»Blaxploitation« – ein wenn schon nicht mythischer, so allemal enorm kultiger Begriff. Das kurzlebige kulturelle Phänomen dieses Namens lieferte Anfang, Mitte der 1970er-Jahre jungen amerikanischen Schwarzen bei ihrer Identitätssuche so etwas wie Identifikationsfiguren. In Form von völlig aus der Luft gegriffenen Helden, sicher, aber diese gaben jungen Leuten die Möglichkeit, im Kino Frust und Ressentiments gegen eine übermächtige weiße Welt auszuleben. Ob und wie weit die Helden im Gangstarap dieselbe Funktion haben, kann ich nicht sagen, die Klischees jedenfalls sind dort dieselben – vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil Gangstarap sich ausgiebig bei diesen Filmen bedient.
Bei der Überarbeitung meines Hiphop-Wörterbuchs kam mir dieser Tage ein interessanter Song unter – oder besser gesagt ein relativ bescheidener Song mit einem ganz netten Text. Hell Razah, ein Rapper aus dem Dunstkreis des Wu-Tang Clan, erzählt in »Cinematic« eine Geschichte… ach was, er setzt eine Reihe von Szenen, ach was, Namen und Bildern aus Blaxploitation-Streifen zusammen. Was soll’s, die Anspielungen sind interessant genug, um ein bisschen Memory damit zu spielen. (Vielleicht auch ein paar alte VHS-Cassetten zu digitalisieren.)
Der Song beginnt mit dem Schnarren eines guten alten Filmprojektors und einem Sample aus einem Film. Dann geht es los…
»That’s when I met Coffy…« Die Rede ist natürlich von Pam Grier, der Krankenschwester, die aus Rache und Gemeinsinn nächtens im Milieu aufräumt. Blutig. Sicher kein reiner Zufall, dass Pam Griers Name gleich in der ersten Zeile fällt; sie war womöglich der einzige Superstar, den das Genre hervorgebracht hat: Coffy, Foxy Brown, Sheba, Baby, Friday Foster, Scream, Blacula, Scream. Und sie ist auch die einzige, die es über das Genre hinaus geschafft hat. Auch wenn sie ihre Zeit hinter sich hatte, als Tarrantino seine Jackie Brown mit ihr besetzte, eine Figur, die von Elmore Leonard gar nicht als schwarz konzipiert war. Womöglich hat ihr der neue Ruhm auch die Rolle in Linc’s eingebracht, eine viel zu erwachsene, gute und eben auch viel zu schwarze TV-Serie, um länger als zwei Staffeln zu überstehen. Aber sie ist noch da. Sie hat eben eine Hollywood-Produktion mit Lucy Liu, Russell Crowe, Dave Bautista und Cung Le abgedreht. Ein Kung-Fu-Streifen. In der Hauptrolle – hier schließen sich gleich etliche Kreise – Rapper RZA, der Chef des Wu-Tang Clan.
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Der nächste Name, den man erkennt, ist »Claudine«. Ein Film, der eigentlich – wie einige andere hier – nicht ins Paradigma gehört. Er spielt unter Schwarzen, okay, das ist aber auch schon alles, was die Komödie mit »Heart and Soul« mit den anderen hier genannten Streifen gemeinsam hat. Und er kam 1974 in die Kinos, mit anderen Worten auf dem Höhepunkt der Blaxploitation-Welle. Die Hauptdarstellerin Diahann Carroll wurde für ihre Rolle für den Oscar nominiert. James Earl Jones wurde für einen Golden Globe vorgeschlagen. Selbst das Buch wurde als beste Comedy von der Writers Guild of America nominiert. Was nun sicher keinem Blaxploitation-Film passiert ist. Dafür ist der Soundtrack von Curtis Mayfield, was ihn wiederum mit den Streifen verbindet, um die es hier geht. Die sieben Nummern stehen eigentlich gar nicht so weit hinter Mayfields Musik zu Superfly zurück, aber der Claudine-Soundtrack war wohl immer eher als Gladys Knight-Scheibe bekannt.
In der nächsten Zeile gleich noch ein Film, zu dem Curtis Mayfield den Soundtrack geschrieben hat. Auch A Piece of the Action ist bestenfalls insofern Blaxploitation, als er womöglich das Interesse an schwarzen Themen ausnutzt, das mit dem billigen Kram geschaffen wurde. Dass er die Kids im Ghetto in die letzten Kinos dort zog, ist mehr als fraglich. Aber für die war Blaxploitation 1977 sowieso schon längst gegessen. Sidney Poitier führt Regie. James Earl Jones ist wieder dabei. Bill Cosby. Poitier selbst natürlich auch.
