Die fortschreitende Bildung muss in England früher oder später so etwas wie den charakteristischen Provinzdialekt niedertrampeln und ausmerzen; aber ist es erst einmal so weit gekommen, wird unserer Sprache viel effektiv Wertvolles verlorengegangen sein, unternimmt man nicht auf der Stelle Anstrengungen, Wörter zu sammeln und aufzuzeichnen, die zusammen mit den Ideen, die sie überhaupt erst notwendig machten, in Windeseile außer Gebrauch kommen.
So lese ich – durchaus erstaunt – im Vorwort zu meiner derzeitigen Lektüre, dem Dictionary of the Sussex Dialect von W. D. Parish aus dem Jahre 1875. Ich bin kein Fachmann für Dialektforschung, weder der deutschen noch der englischen, könnte also nicht sagen, inwieweit solche Befürchtungen typisch sind, kann mich aber nicht erinnern, je ähnliches gelesen zu haben. Und ich selbst habe Dialekt immer für unverwüstlich gehalten. Mag sein, dass die Leute sich heute leichter tun, zwischen einer Art Hochsprache und ihrem Dialekt hin und her zu schalten, aber egal in welcher Gegend man sich gerade findet, man hört dort Dialekt. Und das gilt für England nicht weniger als bei uns. Und dann ist mir, als hätte ich seit Jahrzehnten das Wort »Dialekt-Renaissance« in den Ohren. Ich bin sicher, wenn ich hier in die Regale sehe… Wusst ich’s doch! »Erlebt die Mundart einen Aufschwung?« heißt es auf dem Cover von Gabriele Reinert-Schneiders Dissertation Gibt es eine Dialekt-Renaissance? Überlegungen und Analysen zum Kölner Raum. Ich bin sicher, ich finde noch mehr Einschlägiges, habe aber im Augenblick keine Lust zum Suchen. Ich will ja nur sagen, ich habe seit jeher eher die Frage im Ohr, ob Dialekt nicht im Kommen sei, nie habe von Befürchtungen gehört, er könnte verschwinden.
Vermutlich ist die Aussage des guten Reverend Zeichen des starken Fortschrittsglaubens, der seine Zeit prägte und demzufolge Bildung alles war. Kein Zweifel, dass Wörter für Dinge und Sachverhalte ausgestorben sind, die es nicht mehr gibt; man braucht sie nun mal nicht mehr. Und mit Sicherheit sind auch eine ganze Reihe von Mundarten (als Unterkategorie der Dialekte) mit ihrer geringen Zahl von Sprechern verschwunden, aber von »ausmerzen« gleich des Dialekts kann keine Rede sein. Laut einem Artikel der Londoner Times von 2005 jedenfalls sind Dialekte stärker denn je. So zitiert der Artikel eine Studie aus den 1950er-Jahren, laut der es damals 84 Dialektwörter für »linkshändig« gab; jetzt zählt man 240! (Man kann sie auf der BBC-Voices-Site einsehen.) Und auch die Befürchtung, sämtliche englischen Dialekte würden allmählich durch das »Estuary English« ersetzt, der angesagten Variante des Englischen, wie sie an der Thames-Mündung gesprochen wird, scheint sich nicht zu erfüllen.
Die Befürchtungen des guten Reverend waren also mit Sicherheit übertrieben, aber es spielt ja auch gar keine Rolle, warum er nun Wörter gesammelt hat, Hauptsache es gibt Sammlungen wie die seine. Sie sind, selbst wenn sie wissenschaftlich längst ausgewertet sind, großartiges Amüsement. Ich werde, wie versprochen, hier im Lauf der Zeit einige Beispiele daraus vorstellen.