SlangGuy's Blog ...

Über­le­ben vs. Über-Leben

Prak­tisch mit Beginn mei­ner eng­lisch­spra­chi­gen Lek­tü­re stieß ich im Eng­li­schen auf ein Wört­chen, das man als Deut­scher natür­lich sofort als deut­sche Prä­po­si­ti­on, bzw. als deut­sches Adverb oder – dar­um geht es letzt­lich hier – als deut­sches Prä­fix erkennt: »über« oder genau­er gesagt »uber«, schließ­lich spre­chen wir hier noch von der Schreib­ma­schi­nen­zeit. Und das ers­te, wor­an einen das Wort als Deut­scher in den 1960er-Jah­ren erin­ner­te, das war der »Über­mensch«. Und der hat­te noch rela­tiv fri­sche und damit hei­ße Kon­no­ta­tio­nen. Die haben sich ja mitt­ler­wei­le, wie so vie­les rela­ti­viert, abge­kühlt, man kann sich das ruhig etwas genau­er ansehen.

Beim Kra­men in der Biblio­thek eines Freun­des fiel mir das hier abge­bil­de­te Bänd­chen auf: Die Über-Ente. Aus dem Jah­re 1910. Und so modisch »über« im Eng­li­schen ist, muss­te ich stau­nen, dass man »über« im Deut­schen bereits vor 100 Jah­ren scherz­haft ver­wen­det haben soll­te. Ich hat­te mir das nie über­legt. Ich hat­te nie Anlass gehabt, mir das zu über­le­gen. Jetzt hat es mich plötz­lich gepackt. Und nach eini­ger Recher­che sehe ich, das The­ma gibt weit mehr her, als einem Blog­ein­trag zuträg­lich wäre. Also tei­le ich wie­der mal auf.

Ich könn­te das fol­gen­der­ma­ßen aufziehen:

ÜBER [Lfg. 23,1],  raum­adv. und präp., ahd. ubar, ubir, uba­ri, ubi­ri; mhd. über, uber, übe­re; got. ufar, adv. ufaro; ags. ofer; engl. over; afries. over; nfries. oer; as. ob̄ar; amd. obar, obir, ober; mnd. over, över; mnl., nnl. over, aver; an. yfir; dän. over (älter dän. yver, over); schwed. öfver; nor­weg. yver; eine gemein­in­do­germ. adver­bi­al­bil­dung: ai. upa­ri und upa­ra; gr. æpér; lat. s‑uper; gall. ver; air. for aus u℗er; nur den sla­vi­schen spra­chen fehlt das wort, vgl. FICK4 3, 31.1

was ich aber lie­ber blei­ben las­se, denn da wäre es spä­tes­tens nach fünf­zehn Blog­sei­ten um die Kurz­wei­lig­keit des Unter­fan­gens gesche­hen. Also las­sen wir die Sys­te­ma­tik. Gehen wir die »Über-Ente« lie­ber mal von Grimms Defi­ni­ti­on des »Über­men­schen« her an.

ÜBERMENSCH [Lfg. 23,3],  m., durch grös­ze, kraft, bega­bung, wil­len oder leis­tung den durch­schnitts­men­schen bzw. den men­schen über­haupt über­ra­gend, dem­nach syn­onym mit heros, genie, bzw. über­mensch­li­chem wesen. zur geschich­te des wor­tes vgl. R. M. MEYER in zs. f. d. wortf. 1, 3 ff. und nach­trä­ge hie­zu 1, 369; 2, 80. 347; 15, 102. 106. 130. 140, fer­ner LADENDORF schlag­wör­terb. 317 ff.; BÜCHMANN 326 und EISLER 2, 539. 1

Was die »Übe­r­en­te« denn schon grund­sätz­lich mal über die »Durch­schnitts­en­te« stellt. Womit eigent­lich auch schon die bes­te Defi­ni­ti­on für alles gefun­den scheint, was der Mensch so mit »über« nur ein­lei­ten wür­de wollen.

Aber das die ange­dach­te Serie sich ja nun auch mit dem eng­li­schen Gebrauch von »über« befas­sen möch­te, sehen wir uns doch ent­spre­chend die eng­li­sche Defi­ni­ti­on des »Über­men­schen« an

Über­mensch [Ger.: see superman.]
= super­man. Also in exten­ded and wea­k­en­ed sen­ses. Simi­lar­ly über­mensch­lich (“y;b@rmEnSlIC) a., supe­ri­or; like a super­man, super­hu­man; Über­mensch­lich­keit (“y;b@r%mEnSlICkaIt), the qua­li­ty of a super­man, super­hu­ma­ni­ty.2

Dazu bie­tet das bes­te Wör­ter­buch der Welt fol­gen­de Belege:

