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König Leo­polds Selbst­ge­spräch (2)

Mark Twa­in brach­te 1905 — mit all der ihm gemein­hin zuge­schrie­be­nen Nai­vi­tät — sein Ent­set­zen über die ruch­bar gewor­de­nen Gräu­el zum Aus­druck, die man im Namen des bel­gi­schen Königs Leo­pold II. im Kon­go beging. Er tat dies in Form eines fik­ti­ven Mono­logs, in dem der König sei­ne Hand­lungs­wei­se auf him­mel­schrei­en­de Wei­se zu recht­fer­ti­gen ver­sucht. Es han­delt sich hier um ein Stück — durch­aus bru­ta­ler — Sati­re, wie man sie heu­te, wie’s aus­sieht, lei­der kaum noch fin­det. Sati­ri­ker wür­den sich denn ja auch gleich von min­des­tens zwei Sei­ten kri­ti­siert bis bedroht sehen

… von den Kri­ti­sier­ten und einem poli­tisch ach so kor­rek­ten Mob, der Respekt vor jedem Schläch­ter ver­langt, zumal wenn er »reli­gi­ös« moti­viert ist, wie das blut­rüns­ti­ge Gesin­del in Tehe­ran, das seit Jahr­zehn­ten im Namen einer gött­li­chen Ord­nung ver­folgt, fol­tert, mor­det. Ein Regime, das einen Sal­man Rush­die — einen bri­ti­schen Staats­bür­ger oben­drein! — zum Tode ver­ur­teil­te, und das noch nicht mal eini­ger klei­ner Scher­ze in einem Roman wegen, son­dern letzt­lich weil das Regime ein Hühn­chen mit den Bri­ten zu rup­fen hat­te. Wenn Reli­gi­on Staats­macht erlangt, ist es nicht nur ein­fach, gegen Anders­gläu­bi­ge und Anders­den­ken­de im Namen einer gött­li­chen Ord­nung anzu­ge­hen, es ist auch ein­fach, selbst das schä­bigs­te Eigen­in­ter­es­se mit die­ser gött­li­chen Ord­nung zu verbrämen. 

In die­ser zwei­ten Por­ti­on von Leo­polds zyni­schem Mono­log pas­siert genau das: Leo­pold bezeich­net sich als ein von Gott ein­ge­setz­ter und damit über jede Kri­tik erha­be­ner Sou­ve­rän. Jede Kri­tik an ihm kommt einer Got­tes­läs­te­rung gleich. 

Eher wit­zig ist, dass Twa­in, der ame­ri­ka­ni­sche Patri­ot, sich offen­sicht­lich selbst auf den Schlips getre­ten fühl­te, weil Leo­pold wohl als ers­te die Ame­ri­ka­ner dazu gebracht hat­te, vor sei­ner im Kon­go gehiss­ten Flag­ge zu salutieren. 

Mark Twa­in

König Leo­polds Selbst­ge­spräch
Eine Ver­tei­di­gung sei­ner Herr­schaft im Kongo

1905

in der Über­set­zung von Bern­hard Schmid © 20231

»Ein Denk­mal zur Ver­ewi­gung mei­nes Namens.« —

[Fort­set­zung von hier]

