In dieser Kolumne dreht sich alles um mein Metier – das Übersetzen – und meine Probleme mit der Entwicklung, die mir das Übersetzen auf breiter Basis (an der Basis?) zu nehmen scheint. Da es hier – wie gesagt – um persönliche Eindrücke geht, ist es nur logisch, dass ich auf Aktuelles reagiere, das hier einzuarbeiten sich einfach aufdrängt. Diesmal sind es die Interviews zweier Kolleginnen, auf die ich hier hinweisen möchte. Sie haben zwar nicht eigentlich dasselbe Problem wie ich, teilen aber so offensichtlich meine Leidenschaft fürs Übersetzen, dass ihre Stimmen meine Argumentation dennoch untermauern. Lassen Sie mich also diesmal – entgegen der Ankündigung am Schluss der letzten Folge – über die Mühe beim Übersetzen sprechen…
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Aber vor meinem Plädoyer für mehr Mühe & Leidenschaft beim Übersetzen will ich mit mir und einer persönlichen Macke beginnen, um die es letztlich hier in der Hauptsache geht: meine massive Allergie gegen allzu wörtliche Übersetzungen. Und dass mich diese Allergie gern und oft übers Ziel hinausschießen lässt. Weshalb ich spätestens beim zweiten Durchgang meiner Übersetzungen immer wieder mal stutze, doch noch mal nachschaue, zurückrudere. Das will ich hier mal der Einfachheit halber als die Mühe bezeichnen, die man sich beim Übersetzen machen sollte – und die sich heute so viele so offensichtlich nicht mehr machen. Zum einen weil sie das Problem nicht zu sehen scheinen. Zum anderen, weil sie so offensichtlich meine Leidenschaft für den Beruf nicht teilen. Und hierzu möchte ich dann die beiden Kolleginnen zitieren.
Okay, ein simples Beispiel dafür, was ich meine, wenn ich sage, meine Allergie lässt mich zuweilen übers Ziel hinausschießen. Mir sträubte sich kürzlich ob folgender Fundsache das Nackenhaar – und nicht etwa wegen des Fotos, bei dem sich mir unweigerlich die Sprechblase »And here comes Stevie!« aufdrängt. Erschrecken Sie beim Anklicken nicht.
Bei dem Wort »verräterisch« war’s mir, als ziehe jemand die Fingernägel über eine Schiefertafel. Egal was da im Englischen steht, es steht da »treasonous«,1 ich hätte wahrscheinlich erst mal »konspirativ« genommen.
Aber bei genauerer Hinsicht, also spätestens beim dritten Durchgang, wenn alle Bezüge klar sind und sich der Text mit einem gewissen Abstand lesen lässt, wäre ich an der Stelle hängengeblieben und hätte noch mal nachgeschlagen. Da kann übrigens durchaus Zeit draufgehen. Unbezahlte Zeit. Und Zeit, die sich all die sparen, die mit dem wörtlichen »verräterisch« kein Problem haben. Trotzdem, ich stelle den Prozess hier mal verkürzt dar, das Prinzip, wenn Sie so wollen.