»Married to a superfly guy, they went to Cooley High.«
Hier fällt der Titel eines richtigen schwarzen Kultfilms: Superfly. Superfly und Shaft haben die Reihe erst so recht losgetreten. Während Shaft in erster Linie einen sympathischen Superhelden zu schaffen versucht, will Superfly das Ghettoleben tatsächlich darstellen. Und das mit Message. Irgendwie schien nie einer gemerkt zu haben, dass Priest (!), Dealer und Hauptfigur, aussteigen will aus dem Drogengeschäft. Mit einem letzten Deal, sicher.1 Aber es ist eine Perspektive, die Hardcore-Blaxploitation nicht hat. Sicher hat sein Ausstieg in seiner Unwahrscheinlichkeit einiges von Steve McQueens in The Thomas Crown Affair, aber wir sprechen von Publikumskino, nicht von einer 8mm-Produktion von der Filmhochschule, obwohl die Produktionsbedingungen aus Geldmangel in etwa dieselben waren. Wie auch immer, Mayfields Soundtrack, der eigentlich Star des Films, lässt keinen Zweifel an der Message. Er gehört darüber hinaus neben Michel Legrands Musik zu Thomas Crown zu den ganz großen Soundtracks überhaupt. Und da Shaft in Hell Razahs Rap offensichtlich gar nicht erwähnt wird, stellen wir hier auch gleich Isaak Hayes’ Soundtrack zu Shaft dazu. Über den es übrigens eine Art Making of gibt: Hayes nebst Musikern und Regisseur Gordon Parks im Tonstudio. Lief mal auf TNT. Ob das wohl bei mir in einer der zahlreichen Kisten mit alten VHS-Cassetten hergeht? So etwas sollte im Kino als Vorfilm laufen. Nicht Werbung.
Weil wir grade von Gordon Parks sprechen. Das ist Gordon Parks Sr. Er ist für Shaft verantwortlich. Sein Sohn, Gordon Parks Jr., ist der Regisseur von Superfly. Ein Film, der übrigens als Bühnenstück konzipiert war. Und zu einem Gutteil von schwarzen Geschäftsleuten, darunter Zuhälter, Puffmütter und Dealer, finanziert wurde, da Hollywood dem Produzenten Sig Shore den Hahn abgedreht hatte, weil er sich weigerte, jeden Abend seine Muster abzuliefern. Sig Shore hat auch ausländische Filme nach Amerika gebracht, etwa Truffauts Les 400 Coups oder Resnais’ Hiroshima Mon Amour. Das will in Amerika etwas heißen.
Cooley High ist ebenfalls weit besser als das Etikett »Blaxploitation« vermuten ließe. Und ich bin mir noch nicht mal sicher, ob es überhaupt einen anderen Film über das Leben junger Schwarzer Mitte der 1960er-Jahre gibt.
Five on the Black Hand Side ist als nächstes dran; in derselben Zeile Short Eyes, der Film nach dem berühmten Theaterstück von Miguel Pinero. Und dann Car Wash, der so saukomisch war wie Short Eyes ernst. Das Buch zu Car Wash stammt übrigens von Joel Schumacher, der spätestens seit Batman Forever zu den ganz großen Regisseuren gehört. Eine gute Gelegenheit zu erwähnen, dass Blaxploitation niemals eine auch nur annähernd rein schwarze Angelegenheit gewesen wäre. Dazu war schon mal viel zu viel Geld zu verdienen, als die Geschichte erst mal im Rollen war. Mal von den Schauspielern abgesehen, für die die Reihe nun sicher ein Segen war. Auch Truck Turner entstand unter weißer Regie: Jonathan Kaplan hat nicht nur einige weitere Blaxploitation-Streifen gemacht – The Slams mit Jim Brown fällt mir ein –, er hat seither in Hunderten von Episoden der erfolgreichsten TV-Serien Regie geführt. Die Titelrolle – Truck Turner – spielt Isaac Hayes, der natürlich etwas später als Widersacher von Snake Plissken einen ganz großen Augenblick als Schauspieler hatte.
