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Ety­mo­lo­gie als Leh­re von den Knochen

In die­sem Abschnitt sei­ner unsor­tier­ten Betrach­un­gen über Spra­che und Wor­te ver­sucht Scho­pen­hau­er sich als – ein­ge­stan­de­ner­ma­ßen »dile­tan­ti­scher« – Ety­mo­lo­ge, der wort­ge­schicht­li­che Zusammen­hänge aus den »Ske­let­ten« der Wör­ter, näm­lich den Kon­so­nan­ten, zu erschlie­ßen ver­sucht. Er ist sich der Unzu­läng­lich­kei­ten die­ser Metho­de gegen­über dem Quel­len­stu­di­um wohl bewusst, ande­rer­seits aber auch über­zeugt davon, so auf eini­ge inter­es­san­te Fun­de gesto­ßen zu sein. Die­ses Kapi­tel aus den »Bei­wer­ken und Nach­trä­gen« ist wie­der etwas län­ger und kommt des­halb in meh­re­ren Folgen…

»Die Kon­so­nan­ten sind das Ske­lett und die Voka­le das Fleisch der Wör­ter. Jenes ist (im Indi­vi­duo) unwan­del­bar, die­ses sehr ver­än­der­lich, an Far­be, Beschaf­fen­heit und Quan­ti­tät. Dar­um kon­ser­vi­ren die Wör­ter, indem sie durch die Jahr­hun­der­te, oder gar aus einer Spra­che in die ande­re wan­dern, im Gan­zen sehr wohl ihre Kon­so­nan­ten, aber ver­än­dern leicht ihre Voka­le; wes­halb in der Ety­mo­lo­gie viel mehr jene, als die­se zu berück­sich­ti­gen sind. –

Von dem Wor­te supers­ti­tio fin­det man aller­lei Ety­mo­lo­gien zusam­men­ge­stellt in Del­rii dis­qui­si­tio­ni­bus magi­cis, L. I, c. 1, und eben­falls in Wegscheider’s ins­tit. theol. dog­ma­ti­cae, pro­leg. c. I, §. 5, d. Ich ver­mu­the jedoch den Ursprung des Wor­tes dar­in, daß es, von Hau­se aus, bloß den Gespens­ter­glau­ben bezeich­net habe, näm­lich: defunc­torum manes cir­cum­va­ga­ri, ergo mor­tu­os adhuc supers­ti­tes esse

Den vor­her­ge­hen­den Para­gra­phen fin­den Sie hier.

Arthur Schopenhauer’s sämmt­li­che Werke

Parer­ga und Paralipomena
Klei­ne phi­lo­so­phi­sche Schriften

Ver­ein­zel­te, jedoch sys­te­ma­tisch geord­ne­te Gedan­ken über vie­ler­lei Gegenstände


Kap. XXV.
Ueber Spra­che und Worte 

§. 313

Die Kon­so­nan­ten sind das Ske­lett und die Voka­le das Fleisch der Wör­ter. Jenes ist (im Indi­vi­duo) unwan­del­bar, die­ses sehr ver­än­der­lich, an Far­be, Beschaf­fen­heit und Quan­ti­tät. Dar­um kon­ser­vi­ren die Wör­ter, indem sie durch die Jahr­hun­der­te, oder gar aus einer Spra­che in die ande­re wan­dern, im Gan­zen sehr wohl ihre Kon­so­nan­ten, aber ver­än­dern leicht ihre Voka­le; wes­halb in der Ety­mo­lo­gie viel mehr jene, als die­se zu berück­sich­ti­gen sind. – 

Von dem Wor­te supers­ti­tio fin­det man aller­lei Ety­mo­lo­gien zusam­men­ge­stellt in Del­rii dis­qui­si­tio­ni­bus magi­cis, L. I, c. 1, und eben­falls in Wegscheider’s ins­tit. theol. dog­ma­ti­cae, pro­leg. c. I, §. 5, d. Ich ver­mu­the jedoch den Ursprung des Wor­tes dar­in, daß es, von Hau­se aus, bloß den Gespens­ter­glau­ben bezeich­net habe, näm­lich: defunc­torum manes cir­cum­va­ga­ri, ergo mor­tu­os adhuc supers­ti­tes esse.1

schop1Ich will hof­fen, daß ich nichts Neu­es sage, wenn ich bemer­ke, daß μορφα und for­ma das sel­be Wort ist und sich eben so ver­hält wie renes und Nie­ren, hor­se und Roß; imglei­chen, daß unter den Aehn­lich­kei­ten des Grie­chi­schen mit dem Deut­schen eine der bedeu­ten­des­ten die­se ist, daß in Bei­den der Super­la­tiv durch st (ιστος) gebil­det wird; wäh­rend Dies im Latei­ni­schen nicht der Fall ist. – Eher könn­te ich bezwei­feln, daß man die Ety­mo­lo­gie des Wor­tes »arm« schon ken­ne, daß es näm­lich von ερημος, ere­mus, ita­liä­nisch ermo kommt: denn arm bedeu­tet „wo nichts ist“, also „öde, leer“. (Jesus Sirach 12, 4: ερημωσουοι für arm machen.) – Hin­ge­gen daß „Unterthan“ vom Alt­eng­li­schen Tha­ne, Vasall, kommt, wel­ches im Mal­beth häu­fig gebraucht wird, ist hof­fent­lich schon bekannt. – Das deut­sche Wort Luft kommt von dem ang­lo­säch­si­schen Wor­te, wel­ches erhal­ten ist im Eng­li­schen lof­ty, hoch, the loft, der Boden, le gre­ni­er, indem man Anfangs durch Luft bloß das Obe­re, die Atmo­sphä­re bezeich­ne­te, eben wie das Ang­lo­säch­si­sche first, der Ers­te, sei­ne all­ge­mei­ne Bedeu­tung im Eng­li­schen behal­ten hat, im Deut­schen aber bloß in „Fürst“, prin­ceps, übrig­ge­blie­ben ist.