Die­se Kanail­len – alles plau­dern sie aus! Oh ja, alles: dass ich mit Trä­nen in den Augen von einer Groß­macht zur ande­ren gepil­gert bin, die Bibel im Mund, jede Pore mei­nes Fells Fröm­mig­keit schwit­zend, und eine wie die ande­re fle­hent­lich bat, mir – als ihrem Statt­hal­ter – den rie­si­gen, rei­chen und dicht bevöl­ker­ten Frei­staat Kon­go anzu­ver­trau­en, auf dass ich Skla­ve­rei und Skla­ven­jagd aus­mer­ze und die­se fünf­und­zwan­zig Mil­lio­nen sanft­mü­ti­ger und unschul­di­ger Schwar­zer aus der Fins­ter­nis ins Licht hebe, — das Licht unse­res geseg­ne­ten Erlö­sers, das Licht, das sei­nem hei­li­gen Wort ent­strömt, das Licht, das unse­re edle Zivi­li­sa­ti­on so glor­reich macht, — auf dass ich sie empor­he­ben, ihre Trä­nen trock­nen und ihre geschun­de­nen Her­zen mit Freu­de und Dank­bar­keit erfül­len kann, — auf dass ich sie empor­he­ben und ihnen begreif­lich machen kann, dass sie nicht län­ger Aus­ge­sto­ße­ne und Ver­las­se­ne, son­dern unse­re Brü­der in Chris­tus sind; dass Ame­ri­ka und drei­zehn gro­ße euro­päi­sche Staa­ten sich — voll Mit­ge­fühl mit mir wei­nend — über­zeu­gen lie­ßen; dass ihre Ver­tre­ter sich in Ber­lin zu einer Kon­fe­renz tra­fen und mich zum Ober­auf­se­her und Super­in­ten­den­ten des Staa­tes Kon­go bestall­ten, dabei unter größ­ter Sorg­falt mei­ne Befug­nis­se und Gren­zen fest­leg­ten, um Leib, Leben, Frei­hei­ten und Eigen­tum der Ein­ge­bo­re­nen vor Scha­den und Ver­let­zun­gen zu bewah­ren; dass sie Gerich­te ein­setz­ten; dass sie den Han­del mit Whis­ky und Waf­fen ver­bo­ten, sons­ti­gen Han­del für die Kauf­leu­te und Händ­ler aller Natio­nen unum­schränkt frei­ga­ben; und dass sie die Mis­sio­na­re aller Glau­bens­rich­tun­gen und Kon­fes­sio­nen will­kom­men hie­ßen und zu schüt­zen ver­spra­chen. So schrie­ben sie über Pla­nung und Vor­be­rei­tung mei­nes dor­ti­gen Estab­lish­ments, über die Aus­wahl mei­ner Beam­ten­schar — »Kum­pa­ne« und »Zuhäl­ter« von mir, alle­samt »abscheu­li­che Bel­gi­er« — dar­über, dass ich mei­ne Flag­ge auf­ge­zo­gen und einen Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten »behumpst« hät­te, sie als ers­ter anzu­er­ken­nen und vor ihr zu salu­tie­ren. Sol­len sie mich doch einen Lum­pen schimp­fen, wenn sie wol­len; allein der Gedan­ke, eine Spur zu cle­ver gewe­sen zu sein für die­se Nati­on, die sich für ach so cle­ver hält, ist mir eine tie­fe Genug­tu­ung. Ja doch, ich habe in der Tat einen Yan­kee aus­ge­schmiert – wie die Leu­te dort sagen. Pira­ten­flag­ge? Sol­len sie es ruhig so nen­nen — viel­leicht ist sie das ja. Jeden­falls haben sie als ers­te davor salu­tiert.

