdem es vor zwei Jahren zuerst erschienen, sowie auch eine Anzahl günstiger Recensionen darüber, sind für mich ein Zeugnis seiner Nützlichkeit.
Es ist mir nicht möglich, hier Auszüge aus den verschiedenen journalistischen Besprechungen desselben zu geben. Ich beschränke mich daher auf zwei, auf welche ich Gewicht lege, da die erste von einem deutschen Schulmanne von Stellung, einem preußischen Gymnasial-Professor unterzeichnet ist, die andere in englischer Sprache, von einem gründlichen englischen Kritiker herrührt. Es heißt in der ersten u. a.: „Nach dem Durchlesen des Buches kam mir unwillkürlich der Gedanke: Wäre doch diese Arbeit ein Dutzend Jahre früher erschienen! Dann hättest du manche Unannehmlichkeit weniger gehabt; manches Erröten wäre dir erspart worden! — Bisher konnte ein Deutscher nur durch Schaden in dieser Hinsicht klug werden: ahnungslos, gebrauchte Wörter, wie sie Hiebslac anführt, — Erröten, Verlegenheit, Kichern waren die Folge, besonders wenn Damen zugegen waren; und oft wurde es ihm sehr schwer, den wahren Grund davon zu erfahren. Wer aber das angeführte Büchlein durchgearbeitet hat, der kann sich im Voraus vor solchen Lagen hüten. — Sehr nützlich für solche Deutschen, welche sich kürzere oder längere Zeit in England aufhalten wollen, sind auch die in der zweiten Hälfte des Buches gegebenen Ratschläge«.
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In der gütigen und anerkennenden englischen Kritik dieses Werkchens welche die darin enthaltenen Lehren für nützlich und richtig hält, sind ausnahmsweise in den Reimregeln (S. 46) einige Wörter gerügt worden: »which to an ordinary pure-minded English man or woman would convey no doubtful meaning whatever«. Ich stimme damit ganz überein. Daß dem aber in Schulen nicht so ist, haben wohl viele fremde Lehrer erfahren müssen. Ich gebe auf S. 42 ein Beispiel davon.
Die englische, sowie die deutsche Schuljugend ist aber nicht immer so »pure-minded« und für fremde Lehrer solcher ist gerade dies Heftchen teilweise bestimmt. Gar manche Lehrer haben sich durch Nichtkenntnis zweideutiger Worte in den Augen der Klasse lächerlich gemacht und so ihren Einfluß auf sie beeinträchtigt. Es ist aber nicht möglich, Lehren ohne Beispiele« zu geben und Entfernung zweideutiger Wörter aus dem Werkchen würde es seines Hauptzweckes berauben.
Ich führe hier zum Schlusse noch einige Worte von meinem inzwischen verstorbenen Universitätsfreunde Joseph Victor von Scheffel an.
Radolfzell 21. August 1885.
»Die englischen Sprachschnitzer haben mir auf dem langwierigen und langweiligen Krankenlager, das ich diesen Sommer zu erdulden hatte, viel Kurzweil und Belehrung gebracht … Möge der gute Humor des Mr. O’Clarus Hiebslac noch lange erhalten bleiben! Mit freundlichem Dank für die Zusendung«.
Scheffel.
Gegenwärtige dritte Auflage hat einige Zugaben erhalten und am Schlusse folgt noch eine Liste der im Englischen so gebräuchlichen Abkürzungen von Bezeichnungen von Titeln, Würden, Orden, Graden und andern Worten» welche in den mir bekannten Sprachwerken nicht zu finden sind und in der Regel erst nach langer Erfahrung dem in England weilenden Fremden verständlich werden.
London, Mai 1886.
O. H.
Vorwort zur vierten Auflage.
Meine kleine, bescheidene Schrift hat innerhalb elf Jahren vier Auflagen erlebt. Es läßt mich ihre gute Aufnahme annehmen, daß sie sich als nützlich erwiesen hat. Dieser Gedanke ist eine Beruhigung für mich, da ich lange gezögert hatte, die flüchtige, erst nur für eine kleine Gesellschaft im Londoner deutschen Athenäum bestimmte Arbeit, der Veröffentlichung zu übergeben. Ich hoffe, daß sie seit ihrem ersten Erscheinen manchem Deutschen in England Dienste geleistet hat. Was viele nur nach mühseligen, bisweilen unangenehmen Erfahrungen lernen können, wird darin von einem, der die Schule der Erfahrung durchgemacht, auf wenigen Seiten gelehrt. Den lieben Deutschen in England ein willkommener nützlicher Ratgeber zu sein, war der einzige Beweggrund der Abfassung und Veröffentlichung dieser Schrift.
Ich habe in dieser vierten Auflage keine Änderungen noch Vermehrungen vorgenommen, weil ich der Ansicht bin, daß das Büchlein in seiner gegenwärtigen knappen Form sich besser als Vade-mecum eignet, als ein dickes Buch.
London, den 18. Januar 1896.
O. H.
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Ach übrigens, das in Fraktur gesetzte alte Teil aus dem Jahre 1896 habe ich mit dem hier mal vorgestellten OCR-Programm Tesseract eingelesen. Das Ergebnis war verblüffend gut. Ganze Absätze so gut wie fehlerfrei. Sie finden das Büchl hier.