Ich tippe Schopenhauers Betrachtungen über Sprache und Worte hier im Blog nicht nur gaudihalber ab und weil sie mittlerweile gemeinfrei sind; sie sind vielmehr ein Steinchen im Mosaik meiner Beschäftigung mit dem Übersetzen und – in ihrer öffentlichen Darstellung – Partikel im Mosaik meiner Hoffnung, etwas mehr Bewusstsein für das Problem des Übersetzens könnte der galoppierenden Verluderung der Branche durch den blutigen Amateur in die Zügel fallen. Oder, was soll’s, vielleicht auch nur um meinen Frust über selbige – die Branche wie die Verluderung – abzureagieren.
Schopenhauer sprach im letzten Abschnitt der hier abgedruckten kleinen Philosophie des Fremdsprachenerwerbs – und dieser scheint mir (ist das zuviel verlangt?) die Voraussetzung für das Übersetzen wie für das Lektorieren einer Übersetzung – davon, bei der »Erlernung einer fremden Sprache, mehrere ganz neue Sphären von Begriffen in seinem Geiste abzustecken«, dadurch enstünden »Begriffssphären wo noch keine waren«, weil man eben »nicht bloß Worte« erlerne, sondern »Begriffe« erwerbe. Und dieses bloße »Worte-erlernen«1 ist letztlich auch der Hintergrund für das Übel, auch bloß »Worte« zu übersetzen, das heute grassiert, das Übel der »wörtlichen« Übersetzung; und ich spreche hier von »wörtlich« nicht im Sinne irgendwelcher Übersetzungstheorien, sondern von »wörtlich« in seinem banal-bürgerlichen Sinn.
Oder konkret gesagt: Erst heute morgen stieß ich wieder, wie schon mehrmals dieser Tage, auf einen der Kardinalfehler der amateurhaften Übersetzung. Bei der Rechereche eines ganz anderen Projekts traf ich auf folgenden Satz: »Weiße fördern diese Kultur, etwa mit dem Federal Writers Project (FWP), einem Regierungsprogramm.«2 Man braucht nicht erst nachzuschlagen, um zu wissen, dass da im Original – wie oft sich doch der bloße Plagiator heute allein schon durch eine unsachgemäße Übersetzung entlarvt? – »government program« steht; und die meisten werden jetzt bereits wissen, worum es mir heute geht.
So einige Male musste ich einer Person, die eines meiner Manuskripte durch einen Satz wie »er bekam Geld von der Regierung« verbessert hat, erklären, dass man eine Rente nicht von der Regierung bekommt, sondern eben vom Staat. So, Pardon, wie’s eben in meiner Übersetzung vor der »Verbesserung« hieß.
Um den Duden zu bemühen.3
Regierung, die; -, ‑en [spätmhd. regierunge]: 1. Tätigkeit des Regierens (1) Ausübung der Regierungs‑, Herrschaftsgewalt: die R. dieses Herrschers brachte das Land in Not; eine segensreiche R. ausüben; die R. übernehmen, antreten; einen Mann, eine Frau, eine Partei an die R. bringen; unter, während ihrer R. herrschte Frieden; für den Fall, dass die SPD an die R. kommen sollte (Dönhoff, Ära 16). 2. oberstes Organ eines Staates, eines Landes, das die richtunggebenden u. leitenden Funktionen ausübt; Gesamtheit der Personen, die einen Staat, ein Land regieren: eine demokratische, sozialistische, bürgerliche, provisorische, legale, starke, stabile, schwache R.; die amtierende R. des Landes; die R. wankt, ist zurückgetreten, wurde gestürzt; eine neue R. bilden, einsetzen; eine R. ernennen, berufen, unterstützen, angreifen, absetzen; sie gehört der R. nicht mehr an; Man hatte sich gewundert, dass er … in die R. eintrat (Feuchtwanger, Erfolg 10). © 2000 Dudenverlag
Dass wir von der »Tätigkeit des Regierens« bzw. der »Ausübung der Regierungsgewalt« keine Rente erwarten können, ist klar; aber wir bekommen sie eben auch nicht vom »obersten Organ eines Staates, eines Landes«, wir bekommen sie also nicht von einer »demokratischen, sozialistischen, bürgerlichen, provisorischen, legalen, starken, stabilen, schwachen, amtierenden, wankenden, zurückgetretenen, gestürzten oder neuen Regierung«, sondern von dem Gebilde, das unabhängig von all diesen Regierungen besteht, nämlich vom Staat.
