Für alle, die die Übersetzerei auch über den kärglichen Broterwerb hinaus interessiert, hier die »Vorrede« der ersten Ausgabe von Christian Ludwigs Deutsch-Englischem Wörterbuch, das ich im letzten Blogartikel vorgestellt habe.
War 1716 schon die Buchdruckerkunst, zumindest was die Lesbarkeit anbelangt, nicht auf dem Stande eines modernen Tintenstrahlers, die Fraktur tut das Ihre und der Gilb gibt dem Leseerlebnis bisweilen den Rest. Selbst das in Sachen Fraktur manchmal recht tapfere OCR-Programm Tesseract, das ich hier schon mal vorgestellt habe, ist da machtlos; erstaunlich, dass es überhaupt hier und da eine Zeile zu entziffern vermag. Also, hier mit großem Fleiß ins Reine getippt, unter Beibehaltung des alten Textes, versteht sich. Ich gebe die Originalseiten anbei, einfach anklicken, damit Sie vergleichen können. Und wenn Sie einen Fehler, bei mir, nicht im alten Text, finden, nicht genieren, einfach Kommentar unten benutzen.
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Teutsch-Englisches Lexicon,
worinnen nicht allein die Wörter samt den Nenn-Bey-und Sprich-Wörtern,
sondern auch so wol die eigentliche als verblümte Redens-arten verzeichnet sind.
Aus den besten Scribenten und vorhandenen Dictionariis mit grossem fleisz zusammen getragen.
Das erste so iemahls gemacht worden
Leipzig, bey Thomas Fritschen
1716
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Ehrlich gesagt, als Einleitung zu einem Wörterbuch fand ich Ludwigs »Vorrede« weniger interessant als vom sprachlichen Standpunkt her: 300 Jahre altes Deutsch! Man muss wirklich hier und da um die Ecke denken, um das Theil zu verstehen. Der Text hat aber gerade deshalb seinen unbeabsichtigten Witz. Deshalb seien aber auch ein paar Worterklärungen beigegeben. Nur um der besseren Lesbarkeit willen habe ich Stichwörter fett hervorgehoben.
Ein Dictionarium oder Wörter=Buch braucht eigentlich keiner vor=oder lob=rede, denn es redet vor sich selber. Ein ieglicher, dem nur das Alphabet geläufig ist, weiß, wie mans brauchen soll, und die nothwendigkeit des gebrauchs erkennen alle, die eine fremdde sprache fertig lernen wollen. Nichts destoweniger ist man gemüßigt, das gegenwärtige Dictionarium nicht ohne vorrede in die welt zu schicken, weil es das erste von seiner art ist, darinne eintzele teutsche wörter so wohl, als gantze redens=arten, und insonderheit solche, darinnen eine sprache von der andern abgeht, ins Englische übersetzet sind.
Dergleichen arbeit zu verfertigen, schien umso vielmehr an der zeit zu seyn, weil durch fest=stellung der Protestantischen erb=folge in Groß=Britannien auf das Durchlauchtigste Chur=Haus=Hannover1 die Engelländer2 und Teutschen genauer verknüpft zu werden anfiengen, und nun auch, nachdem die iezt=regierende Groß=Britannische Majestät den thron bestiegen, würklich verknüpfft worden.
Wie demnach der Verleger schon vor zehen jahren durch einen geschickten mann3 ein Englisch=Teutsch=Frantzösisches Dictionarium verfertigen lassen; also hat er den liebhabern mit diesem anderen theile, der auf gewisse masse fast nöthiger ist, als der erste, nicht entstehen wollen. Man hat zwar, weil die teutsche sprache überaus wort=reich ist, wofern nicht manches nöthige ausbleiben solte, das Frantzösische darinne weglassen müssen, und wird also bloß ein Teutfch und Englisch Dictionarium geliefert. Man kan aber doch versichern, daß an demselben in andere wege weder kosten noch mühe gesparet, wie denn dieser andere theil allein deßwegen um ein gutes mühsamer, als der erste gewesen, weil man bey diesem doch noch einen gebahnten weg vor sich hatte, ietzt aber silber das eiß brechen musste.
