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Das geils­te Wort überhaupt!

Mit­te der Six­ties star­te­te ein – an sich uraltes – klei­nes Wört­chen eine ganz neue Kar­rie­re: »geil« – und zwar im Sin­ne von »her­vor­ra­gend, sym­pa­thisch«.1 Schlägt man nach, liest man allent­hal­ben, der Ursprung des Wört­chens, das heu­te belieb­ter ist denn je, lie­ge in der Bedeu­tung von üppig wach­send oder wuchernd und ähn­li­chen. Aber bei noch genaue­rem Hin­se­hen lässt sich fest­stel­len, dass dies kei­nes­wegs des Adjek­tivs aller Anfang, son­dern selbst bereits eine Wei­ter­ent­wick­lung aus des­sen ursprüng­li­cher Bedeu­tung ist.2

Tippt man heu­te in Goog­le »ist das geil oder was« ein, bekommt man weit über 40.000 Fund­stel­len. Und auch wenn da eine Men­ge Dou­blet­ten dabei sein dürf­ten, es han­delt sich ja um einen – jeden­falls für heu­ti­ge Begrif­fe – durch­aus kom­ple­xen Satz. Die Bedeu­tung des Sätz­chens jedoch ist für jeden Zeit­ge­nos­sen ein­deu­tig: »Fin­dest du das nicht auch groß­ar­tig, spit­ze, pri­ma, toll, mega, rie­sig, krass, fan­tas­tisch, duf­te, eins‑a?« Oder was immer Ihnen sonst noch an Syn­ony­men für »groß­ar­tig« gera­de so ein­fal­len mag. 

Und dabei ist das Wört­chen weit über 1000 Jah­re alt. Wenn auch nicht in der eben genann­ten Bedeutung … 

Nur um uns eine Vor­stel­lung davon zu machen, wie alt das klei­ne Eigen­schafts­wort »geil« als sol­ches schon ist: Das Alt­hoch­deut­sche, ich zitie­re mal: »kei­ne ein­heit­li­che Spra­che, son­dern eine Grup­pe eng ver­wand­ter und wech­sel­sei­tig gut ver­steh­ba­rer west­ger­ma­ni­scher Dia­lek­te, die süd­lich der soge­nann­ten ›Ben­ra­ther Linie‹3 gespro­chen wur­den«. Aber kei­ne Ban­ge, was uns inter­es­siert ist nur das hier: »Spre­cher: seit ca. 1050 kei­ne mehr«. Nun, ein Alt­hoch­deut­sches Stan­dard­werk bie­tet uns Fol­gen­des:4

geil

1) hoch­mü­tig, über­heb­lich
2) leicht­fer­tig, frech
3) trot­zig, unge­stüm, unbän­dig5

Ver­ges­sen wir nicht, dass »geil«, wo man auch heu­te so nach­schla­gen mag, immer von »üppig wach­send«, »wuchernd« etc. abge­lei­tet wird. Geht man jedoch wei­ter zurück, wird umge­kehrt ein Schuh draus. Und selbst die »anstö­ßi­ge« Bedeu­tung »lüs­tern«, die das Wort immer noch pro­ble­ma­tisch zu machen scheint, ist damit wenigs­tens so alt, wenn nicht älter als der Bezug zu einer ins Kraut schie­ßen­den Natur. Inter­es­sant ist, dass selbst das Alt­hoch­deut­sche die­se Bedeu­tung, wenn auch als Sub­stan­tiv, bereits kennt: 

4) im Sexu­al­be­reich: Sub­stan­tiv: der Gie­ri­ge, Lüs­ter­ne: pec­ca­tor a peli­ce, id est mere­tri­ce . petul­cus gei­ler ab appe­ten­do; unde et mere­tri­ces petul­cas dicun­tur …6

Ob der »Sün­der«, das näm­lich ist ein peca­tor, auch fürs damals womög­lich gar nicht so zar­te Geschlecht galt? Ich gehe jedoch davon aus, wenn man sich die – hier aus­ge­mus­ter­ten – Zita­te spä­te­rer Wör­ter­bü­cher ansieht. Wie auch immer, zu den erst­ge­nann­ten Bedeu­tun­gen fin­det sich eine net­te Ablei­tung in dem Verb »geilên«:

1) dreist, über­mü­tig wer­den: cai­lan inso­le­s­ce­re Gl 1,186,11.
2) prah­len, sich mit etw. brüs­ten, sich einer Sache rüh­men: …
3) jubeln über jmdn., (vor Freu­de) auf­sprin­gen, froh­lo­cken6

Spa­zie­ren wir ein paar Jähr­chen wei­ter. Das Mit­tel­hoch­deutsche – »sprach­his­to­risch jene Sprach­stu­fe des Deut­schen, die in ver­schie­de­nen Varie­tä­ten zwi­schen 1050 und 1350 im ober- und mit­tel­deut­schen Raum gespro­chen wur­de … ent­spricht in etwa dem Hoch­mit­tel­al­ter«. Uns inter­es­siert hier wie­der nur: »Spre­cher: kei­ne mehr«. Kon­sul­tie­ren wir mal den Lexer. Wir fin­den wie­der ein Substantiv: 

geil stn. ( BMZ I. 494b) lus­tig­keit, fröh­lich­keit Ring 38d, 43. in gei­le Buch d. r. 934. mit gei­len Loh …; lus­ti­ges wachs­tum, wucher Ls.; hode Ms. Karaj. 94,3. wol­ves geil Albr. 57d. s. Lexer gei­le;

gei­le adj.… 

gei­le, geil stf. ( BMZ ib.) üppig­keit. er sol von sîner gei­le komen … des bou­mes gei­le Pries­terl …; fet­ter, frucht­ba­rer boden, acker­land Ls. (2. 473,31); lus­tig­keit, fröh­lich­keitüber­mut

gei­len swv. .… intr.über­mü­tig, aus­ge­las­sen sein. zwei geil­ten mit ein­an­der … tr.froh machen … — refl.sich freu­en, erlus­ti­gen …mit gen. Frl. des sich ir her­ze gei­let …; lus­tig wach­sen u. wuchern … — mit durch- (sît sich mîn sin durch­gei­let an disem sel­ben mære Rein­fr. 111b), er‑, ver-.

