E.B. Tylor – Linguistische Aspekte des Slang (7)
Macmillan’s Magazine, Vol. XXIX (1873–74) pp. 502–513
Übersetzung © Bernhard Schmid
(Fortsetzung von)
So manches Wort, dessen hohes Alter durch seine Überlieferung in der Literatur oder das nahezu gleichwertige Zeugnis seiner Verbreitung in regionalen Dialekten erwiesen ist, findet im Alter ein Zuhause und manchmal sogar eine Erneuerung seiner Jugend im Slangwörterbuch. So verhält es sich mit dem Verb to lift in seiner alten Bedeutung von stehlen; es ist aus dem modernen Gebrauch verschwunden und der guten Gesellschaft hauptsächlich durch Geschichten über die ausgestorbene Rasse der schottischen Grenzheroen bekannt, bei denen lifting sich auf den Diebstahl von Herden bezog. Das Diebesvolk der modernen Stadt jedoch behielt es in seinem Jargon. »There’s a clock been lifted« bedeutet laut Hotten, dass eine Uhr gestohlen wurde. Aus dem Slang der Diebe hat das Wort mit »shoplifting« zurück in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden; es bedeutet nun, unter dem Vorwand, etwas zu kaufen, von der Ladentheke zu stehlen.[1]
To tout ist ein gutes altes Wort mit der Bedeutung schnüffeln, spähen, Ausschau halten; to tote in hieß in der alten Zeit, dass ein Mann in einer Schenke vorbeischaute; to toot hieß, im Gebüsch nach Vögeln zu spähen; dann wandte man es speziell auf Männer an, die Händler und Ladenbesitzer losschickten, um sich auf der Hauptstraße nach Kundschaft umzusehen; und so ist es denn zum Slang abgesunken. Halliwell nennt das Wort tommy mit der Bedeutung Proviant und schreibt es verschiedenen Dialekten zu. Es ist gegenwärtig in der Schicht der Bau- und Erdarbeiter geläufig und scheint speziell zu den Iren gehören. Vor etwa einem Jahr schlug ein gewisser Hugh Hagan einem unehelichen Kind mit einem Kantholz auf den Kopf; er hatte der Mutter des Kindes, bevor er es getötet hatte, gesagt: »Der Balg sollte nicht leben, da er guten Kindern ihr tommy weg frisst.« So haben wir den Namen einer Einrichtung, die politische Ökonomen so recht mit Abscheu erfüllt: die Firma, dessen Arbeiter einen Teil ihrer Einkünfte in Naturalien, insbesondere in tommy, also Lebensmitteln, nehmen müssen, was denn zu dem Begriff tommy-shop geführt hat.[2] Weiters, der Clown, der behauptet, »that’s a swinging lie« und der Anwalt, der für seinen Mandanten »exemplary and swingeing damages« fordert; beide bedienen sich beide eines Wortes, das heute ein Slangausdruck von kraftvollem Klange ist, aber dessen Erklärung sie wahrscheinlich vor ein Rätsel stellen würde. Dieser Sinn würde im modernen Slang durch »a whopping lie« und »whacking damages« ausgedrückt, da swinging oder swingeing oder swinjin (die letzten beiden geben die korrekte Aussprache wieder) das Partizip des altenglischen Verbums to swinge i.e. kräftig schlagen ist:
“An often dede him sore swinge.”
Um ein letztes Beispiel dieser altertümlichen Gruppe anzuführen, gäbe es nicht das Slangwort cockney, wir hätten das wunderliche Land Cokaygne, französisch Cocagne, italienisch Cuccagna, so gut wie vergessen, so benannt, weil die Dächer der Häuser dort mit cakes gedeckt waren (ein cake ist im katalanischen coca, in der Pocardie couque, in Deutschland Kuchen, in Schottland und Amerika cookie, die allesamt vom lateinischen coquere abstammen). Nirgendwo unter dem Firmament hat es je ein Land wie Cocaigne gegeben, wo es bestes Fleisch und Getränke für jedermann gab und jeder willkommen war, wo es keine Nacht gab und kein schlechtes Wetter und nie einer stritt und auch keiner starb und alle für alle Ewigkeit herrlich und in Freuden lebten. Die folgenden Zeilen, in Mr. Thomas Wrights »St. Patrick’s Purgatory« zitiert, beschreiben die ganz eigene Architektur, der Cocaigne seinen Namen verdankt:
“Ther is a wel fair abbei
Of white monkes and of grei.
