Silvester und »Auld Lang Syne«
Heute Nacht wird in der englischsprachigen Welt wie jedes Jahr um diese Zeit über dem Röcheln der Speienden wieder eine ganz bestimmte Weise zu hören sein. Alles fasst sich über…
Heute Nacht wird in der englischsprachigen Welt wie jedes Jahr um diese Zeit über dem Röcheln der Speienden wieder eine ganz bestimmte Weise zu hören sein. Alles fasst sich über…
Stutenbissigkeit? Sie wissen es alle, das ist ein angebliches Phänomen unter miteinander konkurrierenden Frauen. Ich kann da nicht mitreden. Will es auch gar nicht. Tatsache ist, dass es sich bei dieser »Stutenbissigkeit« um einen tatsächlich existenten Begriff aus der Rosspsychologie handelt. Oder Soziologie? Um die allwissende Wikipedia zu zitieren: »Eine Stute übernimmt in der Herde die Rolle der Leitstute und ist unter anderem für die Frühwarnung vor sich nähernden Raubtieren verantwortlich. Diese Rolle erfordert ein hohes Maß an Verantwortung und Aufmerksamkeit und wird daher meist von erfahrenen, auch älteren Stuten übernommen. Um den Anspruch auf diese Rolle zu erhalten oder zu bestätigen, kommt es gelegentlich zu Rangauseinandersetzungen unter den Stuten. Diese werden meist durch Bisse ausgetragen …«
Wie ich darauf komme? Die Zeit hatte neulich ein schönes Porträt von Alice Schwarzer, (mehr …)
Wenn Chesterton nicht ausschließen möchte, die Staatsmacht könnte den Jakobiner Blake im Zuge der im Gefolge der französischen Revolution über England hereingebrochenen Schreckensherrschaft provoziert haben, so soll das freilich nicht heißen, dass ich die Verschwörungstheorien um die Anzeige gegen Julian Assange unterschreibe. Jedenfalls nicht was die beiden betroffenen Frauen angeht. Nur dass ein internationaler Steckbrief wegen eines Delikts, das sonst noch nicht einmal eine Meldung im Stadtanzeiger wert gewesen wäre, auf die Überlegenheit der Staatsmacht über das Prinzip der Rechtsstatlichkeit weist. Und dass man in Amerika an einem Gesetz laborieren soll, das aus der Wikileaks-Geschichte im Nachhinein einen Hochverrat zaubern und dann rückwirkend gelten soll… Da müsste man weltweit Millionen von Straftaten auf der Basis im Nachhinein geschlossener Gesetzeslücken ahnden. Ich brauche kein Anwalt zu sein, um sagen zu können, dass da Staatsmacht am Recht zu drehen versucht.
Aber hier in meiner Übersetzung die betreffende Stelle aus Chestertons Blake:
Eines Morgens im August des Jahres 1803 trat Blake hinaus in seinen Garten und fand dort einen Soldaten der Ersten Dragoner im scharlachroten Rock, der sich mit der zufriedenen Miene des Besitzenden die Landschaft besah. Blake äußerte den Wunsch, der Dragoner möge den Garten verlassen. Der Dragoner äußerte – »unter zahlreichen abscheulichen Flüchen« – den Wunsch, Blake die Augen aus dem Kopf zu hauen. Mit verblüffender Behendigkeit stürzte Blake sich auf den Mann, bekam ihn mit den Ellenbogen von hinten zu fassen und warf ihn aus dem Garten wie einen Streuner. Der Mann, der wahrscheinlich betrunken und zweifelsohne überrascht war, entfernte sich unter vielen Anwürfen, jedoch keiner davon politischer Art. Kurz darauf jedoch tauchte er mit einer schwerwiegenden Anzeige auf, Blake habe bei dieser Gelegenheit folgende – eher unwahrscheinliche – Worte geäußert: (mehr …)
Nichts, was auf dieser Welt nicht Bezüge hätte. Selbst über Jahrhunderte hinweg. So hat mich eine Passage aus G. K. Chestertons Blake-Biographie heute morgen an das Schicksal vom Julian Assange…
Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke Parerga und Paralipomena Kleine philosophische Schriften Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände Kap. XXV. Ueber Sprache und Worte § 310 von Schopenhauers Betrachtungen über…
Wie auch immer, bei der Übersetzung von Chestertons Blake-Biographie, die ich mir übungshalber nebenbei gönne, gibt es allerhand nachzuschlagen; die Geschichte spielt eben in einer anderen Zeit. So heißt es bei Chesterton über einen Gönner Blakes folgendermaßen:
Es lebte zu dieser Zeit in dem kleinen Weiler Eartham in Sussex ein schlichter, herzensguter, aber einigermaßen bedeutender Landjunker namens Hayley. Er war Grundbesitzer und Aristokrat, gehörte aber zu denen, deren Eitelkeit durch derlei Funktionen nicht zu befriedigen sind. Er sah sich als Förderer der Dichtkunst; was durchaus zutraf, nur war er– ach! – auf eine Idee verfallen, die weit mehr Anlass zur Sorge gab: Er wähnte sich selbst als Poet. Ob jemand diese Ansicht teilte, während er noch als Herr seiner Güter der Jagd frönte, ist heute schwer zu sagen. Mit einiger Sicherheit ist dem heute jedenfalls nicht mehr so. »The Triumphs of Temper«, das einzige Poem Hayleys, an das der moderne Mensch sich erinnern könnte, ist wohl nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil Macaulay damit in einem Essay spöttisch einen seiner klingenden Sätze krönte. Nichtsdestoweniger war Hayley zu seiner besten Zeit ein ebenso mächtiger wie wichtiger Mann, als Dichter noch unerschüttert, als Grundherr schlicht nicht zu erschüttern. Aber wie alle schlicht unvertretbaren englischen Oligarchen war er von einer unmäßigen Gutmütigkeit, die irgendwie ausgleichend oder schützend wirkte, was seine offensichtliche Untauglichkeit und sein Unvermögen anging. Er war fehl am Platz, hatte aber das Herz auf dem rechten Fleck. Diesem tadellosen und strahlenden Herrn der Schöpfung, zu selbstzufrieden, um arrogant, zu solenn kindisch, um zynisch zu sein, zu behaglich in seiner Existenz, um an sich oder anderen zu zweifeln, diesem Manne also stellte Flaxman, ach was, schleuderte Flaxman die weißglühende Kanonenkugel namens Blake an die Brust. Ich frage mich, ob Flaxman dabei wohl gelacht hat. Andererseits knittert und verzerrt Lachen die klare Linie des griechischen Profils.
Das Problem dabei? Nun, vor allem zwei Namen und ein Zitat, das zwar nicht direkt zitiert wird, von dem ich aber doch gerne wüsste, worum es dabei geht. Macaulay ist bekannt, auch wenn ich mich nie mit ihm befasst habe, (mehr …)
Beim Kramen in der Bibliothek eines Freundes fiel mir das hier abgebildete Bändchen auf: Die Über-Ente. Aus dem Jahre 1910. Und so modisch »über« im Englischen ist, musste ich staunen, dass man »über« im Deutschen bereits vor 100 Jahren scherzhaft verwendet haben sollte. (mehr …)
Rap habe ich, wie vermutlich die meisten anderen hierzulande, zum ersten Mal bei Blondie gehört. Da mag jetzt mancher junge Gangsta nur müde lächeln. Aber dann hat er eben keine Ahnung, denn Blondies »Rapture« war nicht nur einer der ersten richtigen Rap-Tracks,1 die putzige Debbie Harry hat in dem Song die Hiphopkultur in ihren Anfängen auch gleich erklärt. So wie sie ihr wiederum damals kein geringerer als Fab 5 Freddy erklärt hatte:
Fab Five Freddy told me everybody’s fly
DJ spinning, I said “My my”.