geil-heit stf. ( BMZ I. 495a) fröh­li­che tap­fer­keit Gr. Rud.; lasci­via, scurrilitas … 

geil-haft adj. s. v. a. Lexer geil. des vater unde muo­ter dô geil­haf­ter freu­den wur­den …
gei­lie­ren swv. über­mü­tig, aus­ge­las­sen sein, auf genuss aus­ge­hen. mein esel gei­liert auf der pan (obscön) …
geil-lîche adv. ( BMZ I. 495b) fröh­lich Reinh.; gei­lich, frucht­ber­lich, reich­lich, …
geil­sen swv. … intr.fröh­lich sein. …; refl. mit gen.sich freu­en über ib. 231,81.7

Dane­ben fin­den sich auch die Bedeu­tungs­nu­an­ce »natur­frisch u. ä., von fri­schem lebens­mu­te, der aus beson­de­rer kraft, strot­zen­der kraft­fül­le flieszt und von die­ser selber«. 

Das alles, wie gesagt, im Gro­ßen und Gan­zen ganz harm­los und von kei­nem schlech­ten Gedan­ken getrübt; die sind eher noch Neben­sa­che. Die Grimms fas­sen das alles recht lapi­dar zusam­men, indem sie schrei­ben, die »Ent­ar­tung« des arg­lo­sen Wört­chens habe mit der Wen­dung »zu geil wer­den« ihren Lauf genom­men. Sie ahnen es bereits, lie­be Leser: Hier begann das Wört­chen der Hafer zu stechen. 

e) die linie, die zum heu­te her­schen­den begrif­fe führ­te, betritt es in zu geil wer­den, also ein über­schrei­ben der alten mah­nung, in züh­ten gemeit8 zu sein …9

Nur zum Ver­ständ­nis die­ser Defi­ni­ti­on zwei Wör­ter aus einem mit­tel­hoch­deut­schen Vokalheft: 

zuht st.F. (gute, edle) Erzie­hung, Bil­dung; Wohl­erzo­gen­heit, Anstand, Höf­lich­keit.
gemeit Adj. (lebens-) froh, hei­ter, schön, erfreu­lich.10

Höfi­sche Erzie­hung (kin­des zuht) besingt Vogel­wei­de … Unter Kon­trol­le sol­len bei einer gut erzo­ge­nen Per­son die Zun­ge, Augen und Ohren gestellt wer­den. Höfi­sche Rede­kul­tur bedeu­te­te „mit züh­ten spre­chen“ … und anstän­di­ge Wor­te benut­zen „si sulen haben kiuschiu wort“ …11

Wer also nicht mit Anstand »geil« – sprich froh und hei­ter ist, der ist »zu geil«, schlägt mit ande­ren Wor­ten über die Strän­ge, über­spannt den Bogen. Hier kippt die Bedeu­tung ins Nega­ti­ve um. Was anschei­nend für den Men­schen gilt wie für die Natur. Kräf­tig gedei­hen und wuchern sind ja durch­aus unter­schied­lich besetzt. 

Fort­set­zung folgt … 

  1. Küp­per, Wör­ter­buch der deut­schen Umgangs­spra­che: Jugend 1965ff. []
  2. Da es hier nicht um Sprach­wis­sen­schaft, son­dern ledig­lich um die Dar­stel­lung eines Fakts an sich geht, ver­su­che ich mich hier auf das Nötigs­te zu beschrän­ken. Um sich da nicht all­zu fest­zu­fah­ren, muss man die zum Teil recht umfang­rei­chen Wör­ter­buch­ein­trä­ge kräf­tig ent­rüm­peln. []
  3. die heu­te von Düs­sel­dorf-Ben­rath unge­fähr in west-öst­li­cher Rich­tung ver­läuft []
  4. Die fol­gen­den Zita­te sind alle­samt stark ent­rüm­pelt, das alte »sz«, sofern ange­zeigt durch »ß« ersetzt. Die Lek­tü­re soll ja nicht nur kurz­wei­lig sein, es soll auch etwas hän­gen­blei­ben. []
  5. AWB = Alt­hoch­deut­sches Wör­ter­buch. Auf Grund der von Eli­as v. Stein­mey­er hin­ter­las­se­nen Samm­lun­gen im Auf­trag der Säch­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten zu Leip­zig. Bear­bei­tet und her­aus­ge­ge­ben von Eli­sa­beth Karg-Gas­ter­städt und Theo­dor Frings. Leip­zig 1952–2015ff. []
  6. ebd. [] []
  7. Mit­tel­hoch­deut­sches Hand­wör­ter­buch von Mat­thi­as Lexer, digi­ta­li­sier­te Fas­sung im Wör­ter­buch­netz des Trier Cen­ter for Digi­tal Huma­ni­ties, Ver­si­on 01/23, https://www.woerterbuchnetz.de/Lexer, abge­ru­fen am 16.01.2023. []
  8. gemeit []
  9. Grimm DWB []
  10. Voka­bel­lis­te: — TU Dres­den https://tu-dresden.de › slk › mate­ria­li­en › vokabeln.pdf []
  11. Dmy­t­ro Bab­ko, Der Schimpf­wort­schatz in Erec Hart­manns von Aue []

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