Fer­ner die Wor­te »Aber­glau­ben« und »Aber­witz« hal­te ich für ent­sprun­gen aus »Ueber­glau­ben« und »Ueber­witz«, unter Ver­mitt­lung von »Ober­glau­ben« und »Ober­witz« (Wie Ueber­rock, Ober­rock; Ueber­hand, Ober­hand,) und sodann durch Kor­rup­ti­on des O in U, wie, umge­kehrt, in »Arg­wohn« statt »Arg­wahn«. Eben so, glau­be ich, daß Han­rei eine Kor­rup­ti­on von Hohn­rei ist, wel­ches letz­te­re uns um Eng­li­schen erhal­ten ist als ein Ruf der Ver­höh­nung – o hone-a-rie! Es kommt vor in Let­ters and Jour­nals of Lord Byron: with noti­ces of his life, by Tho­mas Moo­re. Lon­don 1830, vol. I, p. 441. – Ueber­haupt ist das Eng­li­sche die Vor­raths­kam­mer, in wel­cher wir unse­re ver­al­te­ten Wör­ter und auch den ursprüng­li­chen Sinn der noch gebräuch­li­chen auf­be­wahrt wie­der­fin­den: z.B. das vor­er­wähn­te »Fürst« in sei­ner ursprüng­li­chen Bedeu­tung: »der Ers­te«, the first, prin­ceps. In der neu­en Auf­la­ge des ursprüng­li­chen Tex­tes der »deut­schen Theo­lo­gie« sind mir man­che Wor­te bloß aus dem Eng­li­schen bekannt und dadurch ver­ständ­lich. – – Daß Ephen von Evoe kommt, wird doch wohl kein neu­er Ein­fall sein? – 

libr1»Es kos­tet mich« ist nichts, als ein solen­ner und pre­zio­ser, durch Ver­jäh­rung akre­di­tier­ter Sprach­feh­ler. Kos­ten kommt, eben wie das ialiä­ni­sche cos­ta­re, von con­sta­re. »Es kos­tet mich« ist also me con­s­tat, statt mihi con­s­tat. »Die­ser Löwe kos­tet mich« darf nicht der Mena­ge­rie­be­sit­zer, son­der nur Der sagen, wel­cher vom Löwen gefres­sen wird. – 

Die Aehn­lich­keit zwi­schen colu­ber und Kolo­bri muß durch­aus zufäl­lig sein, oder aber, wir hät­ten, da die Koli­bri nur in Ame­ri­ka vor­kom­men, ihre Quel­le in der Urge­schich­te des Men­schen­ge­schlechts zu suchen. So ver­schie­den, ja ent­ge­gen­ge­setzt, auch bei­de Thie­re sind, indem wohl oft der Koli­bri praeda colu­bri wird; so lie­ße sich dabei doch an eine Ver­wechs­lung den­ken, der­je­ni­gen ana­log, in Fol­ge wel­cher im Spa­ni­schen acei­te nicht Essig, son­dern Oel bedeu­tet. – ueber­dies fin­den wir noch auf­fal­len­de­re Ueber­ein­stim­mun­gen man­cher ursprüng­li­che Ame­ri­ka­ni­scher Namen mit denen des euopäi­schen Alter­th­ums, wie zwi­schen der Atlan­tis des Pla­ton und Azt­lan, dem alten, ein­hei­mi­schen namen Mexi­kos, der noch jetzt im Namen der mexi­ka­ni­schen Städ­te Mazat­lan und Tom­at­lan vor­han­den ist, und zwi­schen dem hohen Ver­ge Sora­ta in Peru und dem Sokra­tes (ital. Sora­te) im Appenin. 

Ich weiß, daß sans­kri­ti­sche Sprach­for­scher ganz anders angethan sind, als ich, die Ety­mo­lo­gie aus ihren Quel­len abzu­lei­ten, behal­te aber den­noch die Hoff­nung, daß mei­nem Dile­tan­tis­mus in der Sache man­ches Frücht­chen auf­zu­le­sen geblie­ben ist. 

Fort­set­zung von hier. / Fort­set­zung hier.

  1. soweit ich das halb­wegs rich­tig über­set­ze: die Geis­ter der Ver­stor­be­nen treibt es umher, wes­halb Tote immer noch gegen­wär­tig sind []

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