Slang ist auch hierzulande ein beliebter Begriff; das Wort klingt exotisch genug, um in jedermanns Munde zu sein, auch wenn seine Griffigkeit eher nur eine scheinbare ist. Eine deutschsprachige Literatur zum Slang ist praktisch nichtexistent. Im angelsächsischen Bereich befasst man sich umso mehr mit dem Thema, und das schon seit Jahrhunderten. Nun sind aber wissenschaftliche Artikel in einer Fremdsprache nicht jedermanns Sache, und so möchte ich hier einige grundlegende Aufsätze zum Thema „Slang“ in deutscher Übersetzung bereitstellen. Den Anfang mache ich mit E. B. Tylers „The Philology of Slang“, einer ganz vorzüglichen Abhandlung, die im April 1874 in Macmillan’s Magazine erschien. Nachgedruckt wurde sie noch knapp dreißig Jahre später in Sylva Clapins New Dictionary of Americanisms, was auf die Qualität von Tylors Ausführungen deuten mag. Der Artikel ist etwas länger, deshalb habe ich ihn in mundgerechte Portionen aufgeteilt. Fragen & Kommentare sind willkommen.
E.B. Tylor – Linguistische Aspekte des Slang (1)
Macmillan’s Magazine, Vol. XXIX (1873–74) pp. 502–513
Übersetzung © Bernhard Schmid
Slang, bis in die jüngste Zeit von den Lexikographen verächtlich ignoriert, ist ein so genuiner wie einflussreicher Zweig der Sprache. Er ist eine der Quellen, die nährt, was wir als Standard bezeichnen können, eine Sprache, die sich ohne Skrupel Wörter, nach denen ihr zufällig der Sinn stehen mag, aneignet und adaptiert, Fachbegriffe von Ladenbesitzern oder Handwerkern ebenso wie Wörter aus den kurioseren Vokabularien fliegender Gemüsehändler und Preiskämpfer, Schulbuben und Stutzer. Diese praktische Bedeutung gibt ihm das Recht, von der Linguistik wie jeder andere lebende Sprachzweig behandelt zu werden. Darüber hinaus ist sein theoretischer Wert für die Wissenschaft nicht unbeträchtlich. Wie andere Sprachzweige entwickelt auch der Slang sich nach den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Sprache, und er veranschaulicht diese Gesetzmäßigkeiten in einigen Fällen besonders eindrucksvoll. Der Sprachwissenschaftler mag so manchen Hinweis erhalten aus der Redeweise von Fabriken und Stallungen, Musikhallen, Räuberhöhlen und Pfandleihen, der im kultivierten Englisch des Klassenzimmers eher schwerlich zu finden wäre. Meine gegenwärtige Aufgabe soll – experimentum in corpore vili – darin bestehen, aus der Fülle der Slangwörter in gedruckten Dictionnaires1 einige typische Beispiele herauszunehmen, sie etymologisch nach Gruppen zu ordnen, um durch jede Gruppe entweder ein philosophisches Prinzip oder das Wirken einer gemeinsamen Ursache darzustellen.
- Zu den speziellen Slangwörterbüchern, die hier benutzt wurden, gehören J.C. Hotten, Slang Dictionary (London, 1865; Neuausgabe 1874: Chatto and Windus); Captain Grose, Classical Dictionary of the Vulgar Tongue (London, 1785, jüngst neu aufgelegt); und Francisque-Michel, Études de Philologie comparée sur l’Argot (Paris, 1856). Zahlreiche Slangwörter finden sich in J.O. Halliwell, Dictionary of Archaic and Provincial Words (London, 1860, 4th Edition); Dr. A Hoppe, Englisch-Deutsches Supplement Lexikon (Berlin, 1871); J.R. Bartlett, Dictionary of Americanisms (Boston, 1859); und Prof. Schele de Vere, Americanisms (New York, 1872). [↩]