Gehört habe ich den Namen Phil Spector zum ersten Mal in den 60erJahren, im Zusammenhang mit Tina Turners monumentalem »River Deep Mountain High«. Damals interessierte freilich das Drumrum um die Musik nicht so sehr, es gab in diesem Bereich keine Fachpresse, und hätte es sie gegeben, dann hätte man als Teenager trotzdem Lebensnäheres zu tun gehabt, als sie zu studieren. Von Produzenten jedenfalls wusste man herzlich wenig; was zählte, das waren die Hits.
Das nächste Mal hörte ich den Namen Spector im Zusammenhang mit Lennons »Instant Karma!«, einer nicht weniger monumentalen Produktion, bei der im Radio von gleich zwei Flügeln und weiß der Kuckuck was sonst noch für Aufwand die Rede war.
Und gleich darauf fiel der Name Spector im Zusammenhang mit der Produktion von Let it Be, dem letzten Album der Beatles. John Lennon hatte die Bänder, wie damals zu hören, in der lustlosen Endphase der zerstrittenen Beatles nach Amerika geschickt, um Spector retten zu lassen, was denn zu retten sei. Ich hatte in England ein Heftchen mit Songtexten erstanden, und ich erinnere mich nicht mehr an den Wortlaut der Bemerkungen über das Album, aber ich weiß seither, dass es das Wort »schmaltz« auch im Englischen gibt.
Nicht nur die Beatles lösten sich auf, es bewegte sich eine Menge um 69/70, Supergroups entstanden und trennten sich wieder, die erste große Zeit der Rockmusik, in der alles irgendwie unverrückbar fest gefügt schien, war aus & vorbei.
In den 70er-Jahren begann man dann mehr über die Hintergründe der Rockmusikbranche zu erfahren; neue Genres tauchten auf, man begann diese Musik zu kategorisieren, ja überhaupt erst richtig über eine Musik zu reden, die ja nun bereits auf eine gut fünfzehnjährige Geschichte zurückblicken konnte. Und irgendwo fast am Anfang dieser Geschichte figuriert bereits der Name Phil Spector. In Guy Peellaerts und Nik Cohns Rock Dreams bekam man ihn denn endlich zu sehen, den jungen Millionär von eignen Gnaden, in Shorts und Kimono auf einem lilablassblauen Bett, Kopfhörer groß wie Boxhandschuhe, einige LPs um sich verteilt, ein Exemplar von Variety, eine Zigarre in der Linken, einen Drink in der Rechten. (Die Zitronenscheibe über dem Rand des Glases? Schlicht genial!) Und darunter hieß es, geradezu ominös nimmt sich das jetzt aus, als man ihn endlich in ein Studio ließ, »zahlte er’s dann mit einer 20 Jahre lang gespeicherten Wut … allen zurück, seine geballte Ladung an Energie entlud sich in einem Feuerwerk irrer, böser, völlig überdrehter Phantasie … der wahre Nachfolger von Cecil B. DeMille, Idol aller Teens, ein Scheißer, ein Genie und ein Freak.« In dieser Bildlegende aus dem Jahre 1973 steht alles drin.
Ein schmächtiges Kerlchen Jahrgang 1940 aus bescheidensten Verhältnissen, das 17-jährig mit »To Know Him Is To Love Him« einen Song schrieb, der 1958 die Charts stürmte, drei Wochen die Nummer 1 war – und seinen Teddy Bears dem Vernehmen nach gerade mal 3000 Dollar brachte. Den Rest steckten andere ein. Minderjährig und damit nicht vertragsfähig, lernte er seine erste Lektion auf die harte Tour und schlug sich auf die andere Seite der Plattenbranche; er begann sich mit der Studioarbeit vertraut zu machen und wurde Produzent.
Von Beginn der 60er-Jahre an produzierte er eine ganze Reihe von Hits, die sich zunächst einmal durch einen rigorosen Produktionsstil, in dem nicht billig an Fließband produziert, sondern so lange gefeilt und gewerkelt wurde, bis alles exakt so war, wie es im inneren Ohr des fanatischen jungen Kontrollfreaks klang.