Ther beth bowris and halles:
Al of pasteiis beth the walles,
Of fleis, of fisse, and rich met,
The likfullist that man mai et;
Fluren cakes beth the schingles alle,
Of cherche, cloister, boure, and halle:
The pinnes beth fat podinges,
Rich met to princez and kinges.”
In unserer Zeit wendet man den Begriff »Land of Cakes« auf Schottland an, um dem oat-cake ein Denkmal zu stellen; in der alten Zeit jedoch sahen die staunenden Bewohner der englischen Grafschaften in London die Stadt der cockneys, das Schlaraffenland des alten Englands, jene nie erreichbare Region, wo die Lärchen einem perfekt gebraten in den Mund fliegen und die Spanferkel fertig gebraten herumlaufen und »Komm iss mich!« schreien. Ein cockney ist heute ein eingemauerter cit (»citizen of London«) mit beschränkter Phantasie und großem Dünkel. Vor nicht allzu langer Zeit war ich bei einer Lesung, wo der Redner, einige meiner Ansichten kommentierend, mich durch Implikation einer merkwürdigen Kombination von Vergehen bezichtigte – des »wissenschaftlichen Philisterums und der dem Cockney eignenden Unverschämtheit«.
Unter den nichtenglischen Sprachen, aus denen der Slang sich bedient hat, besetzen die keltischen Dialekte Schottlands, Wales’ und Irlands auf Grund unserer gemeinsamen Nationalität den ersten Platz. Das keltische Element im Slangvokabular ist nicht außergewöhnlich stark, aber dennoch sehr markant, und jedes seiner Worte stellt dem Historiker ein lebendiges Bild der Begegnung von Kelten und Sachsen vor Augen. So scheint mir bother mit hoher Wahrscheinlichkeit ein keltisches Wort, dessen ursprüngliche Bedeutung in der walisischen Wurzel byddar und im irischen und gaelischen bodheir, betäuben, zu sehen ist; so ist in der letzteren Sprache »na bodhair mi le d’ dhrabhluinn« – »mach mich nicht taub mit deinem Unsinn!« Diese ursprüngliche Bedeutung ist im modernen Englisch so gut wie verloren; bother bedeutet heute ärgern, belästigen, bestürzen; aber Beispiele aus dem letzten Jahrhundert zeigen, dass sie recht deutlich war. Groses absurde Etymologie des Wortes, nach der es von both ear’d kommt, will sagen, dass zwei Personen auf einmal auf einen einreden, beweist jedenfalls, dass die alte Bedeutung zu seiner Zeit noch nicht vergessen war; nicht weniger deutlich spricht das aus Swifts Zeilen über ein Hörrohr:
“With the din of which tube my head you so bother,
That I scarce can distinguish my right ear from t’other!”