Es sind deßwegen die neuesten und besten so wohl Teutsche als Englische Scribenten und mit andern sprachen verknüpffte Dictionaria durchgehends gebraucht, aus denselben das nöthige sorgfältig und mit reiffer erwägung genommen und achtung gegeben worden, wie man die natur beyder sprachen am füglichsten vergleichen, und nach erforderung der einen den sinn der andern aufs eigentlichste ausdrücken möchte.
Die schul=wörter der Lateinischen Grammatik sind hie gantz und gar ausgelassen, weil viele von denen, die dieses Dictionarium gebrauchen werden, wol nicht viel studirt haben möchten, und nicht würden gewust haben, was solche mit anfangs=buchstaben bezeichnete Lateinische kunst=wörter wolten. Zugeschweigen, daß selbst die gelehrten den damit gesuchten zweck an manchen orten nicht würden beobachtet haben. An statt dessen aber hat man andere und hoffentlich besser zugängliche mittel erwehlet, von welchen eines und anders zu erwehnen.«
Die Genera Nominum Substantivorum im Teutschen, sind mit dem in paranthesi beygesetzten artickel (der, die, das) angezeiget. Dieser Generische unterscheid im Teutschen verursachet, daß den Engeländern Teutsch zu lernen schon schwerer wird, als den Teutschen Englisch. Denn im Englischen bleibt der artickel (The) in omni genere, numero & casu unveränderlich.
Bey einem worte, das (entweder mit oder ohne Veränderung des artickels) mehr als einerley) bedeutung hat, findet man eine iegliche bedeutung besonders, mit exempeln von redens=arten verständlich gemacht, und mit zahlen 1.2.3.etc. unterschieden. Eben dergleichen mit ziffern angezeigten unterscheid der bedeutung findet man auch bey den verbis und bey allerlei art von wörtern. An manchen orten findet man die ziffern wenn ein wort unterschiedliche flexiones oder sonstruciones hat, die zu mercken sind. Wie denn fast alle nomima adjectiva numero secundo in adverbia verwandelt und mit einer phrasi, darin sie mit einem verbo copuliert stehen, angezeiget werden, damit ein ungelehrter Teutscher die Englische adverbia recht gebrauchen lerne. Die Teutschen brauchen das nomen adjectivum neutrius generis meistentheils pro adverbio ohn alle veränderung : die Engeländer aber setzten zu ihren nominibus adjectivis die sylbe ly hinzu, und formieren solcher gestalt ihre adverbia. Da muß nun ein ungelehrter Teutscher, der Englisch lernen will, auch adjectiva und adverbia unterscheiden lernen. In diesem Stück fällt ihm die erlernung der Englischen sprache schwerer, als einem Engeländer die erlernung der Teutschen. Dieses Dictionarium aber unterrichtet den ungelehrten Teutschen allenthalten, daß zwar zum verbo: ich bin, oder werde, das ajejctivum, zu allen andern verbis aber das adverbium gehöre.
Bey den verbis hat man ihre Genera folgender massen unterschieden. Man hat einem ieglichen verbo entweder einen accusativum vel rei vel personae, oder aber gar keinen, oder auch das reciprocum (sich) in parenthesi beygesetzet. Da nun aber die Engeländer das Teutsche nomen impersonale (man) nicht (wie die Frantzosen, homme oder l’homme, constructe on order l’on) beliebet haben in ihre sprache aufzunehmen, folglich auch seiner reciprocorum (sich und sein) ermangeln, welche, wo man unser Lexicon nur auffschlägt, in utraque pagina zehn=und zwantzig=mahl vorkommen, weil der gebrauch des modi infinitivi, wenigstens beym anfang eines ielichen verbi, unvermeidlich gewesen, so enstund die frage, wie doch die cum infinitivo construirte wörter, sich und sein, müsten verenglischet werden.
Sollten zum exempel die Phrases: sich frölich erzeigen, seine geschäffte verrichten, seine heimlichkeit iemand offenbahren, auf Englisch gegeben werden, und man hätte setzen wollen : to shew himself merry, to do his bisness, to tell one his secret: so hätte man übel und unrecht übersetzt. Denn die ersten beyde sätze heißen gar nichts, weil den Relativis him und his dasjenige mangelt, worauf sie sich möchten beziehen. Das his aber im dritten satz bezieht sich auf etwas unrechtes, und giebt ihm einen solchen sinn, einem seine heimlichkeit offenbahren und ihm sagen was er heimlich hält, einen solchen sinn hat das aufgegeben Teutsch nicht, sondern, seine eigene heimlichkeit iemand offenbahren.