Da hier ein Amerikaner spricht, greife ich gern zu Webster oder Random House. Webster verweist unter »treasonous«2 auf »treasonable«
treasonable: relating to, consisting of, or involving treason: treasonable words3
Das lege ich dann an die eine oder maßgebliche deutsche Definition. Da ist meine erste Anlaufstelle der »Duden«, genauer gesagt, Das Große Wörterbuch der Deutschen Sprache…
Exkurs: Und um das hier mal einzuschieben: Es ist ja heute nicht mehr so, dass man da groß berappen müsste, wo einem im Web alles nachgeworfen wird. Ich habe anno dunnemals einen Tausender für die blaue 6‑bändige Ausgabe des Dudens abgedrückt, dann für die 8‑bändige rote Ausgabe nach der Rechtschreibreform noch mal einen Tausender & schließlich für die erste CD-Ausgabe 512 Euro.4 Nicht dass ich auch nur einen Pfennig davon bereut hätte. Aber vielleicht versteht man so eher den Ärger, wenn man sich von einem Lektorat »korrigieren« lassen muss, das einem, auf den Fehler der Korrektur hingewiesen, patzig sagt: »Es kann schließlich nicht jeder einen 10-bändigen Duden haben.«
Wenn ich diese wunderbare CD mal zitieren darf:
ver|rä|te|risch <Adj.> [spätmhd. verræterisch]: 1. einen Verrat (1, 2) darstellend; auf Verrat zielend, mit einem Verrat verbunden: ‑e Pläne, Absichten, Handlungen; er wurde verurteilt wegen seiner ‑en Beziehungen zum Gegner; Sowjetische Bomber luden hier ihre mörderische Fracht ab, um … die Gefangenen an ‑en Aussagen zu hindern (Hörzu 37, 1981, 14). 2. etw. [ungewollt] verraten (3 a), erkennen, deutlich werden lassend: eine ‑e Geste, Bewegung, Miene; die Röte in ihrem Gesicht war v.; Er hoffte, nur ihm selber sei aufgefallen, welch v. heiseren Klang seine Stimme hatte (Sebastian, Krankenhaus 121); um ihre Mundwinkel zuckte es v.5
Die erste Definition deckt sich also durchaus mit der des Webster für »treasonous«.Und auch die angeführten Zitate entsprechen denen aus dem Webster. Und trotzdem stört es mich, dieses »verräterisch«. Ich möchte das hier nicht zu weit treiben, damit mir niemand wegnickt, aber für mich ist »verräterisch« vermutlich von Kindheit an & auf immer und ewig von Edgar Allan Poes Geschichte »Das verräterische Herz« (»The tell-tale Heart«) geprägt und entspricht damit der zweiten Definition des Dudens. Es hat mir also weniger mit »Hochverrat« zu tun, als mit »einer verräterischen Geste, Bewegung, Miene« und der verräterischen »Röte in ihrem Gesicht«.
Und wenn Sie mich jetzt fragen, was hat denn bei sachlichen Definitionen »dem sein Gefühl« zu suchen, dann sind wir wieder bei dem, worum es hier geht: um das Sprachgefühl für unsere Muttersprache, das uns abhanden zu kommen scheint. Und wo wir schon dabei sind: Es dauert Jahre, bis man ein solches Gefühl für die Fremdsprache entwickelt, aus der man übersetzt, ohne das es aber eben nicht geht. Doch davon ein andermal. Und mein Sprachgefühl würde mich in unserem Beispiel – Poe hin oder her – immer noch nicht zu »verräterisch« greifen lassen. Es scheint mir im Deutschen in diesem Kontext immer noch nicht idiomatisch genug. Ich hätte meine erste Lösung – »konspirativ« – vermutlich durch »Verrat« oder »Landesverrat« besser »Hochverrat« ersetzt. Was Trump da gemacht hat, war Hochverrat. Genau das nämlich hat Bannon gemeint.
Aber eigentlich wollte ich hier nur zeigen, dass Übersetzen Arbeit ist und entsprechend Mühe macht. Dass das Problem in meiner Datenbank gelandet ist, wird mir diese Arbeit ersparen, sollte ich mich tatsächlich mal in einer Übersetzung damit konfrontiert sehen. Und dass ich mir die Arbeit gemacht habe, ohne eigentlich mit dem Problem konfrontiert zu sein, ist eben reine Liebesmüh, Interesse, Leidenschaft. Was mich auf die Interviews der beiden geschätzten Kolleginnen bringt. Die besagen nämlich, dass ich zumindest mit meiner Leidenschaft nicht so alleine bin, wie Sie vielleicht denken.6
Sie können das Interview mit Patricia Klobusiczky, die ich schon deshalb als Seelenverwandte sehe, weil sie wie ich nie was anderes hat werden wollen als Übersetzerin, bei Medium selbst nachlesen. Ich möchte hier nur daraus zitieren:
Dieser Beruf lehrt einen Sehen, Hören, überhaupt alle Arten der Wahrnehmung, und er zeigt, was Sprache alles kann, in der Ausgangs- wie in der Zielsprache… die meisten [Übersetzer] verbindet eine Mischung aus Akribie und Treue gegenüber dem Original und anarchischem Freiheitsdrang. Man muss ja die Möglichkeiten des Deutschen tagtäglich ausreizen und ausloten und gegebenenfalls erweitern. Ideal ist also die Verknüpfung von manischer Genauigkeit mit unbändiger Spielfreude.