Das Wort galore klingt in englischen Ohren pittoresk wie etwa in der Zeile von Dibdins Seemannslied »I’ll soon get togs galore«; es wird aber rasch zu verständlicher Prosa, wenn man seinen Ursprung auf das irische go leor, i.e. genug, zurückführt. Das Verbum to twig vermittelt unseren Ohren die komischen Vorstellung von Cleverness und Lebhaftigkeit wie das klassische Beispiel zeigt, in dem man Mr. Pickwick darauf aufmerksam macht, dass Dodson und Foggs Angestellte ihn über den Schirm hinweg inspizieren: »›They’re a twiggin’ of you, sir‹, whispered Mr. Weller.« Das Wort scheint über die hässlichste Sorte Jargon ins Englische gekommen zu sein, wie folgendes erlesene Stückchen Diebesjargon zeigt: »twig the cull, he’s peery«, i.e. »schau dir den Burschen an, er beobachtet uns«. Obwohl das Wort an sich nichts Gaunerhaftes hat, wie ich anzunehmen geneigt bin, es handelt sich lediglich um das irische bzw. gälische Wort tuig, ausmachen, erkennen. Zwei keltische Wörter zu guter Letzt, die zunächst Slang waren und dann gutes Englisch geworden sind, um eine bestimmte Art von Sprache zu bezeichnen. Das irische brog, »eine Art von Schuh aus dem grobem Leder eines beliebigen Tieres gefertigt, wie ihn der wildere Ire nutzt«, kam erst in seiner eigentlichen Bedeutung grobes Schuhwerk oder brogue ins Englische; erst später bezeichnete der brogue durch eine kuriose Umkehr der Metapher die besondere Art des Iren Englisch zu sprechen. Das andere Wort, cant, wurde von den Etymologen auf merkwürdige Weise verklärt, verwandten sie doch viel zu viel Phantasie auf die Erklärung seiner an sich einfachen Geschichte. Die Wörterbücher (bis zu Wedgwood) führen es auf eine Verballhornung von chaunt – des Gewinsels der Bettler – zurück, obwohl dies absolut nichts mit dem zu tun hat, was Bettler unter canting verstehen, was für sie sich untereinander in ihrem Jargon zu unterhalten bedeutet, was ja etwas ganz etwas anderes ist. Ja, cante war im 16. Jahrhundert Gaunerjargon für sprechen und hat damit seinen natürlichen Ursprung im keltischen Dialekt; irisch caint, das Sprechvermögen bzw. die Sprache, vulgärsprachlich cant, gälisch cainnt, die Sprache, der Dialekt. Über die bei Vagabunden übliche Bedeutung sprechen kam das Wort im Gaunerslang ganz natürlich zu der Bedeutung sprechen wie die Vagabunden. Nicht weniger natürlich, wenn auch viel später, nahm cant die Bedeutung an, in der wir das Wort am häufigsten benutzen, also jeder besondere Jargon, insbesondere der falscher Heiligkeit und geschwätziger Philantropie.[3]
(Fortsetzung hier)
[1] Eine weitere Slangform, to clift, ist hier insofern erwähnenswert, als sie den Guttural am Anfang beibehält wie im gotischen hlifan, stehlen bzw. hliftus, der Dieb, oder im griechischen κλέπτω, κλέπτης.
[2] Falls das Wort keltischen Ursprungs ist, gehört es womöglich zum irischen tiomallaim, ich esse, tiomaltas, Viktualien.
[3] Womöglich könnte man hier ein drittes Wort anführen, nämlich das Französische baragouin, unverständlicher Jargon, das holländische bargoensch, Slang, die englischen Slangwörter barricane, barrikin – etwa wenn Straßenhändler, die sich als »floored« bezeichnen von Phrasen, die sie nicht verstehen: »we can’t tumble to that barrikin.« Diez – und nach ihm Littré – leiten baragouin von den den Wörtern bara, gwîn ab, die im bretonischen Brot und Wein bedeuten, und in der Bretagne so oft zu hören seien, dass der Franzose sie in der Bedeutung Bretonisch sprechen benutze (»Baragouinez, guas de basse Bretagne”) und von daher für jeden Jargon. Aber weder Diez, noch Littré scheinen sich (ganz im Gegensatz zu Pott) des gälischen Wortes beargna bewusst zu sein, das einen örtlichen Dialekt bezeichnet, was auf eine keltischen Ursprung der ganzen Gruppe weist und damit weit weniger weit her geholt ist als die Brot-und-Wein-Geschichte.