Diesem mangel abzuhelfen, hätte man nach art der in Engeland gemachten Lateinischen und Frantzösischen Leixcorum, die aufgabe also vertiren4 müssen : to shew ones self merry, to do ones business, to tell one ones secret: das ist zwar gut englisch auch in demjenigen sinn, den unser Teutsches problema erfordert; aber die beyde letztere sätze haben einige zweydeutigkeit, und heissen auch, iemands geschäfte verrichten, eines andern heimlichkeit einem duitten offenbahrten, das ist unser problema nicht. Es läst sich zwar das aequivocum aufheben, wenn man setzet, to do ones own bisness, seine eigene geschäffte verrichten, allein darauf folget auch, und sich um anderer leute ihre nicht bekümmern, welches in der Teutschen phrasi nicht enthalten, sondern zu weit gegangen, und also auch unrecht verdolmetscht ist.
Allen diesen unbequemlichkeiten hat man vorgebeuget, wenn man die aufgegebene drey sätze also übersetzet: to shew yourself merry, to do your business, to tell one your secret: das ist nicht allein gut Englisch, sondern es entdeckt auch einem Engeländrr ohne zweifel oder zweyduetigkeit eben denselben sinn, der einem Teutschen in gedancken schwebet, wenn er höret oder lieset; sich frölich erzeigen, seine geschäffte verrichten, seine heimlichkeit iemand offenbahren. Derhalben hat man diesen weg erwehlet, das Teutsche Reciprocum impersonale bey den infinitivis durch das englische Pronomen your zu verdolmetschen; und durchs gantze lexicon von anfang bis zu ende ist es einförmig also gebrauchet zu finden.
Die Engeländer führen ihr you und your viel häuffiger im munde, als die Teutschen die Pronomina, Ihr, Euch und Euer. Die tertia persona utriusque numeri, so bey den Teuschen, wenn sie ehrerbietung vor einen haben, im gebrauch ist, fällt einem Engeländer überaus schwer sich anzuwehnen.5 Hingegen stutzet ein Teutscher ein wenig, wenn er in Engeland höret, wie man auch so gar die personen von hohem rang ihrzet;6 aber er lernet es bald.
Was die figürliche oder verblümte wörter und redens=arten der Teutschen betrifft, zu denen haben sich meistentheils solche von gleiche art im englischen gefunden, die denselben sinn an den Tag legen. Eben so verhält sichs mit den sprich=wörtern. Man hat dieselbe allemahl mit gleichgültigen sprichwörtern verdolmetscht; wenn schon zu weilen kein wort des einen in dem andern zu finden ist, so haben beyde einerley sinn und meynung.
Noch ist übrig, von den Verbis Anomalis oder irregularibus beyder sprachen erwehnung zu thun. Dieselbe muß sich einer, der eine fremde sprache lernet, aus der Grammatic wol bekandt machen. Die Engeländer, so Teutsch lernen wollen, mögen Schottelii Teutsche sprach=kunst7 oder Bödickers grundsätze der teutschen sprache8 zu hand nehmen.
Es sind aber in gegenwärtigem Dictionario die Verba Anomala fleißig mit in betrachtung gezogen, und bey denen, die am meisten vorkommen, hat man gemeiniglich die tempora irregularis flexionis mit erwehnet und erklärtet. Alle und iede haben nicht können angeführet werden, es wäre sonst das buch gar zu groß geworden.
Endlich was den rechten accent und lang-gebräuchliche pronunciation beyder sprachen betrifft, so kan ein Teutscher zwar einige hülffe in diesem stück aus dieses Dictionarii ersten Theil erlangen, weil in demselben alle Englische wörter accentuiert sind : es muß aber beyderseits eine lebendige stimme und das gehör das beste zur sache thun. Es lasse sich ein Teutscher von einem gebohrnen Engeländer aus einem Englischen buch, und ein Engeländer von einem gebohrnen Teutschen aus einem Teutschen buch, zum öffteren was vorlesen, insonderheit solche texte, die dem hörer vorhin schon bekannt, er höre fleißig zu, und imitire die aussprache gantz eigentlich, das ist der beste weg einer sprache mächtig zu werden; denn alles übrige findet er in dem Dictionario und der Grammatic.