1902 Pall Mall XXVI. 405/1 Whe­re Bis­marck exer­ted the full strength of the Ueber­mensch, Bülow always remains the poli­te ora­tor.  1907 G. B. Shaw Major Bar­ba­ra Pref. 152 It is assu­med, on the strength of the sin­gle word Super­man (Über­mensch) bor­ro­wed by me from Nietz­sche, that I look for the sal­va­ti­on of socie­ty to the des­po­tism of a sin­gle Napo­leo­nic Super­man.  1911 J. Ward Realm of Ends xx. 451 The strugg­le for exis­tence and the sur­vi­val of the fittest+will lead, he tea­ches, to a yet hig­her being, the Ueber­mensch or Over-man.  1920 D. H. Law­rence Women in Love xxix. 439 One real­ly does feel übermenschlich—more than human.  1922 Joy­ce Ulys­ses 417 Mead of our fathers for the Uber­mensch.  1931 W. Ste­vens Har­mo­ni­um 131 If it were lost in Über­mensch­lich­keit Per­haps our wret­ched sta­te would soon come right.  1939 L. MacN­ei­ce Autumn Jrnl. vii. 32 Take one’s palt­ry mea­su­res against the coming Of the unknown Ueber­mensch.  1950 Ble­sh & Janis They All play­ed Rag­time v. 85 A subt­le but devas­ta­ting cari­ca­tu­re of the white Über­mensch, employ­ing the black­face like an Afri­can cere­mo­ni­al mask.  1963 Eco­no­mist 13 July 103/1 Doc­tor and detec­ti­ve über­men­schen.  1977 Times 2 Sept. 11/4, I should like to know whe­ther the Irish would be reckon­ed by him among the Über­men­schen or the Unter­men­schen.2

Und war die Zita­te nicht ein­fach über­sprun­gen hat, der hat auch bereits den Namen erspäht, dem das Eng­li­sche die Über­set­zung des »Über­men­schen« as »super­man« ver­dankt, näm­lich Geor­ge Ber­nard Shaw:

1903 G. B. Shaw Man & Super­man 196 We have been dri­ven to Pro­le­ta­ri­an Demo­cra­cy by the fail­ure of all the alter­na­ti­ve sys­tems; for the­se depen­ded on the exis­tence of Super­men acting as despots or olig­archs; and not only were the­se Super­men not always or even often forth­co­ming at the right moment and in an eli­gi­ble social posi­ti­on, but when they were forth­co­ming they could not+impose super­hu­ma­ni­ty on tho­se whom they gover­ned.3

Und zur Ety­mol­gie von »super­man« weiß das OED folgendes:

f. super- 6 + man n.1, transl. G. über­mensch (F. W. Nietz­sche, Ger­man phi­lo­so­pher, 1844–1900). Cf. F. sur­hom­me (Lich­ten­ber­ger, 1901), occas. super­hom­me. Over­man and (occas.) bey­ond-man have been used.3

Ist Ihnen klar, wie nahe wir an einem Comic namens Over­man oder Bey­ond-man vor­bei­ge­schrammt sind? Von Uber­mensch ganz zu schwei­gen. »Is it a bird? Is it a pla­ne? It’s Over­man!« Wow! 


Was nun das Büch­lein anbe­langt, des­sen Titel mich so erstaun­te, so hat es noch eine wei­te­re Über­ra­schung parat. Eine Ente näm­lich hat­te ich bis­lang immer als »Falsch­mel­dung«, vor allem in der Pres­se, defi­niert. Aber wenn wir uns fol­gen­des typi­sche Bei­spiel aus der Samm­lung ansehen:

Aus der Erzäh­lung »Bri­git­ta«
»Auf der Ober­lip­pe hat­te er den gebräuch­li­chen Bart, der die Augen noch dun­keln­der mach­te, das Haupt deck­te ein brei­ter, run­der Hut und von den Len­den fiel das wei­ße, wei­te Bein­kleid hinab.«
Davo­ser-zei­tung, 10. Nov. 1909
(Es wäre bes­ser gewe­sen, wenn der Frem­de sei­ne Hut abge­nom­men hät­te, das Herb­ab­fal­len­las­sen der Bein­klei­der ist kei­ne anstän­di­ge Begrüßungsform.)

Das ist recht wit­zig, fällt aber wohl eher unter den Begriff »Stil­blü­te« als den der »Ente«. So dass das schma­le Bänd­chen sich denn auch als Samm­lung sol­cher Stil­blü­ten erweist. Aber bei rich­ti­ger Benam­sung hät­te ich frei­lich nicht über den Titel »Die Über-Ente« stol­pern kön­nen und wäre nie dar­auf gekom­men, wie alt das »über« als wit­zi­ges Prä­fix bereits ist.
Mehr dazu dem­nächst in die­sem Blog.

  1. Grimm, Deut­sches Wör­ter­buch [] []
  2. Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry [] []
  3. OED [] []

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