»Jeden­falls haben sie als ers­te davor salutiert.«

Die­se ame­ri­ka­ni­schen Mis­sio­na­re, so was von läs­tig! die­se bri­ti­schen Kon­suln, so was von unver­blümt! die­se geschwät­zi­gen Ver­rä­ter unter der bel­gi­schen Beam­ten­schaft! — die­se lei­di­gen Papa­gei­en, die in einem fort reden, in einem fort aus der Schu­le plau­dern. So haben sie gesagt, dass ich den Kon­go­staat zwan­zig Jah­re lang nicht als Treu­hän­der der Mäch­te, nicht als deren Agent, nicht als Unter­ge­be­ner, nicht als Auf­se­her regiert hät­te, son­dern als Sou­ve­rän — als Sou­ve­rän über ein frucht­ba­res Gebiet vom vier­fa­chen Aus­maß des Deut­schen Rei­ches, — als abso­lu­ter, nie­man­dem ver­ant­wort­li­cher, über jedes Gesetz erha­be­ner Sou­ve­rän, der das Ber­li­ner Abkom­men über den Kon­go mit Füßen getre­ten hät­te; der alle aus­wär­ti­gen Han­dels­leu­te außer mei­ner eige­nen Per­son aus­ge­schlos­sen hät­te; der den Han­del mit­tels Kon­zes­sio­nä­ren, alle­samt mei­ne Krea­tu­ren und Ver­bün­de­ten, an sich geris­sen hät­te. Ich hät­te Besitz ergrif­fen von die­sem Staat, als mein ganz per­sön­li­ches und allei­ni­ges Eigen­tum; ich wür­de die Gesamt­heit sei­ner unge­heu­ren Ein­künf­te als mei­ne pri­va­te »Beu­te« betrach­ten — mei­ne und mei­ne allein; ich wür­de Mil­lio­nen von Men­schen dort als mein Pri­vat­ei­gen­tum, als mei­ne Leib­ei­ge­nen bean­spru­chen, sie als mei­ne Skla­ven hal­ten; deren Arbeit, bezahlt oder unbe­zahlt, die von ihnen ange­bau­ten Nah­rungs­mit­tel gehör­ten nicht ihnen, son­dern mir; der Kau­tschuk, das Elfen­bein und alle ande­ren Reich­tü­mer des Lan­des gehör­ten mir – mir allein – und wür­den für mich von Män­nern, Frau­en und klei­nen Kin­dern gesam­melt, — unter Andro­hung von Peit­sche, Kugel, Feu­er, Hun­ger, Ver­stüm­me­lung und dem Strang.

Die­ses Unge­zie­fer! — es ist, wie ich sage, sie haben nichts, aber auch rein gar nichts zurück­be­hal­ten! Sie haben die­se und noch wei­te­re Ein­zel­hei­ten ent­hüllt, über die sie schon aus Scham hät­ten schwei­gen müs­sen, schließ­lich han­delt es sich dabei um Ent­hül­lun­gen über einen König, eine hei­li­ge Per­sön­lich­keit, die auf­grund sei­ner Wahl und Ernen­nung zu sei­nem gro­ßen Amt durch Gott selbst immun gegen Vor­wür­fe ist; einen König, des­sen Hand­lungs­wei­se nicht kri­ti­siert wer­den kann, ohne Gott selbst zu läs­tern. Hat Gott sie nicht selbst von Anfang an im Auge gehabt, ohne Unzu­frie­den­heit zu äußern, ohne sie zu miss­bil­li­gen, ohne sie in irgend­ei­ner Wei­se zu hem­men oder ihnen gar ein Ende zu machen? Das sind für mich Zei­chen sei­ner Bil­li­gung des­sen, was ich getan habe, sei­ner tief emp­fun­de­nen, freu­di­gen Bil­li­gung, das darf ich wohl sagen. Mit die­ser gro­ßen Aus­zeich­nung geseg­net, gekrönt, selig mit die­ser gol­de­nen, die­ser unsag­bar kost­ba­ren Aus­zeich­nung, – was küm­mert es mich, wenn Men­schen mich ver­flu­chen und schmä­hen? [mit einem plötz­li­chen Gefühls­aus­bruch] Mögen sie eine Mil­li­on Äonen rös­ten in — [er beginnt schwer zu atmen, über­zieht das Kru­zi­fix mit über­schwäng­li­chen Küs­sen und mur­melt dann kum­mer­voll: »Die­se indis­kre­ten Wor­te brin­gen mir noch die ewi­ge Ver­damm­nis ein.«]

[Fort­set­zung hier]

  1. THE P. R. WARREN CO., BOSTON, MASS. 1905, Copy­right, 1905 By Samu­el L. Cle­mens; ein Ori­gi­nal des gemein­frei­en Tex­tes fin­den Sie hier []

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