Das ists, was nöthig geschienen, dieses Dictionarii halber zu erwehnen. Man wünschet allen, die es gebrauchen werden, daß es ihnen nützlich, bequem und angenehm sey: alsdenn wird man die darauf gewandte grosse Arbeit und kosten sich nicht tauren lassen.9
Leipzig den 3. May 1716.
- »Das Churhaus, des ‑es, plur. die ‑häuser, ein fürstliches Haus, welches mit der churfürstlichen Würde bekleidet ist. Das Churhaus Sachsen, Brandenburg, Baiern u. s. f.« Adelung = Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Zweyte, vermehrte und verbesserte Ausgabe. Leipzig 1793–1801. [↩]
- diese Schreibung war durchaus üblich damals: siehe Die Treulosigkeit der Engelländer [↩]
- er selbst [↩]
- Vertiren, umdrehen, umwenden, umkehren, übersetzen, dolmetschen. Krünitz [↩]
- Anwehnen: angewöhnen, assuescere [↩]
- ihrzen [↩]
- Justus Georg Schottelius [↩]
- Johann Bödicker [↩]
- er meint, das Geld wir Sie nicht reuen … tauern, tauren, verb. mit echtem anlaut, s. das zweite dauern theil 2, 842, wozu hier einige nachträge kommen: darumb so lasz dein tawren (klagen, bereuen) sein. H. Sachs 12, 290, 3; mich tauert: aber lasse dich nit tauren die frucht, die darnach kompt. Keisersberg pred. (1508) 8b; aber ietz lauffen wir darumb (umb die empter) geen Rom .. wir kauffen stimmen und lassen uns nüt (nichts) thauren. evangelibuch (1515) 100c; und turt in, das der tempel sölt verloszen werden. postille 2, 15a; es tauerten in auch die unschüldigen kindlein. buch der liebe 3b; Grimm [↩]
Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
Hallo. Für diese Entdeckung nebst Link sei Ihnen herzlichen Dank. Möchte mich auch revanchieren mit zwei Druckfehlern in dem “wie demnach” beginnenden Absatz: Mühre und eien sind wohl Mühe und einen. Und genaugenommen ist auch das Anführungszeichen vor “wie” schon zuviel? Apropos: Sie haben in vielen Ihrer Artikel die Anführungszeichen »«. Ich würde das ja auch gerne machen, aber was für eine Tipperei! Immer mit Alt+ in dem Zahlenblock rumzutippen? Wie schaffen Sie das?
Mit herzllichstem Gruß
Ulf
Herzlichen Dank für den Hinweis. Werd ich gleich korrigieren. Die Anführungszeichen mache ich mit einem Tastenkürzel mittels AutoHotKey. Das ist ein geniales Programm, das Sie Ihren Computer völlig personalisieren lässt. Spart mir locker eine halbe Stunde Arbeit pro Tag. Schauen Sie mal danach. Kostet nichts. Cheers!
Hallo. Herzlichen Dank gleich nochmal. Ich habe mir das angesehen und auch installiert, worauf ich dann so ein grünes “H” in der Windows-Taskleiste hatte. Da ich aber keinerlei Funktion zu erkennen vermochte, habe ich mich dann auf der Website umgesehen. Zu meinem Entsetzen müsste man da aber offensichtlich programmieren können, um das auch tatsächlich zu nutzen. Ich weiß, das sprengt hier den Rahmen, aber wäre es sehr frech von mir, wenn ich Sie bitten würde, den Trick mit den Anführungszeichen kurz zu erklären? Oder ist das zu kompliziert?
Mit herzlichstem Gruß
Ulf
Für jemanden, der alte Wörterbücher »liest«, kein Problem. Gucken Sie mal hier. Der Artikel ist schon vor längerer Zeit geschrieben, hatte ihn ganz vergessen. Ich brauchte also nur die Links zu aktualisieren & auf Ihre Frage einzugehen. Ist wirklich simpel. Probieren Sie’s aus. Cheers!