Sehen Sie, genau das, was ich sagen will. Nur drückt sie das weit besser & verständlicher aus als ich – schon weil ihr nicht mein 30-jähriger Frust mit dem Lektorat zwischen die Synapsen gerät. Ein Lektorat, das nicht versteht, warum man das Handtuch wirft, nachdem man gesagt bekommt »Man schaut doch beim Redigieren nicht ins Original.« Mit »Original« war der Ausgangstext gemeint. Mit anderen Worten, hier zählen weder die Mühe des Autors, noch die des Übersetzers. Warum sollte ich mit dem Ergebnis von soviel linkshändiger »Mühelosigkeit« nochmal Zeit verschwenden wollen? Um die Rechtschreibfehler der Betreffenden zu korrigieren? Aber von diesem Ins-Handwerk-Pfuschen ein andermal mehr.
Lesen Sie das Interview, wirklich. Ich werde sicher hier noch öfter drauf verweisen. Es erspart mir eine Menge Arbeit; ich kann mich hier auf meine persönlichen Moniten an der Branche konzentrieren.
Das zweite Interview, das ich Ihnen in diesem Zusammenhang ans Herz legen möchte, führte der Deutschlandfunk mit der Kollegin Karin Krieger. Auch hier kommt die Leidenschaft fürs Metier durch:
Man wird fast aufgefressen von diesem Text… [Elena] Ferrante wählt ganz bewusst eine sehr nüchterne Sprache, für mich als Übersetzerin manchmal fast schmerzhaft nüchtern, weil sie mit dieser …, also, was so ein Kontrast ist zwischen dem, was sie erzählt, eben zwischen diesen vielen Geschichten, zwischen diesen auch unglaublich aufgeladenen Situationen, die sie schildert, und macht das aber eben nicht mit einer aufgeladenen Sprache, wozu es mich dann manchmal reizt als Übersetzerin, dass ich dann eben auch feurige Wörter verwende, wenn es um eine feurige Sache geht, und genau das macht sie nicht. Sie setzt dem eine sehr nüchterne Sprache entgegen, die aber dem Buch diese Authentizität verleiht. Also ich fühle mich als Leser nie hintergangen, ich fühle mich nie manipuliert, sondern ich merke, sie versucht, ganz dicht an der Wahrheit, an der Wirklichkeit entlang zu schreiben, und sie wechselt dabei sehr stark ab.
Verstehen Sie? Übersetzen ist um so Vieles mehr, als nur nach Wörtern zu googlen und die dann haste, was kannste aneinanderzureihen. Und wenn Sie sich jetzt sagen: Was quatscht der denn von wegen, die Übersetzerei geht den Bach runter? Bei solchem Engagement? Tja, zum einen haben die Kolleginnen offensichtlich andere Erfahrungen mit dem Lektorat als ich. Bei mir wurden Einfühlungsvernögen in den Text und Spielfreude noch immer mit 08/11-Korrekturen, wenn ich Glück hatte, meist aber schlicht mit Fehlern oder absolutem Quatsch geahndet. Und dann ist da wohl auch noch die Kluft zwischen literarischen Höhen und Übersetzungen für den Alltagsgebrauch, die mir auf das Sprachgefühl stärker zu wirken scheinen als das gute Buch. Und wie lange dann Letzteres noch genügend Leute lesen mögen, um eine Auflage zu rechtfertigen?
Aber ich weiß das noch nicht so recht – genau hier hoffe ich ja Licht reinzubringen. Deshalb mache ich mir die Mühe…
- »Donald Trump’s former chief strategist Steve Bannon has described the Trump Tower meeting between the president’s son and a group of Russians during the 2016 election campaign as “treasonous” and “unpatriotic”, according to an explosive new book seen by the Guardian.« https://www.theguardian.com/us-news/2018/jan/03/donald-trump-russia-steve-bannon-michael-wolff. [↩]
- https://www.merriam-webster.com/dictionary/treasonous [↩]
- https://www.merriam-webster.com/dictionary/treasonable [↩]
- Jetzt gibt’s die ja für einen Bruchteil dieser Summe. [↩]
- Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache © 2000 Dudenverlag [↩]
- Auch wenn sie den Rest meiner Probleme nicht unbedingt teilen. [↩]