Wortspiele & andere Gräuel
Es ist ganz natürlich, die eigene Ära als eine allen anderen Zeiten weit überlegene zu sehen. Auf der anderen Seite ergibt sich daraus natürlich auch immer das Problem, dass man alles, was früher war, gern unterschätzt. Ich bin so ein Naivling, insofern es um Sprache geht. Jedenfalls muss ich das annehmen, weil ich immer wieder staune, wenn ich sprachliche Phänomene, die ach so neu scheinen, in einer anderen Zeit, in einem anderen Jahrhundert entdecke. Nehmen wir etwa das seit Jahrzehnten ins Kraut schießende Phänomen des „Schachtelworts“. Natürlich kennt man Lewis Carrolls Bildungen; und die sind nun über 100 Jahre alt. Und dennoch musste ich wieder einmal staunen, in dem im letzten Posting erwähnten Jahresband von Belford’s Monthly folgendes zu entdecken:
“Bul-gar-i-an at-ro-ci-ties” (Bulgarische Gräueltaten) hat um ein Haar das Zeug zu einer Zeile im heroischen Versmaß, (mehr …)
Da viele Wortneuschöpfungen, auch lausige wie „
Gestern habe ich mir mit einiger Verspätung endlich den neuen „Szeneduden“ geleistet, das vom Trendbüro herausgegebene Wörterbuch der Szenesprachen. Ich bin ein großer Fan, letztlich schon seit dem Trendwörterbuch von Horx, das diese ebenso nützliche wie interessante „Reihe“ seinerzeit eingeleitet hat. Noch nicht mal einer wie ich, der selbst ständig in eigener Sache die Sprachfront rauf und runter hetzt, kann all die Neuschöpfungen in seiner Datenbank haben, die die völlig unübersichtliche Szenenlandschaft heute so prägen.
Wer sich gern dem Schmelz von Soul zwischen Motown und Stax und diesseits von Gospel hingibt, dem sei die Scheibe von Candi Staton empfohlen, die ich mir heute, an diesem ersten und verschneiten Sonntag im neuen Jahr bei amazon im allseits beliebten mp3-Format gezogen habe.
You can’t shine shit, heißt es bei den Amerikanern so treffend, und das bedeutet: Scheiße lässt sich nun mal nicht auf Hochglanz polieren. So lässt sich auch meine Haltung gegenüber dem grassierenden Hang zu jener Art von dümmster oberflächlicher Sprachkosmetik zusammenfassen, die unter dem noch dümmeren Konzept der „Political Correctness“ firmiert.
Wieder so eine Prägung, die nicht so recht funktionieren will. Das ganze Jahr über schon begegnet sie mir bei der morgendlichen „Presseschau“: foodoir. Als ich das Wort zum ersten Mal sah, waren meine ersten Gedanken: Ist das neuer Slang für die „Küche“? Eine Kochnische? Ein Esszimmer? Einen Winkel, in dem man vor dem Schlafengehen noch einen Happen als Betthupferl zu sich nimmt? Ein Kämmerchen, in das der schuldbewusste Gourmet sich heimlich zurückzieht, um mal… oder gar einen Raum, in dem man Gaumenfreuden mit Sex kombiniert, schließlich steht für die Amerikaner „boudoir“ weniger für das Frauenzimmer, pardon, als schlüpfrig-assoziativ für den Raum mit dem Bett. Mitnichten. „Foodoir“ kommt, wie ich zu meinem Erstaunen feststellen musste, nicht von „food“ & „boudoir“, sondern von „food“ & „memoir“.
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass man in Übersetzungen aus dem Englischen selten, wenn überhaupt jemals etwas spürt? Ich meine, dass etwas „gespürt“ wird? Was immer man körperlich empfindet oder wahrnimmt, es wird immer nur „gefühlt“. Und wieder einmal hat das einen ganz einfachen Grund: Die bloße morphologische Ähnlichkeit des englischen Ausgangswortes mit irgendeinem deutschen Zielwort schließt bereits den Gedanken an andere Übersetzungsmöglichkeiten kurz und damit aus.
Wenn ich diese Wendung höre, dann bekomme ich erst mal so einen Hals, weil ich das englische Original – what’s your opinion – dahinter höre und eine wörtliche Übersetzung vermute, die… nun ja, bei sowas kriege ich nunmal einen Hals.