Mit praktisch doppelt so vielen Instrumenten, wie andere Produzenten sie einsetzen, also vier, fünf Gitarren, zwei Bässen, sechs, sieben Bläsern, Chören, einer Vielzahl von Perkussionsinstrumenten, viel Echo und durch Streicher erzielte Obertöne schuf Spector die Formel für das, was man bald den »Wall of Sound« nennen sollte. »You’ve Lost That Loving Feeling« und andere Hits, die er mit den Righteous Brothers kreierte, gelten als Paradebeispiele für seine »kleinen Symphonien für die Kids«.
Eine Reihe von Faktoren, nicht zuletzt die mit der Emanzipation der Künstler einhergehende Schmälerung der Produzentenmacht, nahmen dem Megalomanen zunehmend die Freude an seiner Rolle, und als es das eingangs erwähnte »River Deep Mountain High« noch nicht einmal in die Top 40 schaffte, zog er sich frustriert zurück. John Lennon, der Spector zutiefst verehrte, holte ihn also praktisch aus dem Ruhestand zurück. Er produzierte neben der Plastic Ono Band auch noch George Harrisons Hits, allen voran »My Sweet Lord«.
In der Geschichte der populären Musik ist Phil Spector also ein unbestrittener Gigant. Dass er privat eher das Gegenteil und ein Mensch voller Probleme war, erfuhr man, oder ich jedenfalls, erst nach und nach aus Interviews mit einigen der Künstler, die er produziert hatte. Leonard Cohen erzählte, Spector habe ihn eines Nachts während der Arbeit an Death of a Ladies Man aufgeweckt und unter vorgehaltener Schusswaffe gezwungen, eine Flasche Wodka – glaube ich, war es – zu leeren. John Lennon hatte er ebenfalls mit der Waffe gedroht. DeeDee Ramone erzählt dasselbe in seiner Autobiographie. In Restaurants pöbelte er Leute an, um sie dann von seinen Bodyguards verprügeln zu lassen. Es wäre albern zu behaupten, die von ihm produzierte kontrovers-düstere Ballade der Crystals »He Hit Me (And It Felt Like a Kiss)« hätte von seinem Verhältnis zu Frauen gehandelt, immerhin stammt sie aus der Feder von Goffin und King, aber Tatsache ist, dass er seine Frau Ronnie Spector buchstäblich wie eine Gefangene hielt, und definitiv konnte er es nicht haben, wenn Frauen sich ihm widersetzten; so einige jedenfalls scheint er bei sich zu Hause mit vorgehaltener Waffe erobert zu haben. Hier spitzt hinter dem Giganten der Schatten eines von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Würstchens, eines Bully hervor.
Man denke sich nun, was in diesem Menschen, mittlerweile 69 Jahre alt, vorgegangen sein mochte, als ihn in jener verhängnisvollen Nacht im Februar 2003 nach einem Zug durch die Gemeinde die schöne Lana Clarkson, den Zutritt zur VIP Lounge des House of Blues verwehrte. Nicht nur erkannte ihn die Schauspielerin, die dort als Hostess arbeitete, nicht, sie hielt ihn offensichtlich auch noch seiner merkwürdigen Frisur wegen für eine Frau! Wieso also sollte er sie angesichts dieser Demütigung gegen Ende seines Besuchs im House of Blues auffordern, mit ihm nach Hause zu kommen? Nun, vermutlich kaum, um sie umzubringen, das ginge denn doch etwas zu weit, aber warum nicht, um ihr zu zeigen, wer er ist? Und als sie dann unverrichteter Dinge wieder gehen wollte, das alte Spiel mit dem Revolver. Bei wenigstens fünf Frauen, so der Staatsanwalt, hatte Spector es in der Vergangenheit gespielt und abgedrückt – der Hahn war zu ihrem Glück auf eine Kammer ohne Patrone geknallt. Dieses Mal ging das Ding eben los. Ein Schuss in den Mund, der die Halswirbel durchtrennte…
Was macht man nun künftig, wenn man »River Deep Mountain High« hören möchte, »Instant Karma!« oder von mir aus auch »My Sweet Lord«? Und wenn man Spectors Version von Let It Be für die bessere (und witzigere) hält als Paules bierernst von Streichern & Witz gesäuberte Neuausgabe? Auch Lennons Psychoklassiker »Mother« ist von ihm produziert! Nun, es ist sicher nicht so, als würde man sich eine CD von Charles Manson bestellen, (die gibt es, doch doch und immerhin hat der Mann einen Song für die Beach Boys geschrieben), aber ob es einem dabei je wieder so richtig warm ums Herz wird?