»In der Kürze liegt die Würze.« Das sagen in der Regel Menschen mit einem pathologischen Defizit an Phantasie, Menschen, deren Synapsen, werden sie schon mal gereizt, buchstäblich nicht mehr einfällt, als lauwarm angelernte Connections abzuspulen, anstatt bei jedem gehörten Satzfetzen brandheiß Amok laufend Romane zu produzieren. Das kann natürlich hier und da mal sein Gutes haben – vor allem, dass man solche Leute nicht lange ertragen muss –, aber sie sollten wirklich ihren dummen Mund halten, was die Arbeit anderer angeht; ich habe noch in keinem von ihnen einen zweiten Hemingway heranwachsen sehen…
Dieser alte Dorn in meinem Auge kam mir am Samstagabend bei Tom Robinsons zweistündigem Brian Eno-Interview auf BBC6 in den Sinn. Die beiden waren auf Enos jüngste Experimente mit dem gesprochenen Wort, tja, zu sprechen gekommen, auf seine Arbeit mit dem Lyriker Rick Holland, der die Texte zu Enos Album Drum Between the Bells geschrieben hat. Was ihn zu dieser Zusammenarbeit bewegt hätte, wollte Tom Robinson wissen.
»Ich wollte einen Lyriker«, sagte Eno auf seine typisch wohlüberlegte Art,1 »der mir ganz kurze Gedichte schreibt, was ausgesprochen wichtig war, da man, wenn man aus Sprache Musik machen will, gar nicht so viel Sprache braucht. Songs sind, von der sprachlichen Seite her, eher Leichtgewichte, es sei denn, man ist…«
»… Bob Dylan …«
»… Bob Dylan, genau.«
Man hört sie beide lachen. Schmunzeln rundum. Wobei mir Bob Dylans letzte CD Tempest einfiel…
Tempest erschien letztes Jahr zu just dem Zeitpunkt, an dem nach langem ebenso sinnlosen wie für mich wieder mal finanziell ruinösem Hin und Her eine halbwegs akzeptable Fassung von Dylan in Amerika in trockenen Tüchern war.2 Und Tempest ist so sehr der Beleg für alles, was Sean Wilentz in seiner ebenso persönlichen wie kundigen Abhandlung schreibt.
Aber um wieder auf die vielzitierte Kürze zurückzukommen: Der Titelsong der CD »Tempest« ist verdammt lang. Eine Viertelstunde lang erzählt er im gemütlichen 6/8‑Takt in simplen Kreuzreimen vom Untergang ausgerechnet der Titanic. Ich bin kein Kritiker und gehöre schon gar nicht zu denen, die Dylan zum Vorwurf machen, er führe sie nicht endlich aus den Sixties heraus.3 Was seinerzeit aus einem struweligen jungen Kerl kam, der mit großen Augen im brodelnden Greenwich Village eingetroffen und unter dem Einfluss des Zeitgeists zum peitschenknallenden Kutscher eben dieses Zeitgeists geworden war, ließ sich so wenig lenken, wie sein Versiegen sich aufhalten ließ. Die geradezu phantastisch gehaltvollen Bilder, mit denen er damals um sich warf, ließen einem auch die längeren Songs nicht lang oder gar langweilig werden.
Und die von Sean Wilentz so glänzend herausgestellte Entwicklung zum konsequenten Rückgriff auf Folktradition in allen Ehren, zu Schrammeln wegzunicken, ist nie ein Zeichen für große Kunst. Das hat mit Dylan gar nichts zu tun. Titanic hin oder her.4 Da ist mir, was Songs über Schiffsunglücke angeht, Gordon Lightfoots »The Wreck of the Edmund Fitzgerald« lieber. Wenn dort sich mit einem ersten Surren in den Stahltrossen die »Novemberhexe« an Bord stiehlt, überläuft’s einen kalt; wenn bei Dylan »Leo zu seinem Skizzenbuch greift«, horcht man zwar kurz auf, aber nur um sich zu fragen: Erzählt mir der Mann hier einen Film? Und damit einen vom Pferd… wenn auch augenzwinkernd? Es wäre ein doppelter Rückgriff auf Folk- und Poptradition, in sich gespiegelt sozusagen, aber es macht den Song ebenso wenig zu wirklich guter Musik wie Stephen Hawkings Getröte seinerzeit beim Untergang von Pink Floyd. Es ist ein schwacher Song, nicht besser als der folgende über John Lennon. Nicht dass all die Erinnerungen an »Romance in Durango« und den Billy the Kid-Soundtrack bei »Roll on. John« nicht für ein gewisses heimeliges Dylan-Feeling sorgen, aber ein ganzer Song ganz und gar aus sprachlichen Klischees à la »Shine Your light / Movin’ on / You burned so bright / Roll on, John«? Oder ist das auch wieder ein bewusster Rückgriff à la »woke up this morning«?
Keine Ahnung, wenigstens ist »Roll On, John« nur genau halb so lang wie Dylans Untergang der Titanic…
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- die immer wieder ironisch relativiert wird durch den Hinweis, es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass das alles gar nicht stimme, aber er erinnere sich nun mal so. [↩]
- Ich werde, wie so oft mittlerweile, nicht reinschauen, weil ich dann all die Spitzlichter zu setzen beginne, die ich bei der letzten Durchsicht hätte setzen können, wäre meine Energie nicht für maßlosen Zorn über so viel Überheblichkeit und Unverstand draufgegangen. [↩]
- Was er seinzerzeit durchaus getan hat, es wollte nur keiner mit; seine Fans wollten – verständlicherweise – nur immer wieder eine Neuauflage ein und desselben Jahrzehnts. [↩]
- Nicht dass es ihm Augenblick überhaupt noch was über den unseligen Pott gebaucht hätte. [↩]