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Darf’s ein biss­chen mehr sein? Wenn der Über­set­zer den Dau­men mit auf die Waa­ge legt…

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Das Pro­blem des Zitie­rens bei Über­set­zun­gen habe ich vor eini­ger Zeit hier ange­spro­chen. Das Zitat fügt sich in der Über­set­zung aus dem einen oder ande­ren Grund nicht immer so in den neu­en Kon­text, in dem man das ger­ne hät­te. Das ist letzt­lich frus­trie­rend, aber durch­aus inter­es­sant, sieht man sich doch gezwun­gen, sich mit dem zu befas­sen, was da zitiert wird. Und die mehr oder min­der bewuss­ten Prin­zi­pi­en der eige­nen Arbeits­wei­se zu überdenken…

Der Über­set­zer ist ein Leser mit einer gesun­den Para­noia — oder wenies­tens soll­te er das im Ide­al­fall sein. Er soll­te ver­deck­te Bedeu­tun­gen erken­nen, Zusam­men­hän­ge sehen. Und er ist ein Gärt­ner, der — je nach dem Grad die­ser Para­noia — mehr oder weni­ger bewusst Sinn auf­zu­päp­peln, sprich her­aus­zu­ar­bei­ten ver­sucht. Das gilt dum­mer­wei­se auch, wenn er sieht, dass etwas barer Unfug ist. Hier ein net­tes Bei­spiel, mit dem ich mich eben zu befas­sen hatte.

Sean Wil­entz weist in sei­nem hoch inter­es­san­ten Buch Bob Dylan in Ame­ri­ca dar­auf hin, dass Ano­ther Side of Bob Dylan, Dylans vier­te LP und das ers­te einer Hand­voll Meis­ter­wer­ke aus der Mit­te der Six­ties, so eini­ge poe­ti­sche Klöp­se ent­hält. Als Bei­spiel führt er fol­gen­den Vers an:

With unseen con­scious­ness, I pos­s­es­sed in my grip
A magni­fi­cent man­tel­pie­ce, though its heart being chipped.”
Bob Dylan, “Bal­lad in Plain D” (1964)

Bei flüch­ti­gen Lesen mag das nicht wei­ter auf­fal­len, aber wo wenn ein Dylan-Ken­ner wie Wil­entz, der sogar für Bob Dylans offi­zi­el­le Web­site schreibt eigens dar­auf hin­weist, guckt man eben noch mal hin. Und so recht will das denn kei­nen rech­ten Sinn erge­ben, auch nicht als poe­ti­sches Bild. Und als einer, in einer ande­ren Spra­che auf­ge­wach­sen ist, klopf man dann jedes Wort auf Dop­pel­be­deu­tun­gen ab… Und klopft sich einen Wolf. Die Tei­le wol­len sich ein­fach nicht zusammenfügen.

Ich habe zwei offi­zi­el­le Über­set­zun­gen hier. Die eine, die alte von Zwei­tau­send­eins, habe ich schon lan­ge; die ande­re, ein wirk­lich schön gemach­ter Wäl­zer von Hoff­man und Cam­pe habe ich mir erst die­sen Som­mer, für den Wil­entz, gekauft. Was machen die nun mit besag­ten Zeilen?

Nun, in der deut­schen Fas­sung von Carl Weiss­ner und Wal­ter Hart­mann — Bob Dylan, Lyrics: Song­tex­te 1962–1985 (Frank­furt: Zwei­tau­send­eins, 1987) — heißt es:

Ohne es zu wis­sen, hielt ich in mei­nen Händen
Ein kost­ba­res Kunst­werk, doch ich ließ mich verblenden«
(379).

Und Gis­bert Haefs macht dar­aus in Bob Dylan, Lyrics 1962–2001 (Ham­burg: Hoff­mann und Cam­pe, 2004):

Mit unbe­grif­fe­ner Bewußt­heit hielt ich in der Hand
Ein wun­der­ba­res  Schau­stück, wie­wohl mit schad­haf­tem Kern.«
(261)

Bei­de Über­set­zun­gen ver­su­chen einen Sinn in die ver­un­glück­ten Bil­der zu brin­gen und kaschie­ren damit den hier ange­spro­che­nen lyri­schen oder auch nur sprach­li­chen Unfug. Das ist der Über­set­zer als Gärt­ner, der die­ses küm­mer­li­che Pflänz­chen, das er da vor sich hat, zu irgend­et­was auf­zu­päp­peln ver­sucht, was es nicht ist. Ob er das nun sieht oder nicht. Und was, wenn er sieht und so küm­mer­lich lässt, wie er es vorfindet?

Mit unge­se­he­nem Bewusst­sein besaß ich in mei­nem Griff
Einen präch­ti­gen Kamin­sims, obwohl des­sen Herz ange­schla­gen war.«

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Man setzt sich als Über­set­zer mit sowas aller­hand Gefah­ren aus. Aber bes­ser ist das Ori­gnal nun mal nicht. Man ist ver­sucht, hier und da dran rum­zu­dok­tern, aber selbst wenn man die Zei­len – wie prak­tisch jeden Satz – auf ein Dut­zend und mehr Arten über­set­zen kann, in dem Augen­blick, wo man zu gärt­nern ver­sucht, über­setzt man nicht mehr. Das “unge­se­he­ne Bewusst­sein” ist durch­aus ver­tret­bar, ob als Bewusst­sein in einem selbst — wie hier — oder außer­halb des Selbst bis hin zum Uni­ver­sum. Es ist trü­be genug, um Raum für sinn­ge­ben­de Ein­bil­dung zu machen. Oder es ist, um mit Nietz­sche zu spre­chen, als gewäs­ser trü­be genug, um tief zu erschie­nen. “Ich besaß in mei­nem Griff” kann man dre­hen und wen­den wie man will, es ist lau­sig; ver­bun­den mit dem Kamin­sims wird das Bild noch lau­si­ger. Dass Weissner/Hartmann bei ihrer Über­set­zung einen wich­ti­gen Teil der Aus­sa­ge unter­schla­gen, ist dann letzt­lich nur ein Hin­weis auf die krampf­haf­ten Ver­su­che, aus den bei­den Zei­len etwas zu machen. Irgendwas.

Es juckt einen in allen Fin­gern, damit zu zau­bern, zu trick­sen, und ich möch­te gar nicht wis­sen, wie oft man das als Über­set­zer so macht, schon um nicht als dumm oder unfä­hig dazu­ste­hen; ich mei­ne, ein lau­si­ger Satz ist nun mal ein lau­si­ger Satz, und wer hat schon das Ori­gi­nal dane­ben? Soll­te man schließ­lich auch nicht, man hat ja die Über­set­zung gekauft. Und die soll­te gut genug sein, was immer das auch heißt.

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