Lady Sings the Blues mit Diana Ross als Billie Holiday dürfte noch in guter Erinnerung sein. Von ganz anderem Holz ist Three The Hard Way – ein Neonazi will mit einem Virus die gesamte schwarze Bevölkerung der USA auslöschen. Genau der richtige Fall für drei schwere Kaliber wie Jim Brown, Fred Williamson und Jim Kelly. That’s Blaxploitation!
The Mack entstand 1978, also lange nach dem Höhepunkt der Welle. Dafür ist er schon weit näher am Gangstarap, der Mitte des nächsten Jahrzehnts entstand und in dem der »mack« und der »pimp« die großen Figuren werden. Iceberg Slim lässt grüßen.
Mahogany ist noch einmal ein Streifen mit Diana Ross, die das Theme from Mahogany 1975 beim Oscar-Gottesdienst sang.
Jetzt kommen einige harte Klassiker des Genres. Blackbelt Jones ist ein Streifen mit Karatemeister Jim Kelly. Die Produzenten Heller und Weintraub hatten sich mit Bruce Lee eine goldene Nase verdient und versuchen einen schwarzen Nachfolger für den bereits verstorbenen Lee zu küren. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kung Fu-Welle bei den schwarzen Ghettokids Blaxploitation ersetzen sollte. Wir sprechen hier von Kinophantasien. Und man hatte einiges gemein mit Bruce Lee. Nicht nur die »falsche Hautfarbe«. Cleopatra Jones. Tamara Dobson war keine Pam Grier. Ein bisschen Karateunterricht hätte ihr ebenso wenig geschadet wie anno dunnemals Emma Peel. Nur machte Tamara Dobson das Manko nicht durch ihr Können als Schauspielerin wett. Trotzdem: zwei klassische Blaxploitation-Streifen. Shelley Winters als lesbische Superdealerin sollte man gesehen haben.
Trouble Man hatte mit Robert Hooks einen ersten Mr. T (für Trouble) – elf Jahre vor dem A‑Team. Cotton Comes to Harlem entstand natürlich nach dem Roman von Chester Himes. Cornbread, Earl and Me: viel versprechender junger Schwarzer wird kurz vor College-Beginn von weißen Polizisten erschossen. Klischee? Fast 20 Jahre vor Rodney King? Zu einer Zeit, in der es in Detroit zu Krawallen kam, als man im Zuge der Desegregation Schwarze an weiße Schulen zu karren versuchte. Mitte der 70er-Jahre!
Überhaupt – nachdem mir hier ohnehin die Lust ausgeht und das zu lange wird für ein Blog – mag man von der Blaxploitation-Welle halten, was man will, es gibt praktisch kein »schwarzes Kino« zuvor. Daran ändert auch ein Sidney Poitier nichts. Man braucht sich nur mal eine biographische Doku über diesen großen Menschen anzusehen. Unmöglich, dass der Mann sich als Schauspieler, als Künstler äußern konnte – ständig ging es um seinen Erfolg als Schwarzer, seine Rolle als Schwarzer, die ihm aus diesem Erfolg erwächst. Da lächelnd mitspielen zu müssen. Unmöglich, dass man dem Mann auch nur einen falschen Ton hätte durchgehen lassen. Unvorstellbar, dass der Mann einen Ton angeschlagen hätte wie ein Vierteljahrhundert später ein Ice Cube mit NWA. Nicht dass Gangstarap nicht auch für längst vergessene Skandale gesorgt hätte, aber das gehört nur insofern hierher, als Gangstarap die nächste große Form von Blaxploitation war… ist.
Five on the Black Hand Side is a 1973 comedy film based on the play by Charlie L. Russell. It was shot in Los Angeles. Leonard Jackson appeared as John Henry Brooks. He was cast in Steven Spielberg’s The Color Purple fifteen years later. Its tagline was “You’ve been coffy-tized, blacula-rized and super-flied — but now you’re gonna be glorified, unified and filled-with-pride… when you see Five on the Black Hand Side.”
This relationship between the two parents in this movie (Mr. and Mrs. Brooks), was parodied in a skit of the same name on the comedy series “In Living Color”.
- Auch Fonda & Hopper in EASY RIDER haben sich mit einem letzten Koks-Deal ihre Freiheit erkauft. Dass man sie erschossen hat, war keine Folge ihrer Drogendeals, sondern der Tatsache, dass sie langhaarige Hippies waren. [↩]