Das vorletzte Mal, dass mir die »Regierung« aufgestoßen ist, war neulich bei der Arbeit an dem Artikelchen über Transparency International und Wikileaks. Wie Sie wissen, handelt es sich bei Transparency International um eine »NGO«, ein »Non-Governmental Organisation«, und der Teufel soll die Dumpfbacke holen, der das mit dem Unwort »Nichtregierungsorganisation« eingedeutscht hat. Nicht nur weil es eine Missgeburt von einem Wort ist, sondern weil eine NGO selbstverständlich »nichtstaatlich« oder eben »staatsunabhängig« oder was auch immer ist; mit der jeweiligen – und das ist sie eben immer – Regierung hat das nichts zu tun. Sie ist eben eine private Angelegenheit, eine »Bürgergesellschaft« oder eine »Zivilgesellschaft«.4
Eng damit verwandt ist übrigens die Unsitte, »administration« im Sinne von »Regierung« mit »Administration« zu übersetzen. Hier greifen gleich zwei Prinzipien: das vom völlig unnötigen Fremdwort und das von der hirnlosen Übersetzung. Wenn uns eine »Regierung Adenauer, Brandt, Kohl, Merkel« genügt, dann sollte uns auch eine »Regierung Kennedy, Reagan, Clinton, Bush, Obama« genügen. Dass der Duden die »Administration« aufgenommen hat, ändert daran gar nichts; aufgrund seiner Beobachterrolle kann er schließlich nichts für diesen Unfug.
Das hat nichts, aber gar nichts mit dem von Schopenhauer postulierten »nothwendig Mangelhaften aller Uebersetzungen« zu tun; es hat ausschließlich mit einem Mangel an Problembewusstsein also Erfahrung und in den Fällen, in denen jemand im Manuskript einer Übersetzung den völlig korrekten »Staat« durch die falsche »Regierung« ersetzt, mit dummer Überheblichkeit oder überheblicher Dummheit zu tun.
Man muss sich als Übersetzer jedes Wort erarbeiten, es sich durch Arbeit erwerben, so wie sich jeder andere Handwerker auch jeden Handgriff erarbeiten muss. Wie beim Tischler, Bäcker, Automechaniker geht das nicht über Nacht, und jeder muss mal anfangen. In jeder anderen Branche ist das klar, man bräuchte erst gar nicht darüber zu reden; nur in der Buchbranche ist es nicht üblich, dass man wichtige Aufträge – und die erhebliche Investition in eine Übersetzung verleiht dieser wohl eine gewisse Bedeutung – nur an gestandene Profis vergibt. Und eben dieses Bewusstsein für das Problem gehört geweckt und sollte dazu führen, dass Verlage sich bei der Auftragsvergabe vielleicht wieder mehr unter den Leuten umsehen, die Erfahrung vorweisen können, und das kann der Profi, in gedruckter Form.
- beim Amateur sind sie ohnehin lediglich nachgeschlagen bis erraten [↩]
- Wikipedia — Afroamerikanische Literatur [↩]
- Ich musste mir seitens des Lektorats auch schon anhören, dass schließlich »nicht jeder einen 10-bändigen Duden besitzen kann«. Nun, mag sein, aber es sollte dann eben dieser »Jeder« dann vielleicht auch weder Bücher übersetzen, noch selbige redigieren. [↩]
- über die beiden Begriffe können wir uns ein andermal echauffieren; das depperte Übersetzungsprinzip ist dasselbe: Wort über Sinn und Inhalt [↩]