Und das war 1980. Selbst in New York wusste da noch lange nicht jeder Bescheid, was es mit dieser neuen Subkultur auf sich hatte. (mehr …)
Schopenhauer sprach im letzten Abschnitt der hier abgedruckten kleinen Philosophie des Fremdsprachenerwerbs – und dieser scheint mir (ist das zuviel verlangt?) die Voraussetzung für das Übersetzen wie für das Lektorieren einer Übersetzung – davon, bei der »Erlernung einer fremden Sprache, mehrere ganz neue Sphären von Begriffen in seinem Geiste abzustecken«, dadurch enstünden »Begriffssphären wo noch keine waren«, weil man eben »nicht bloß Worte« erlerne, sondern »Begriffe« erwerbe. Und dieses bloße »Worte-erlernen«1 ist letztlich auch der Hintergrund für das Übel, auch bloß »Worte« zu übersetzen, das heute grassiert, das Übel der »wörtlichen« Übersetzung; und ich spreche hier von »wörtlich« nicht im Sinne irgendwelcher Übersetzungstheorien, sondern von »wörtlich« in seinem banal-bürgerlichen Sinn.
Oder konkret gesagt: Erst heute morgen stieß ich wieder, wie schon mehrmals dieser Tage, auf einen der Kardinalfehler der amateurhaften Übersetzung. Bei der Rechereche eines ganz anderen Projekts traf ich auf folgenden Satz: (mehr …)
Kap. XXV.
Ueber Sprache und Worte
§. 309.
(Zweiter Teil.)
Demgemäß liegt, bei Erlernung einer Sprache, die Schwierigkeit vorzüglich darin, jeden Begriff, für den sie ein Wort hat, auch dann kennen zu lernen, wann die eigene Sprache kein diesem genau entsprechendes Wort besitzt; welches oft der Fall ist. Daher also muß man, bei Erlernung einer fremden Sprache, mehrere ganz neue Sphären von Begriffen in seinem Geiste abstecken: mithin entstehn Begriffssphären wo noch keine waren. Man erlernt also nicht bloß Worte, sondern erwirbt Begriffe. Dies ist vorzüglich bei Erlernung der alten Sprachen der Fall; weil die Ausdrucksweise der Alten von der unsrigen viel verschiedener ist, als die der modernen Sprachen von einander; welches sich daran zeigt, daß man, beim Uebersetzen ins Lateinische, zu ganz anderen Wendungen, als die das Original hat, greifen muß. Ja, man muß meistens den lateinisch wiederzugebenden Gedanken ganz umschmelzen und umgießen; wobei er in seine letzten Bestandtheile zerlegt und wieder rekomponirt wird. Gerade hierauf beruht die große Förderung, die der Geist von der Erlernung der alten Sprachen erhält. – (mehr …)
Kennen gelernt habe ich die Arbeit des genialen französischen Soundbastlers bereits vor einigen Jahren auf der Über-Musiksite Jamendo, das trippige Tag »Abstract Hiphop« hatte mich – oder meinen ebenfalls einschlägig interessierten Nachbarn – zu ihm geführt. Als er von Jamendo nach einiger Zeit wieder verschwand, fand ich das schade. Aber nach dem ersten Schreck entdeckte ich dann seine Homepage, auf der man seine Mucke größtenteils für lau1 abgreifen kann. Mit Abstract Symposium, Broken Symphony, Time to Take Out the Trash, Only After the Show und Aquilon-lp01 habe ich mittlerweile fünf großartige LPs von dem Mann.
»In jedem von uns schlummert tief drin ein Ninja...« Musik irgendwo zwischen IDM und Hiphop Kennen Sie Bump Foot? Nein? Macht nichts. Wenn Sie das betörende Cover des mexikanischen Comic-Künstlers…
So hatten wir hier im Blog jüngst Heigelins Vorwort zu seinem Allgemeinen Fremdwörter-Handbuch für Teutsche von 1818, in dem er Turnvater Jahn zitiert:
Rabennachsprechen, Starmätzigkeit und Papageykunst entstellen kein Volk so sehr, als das teutsche, und unglücklicher Weise finden wir diese Misgeburten schön, wie manche Gebirgsleute ihre Kröpfe. — Klar, wie des Teutschen Himmel, fest wie sein Land, ursprünglich wie seine Alpen, und stark wie seine Ströme, bleibe seine Sprache!
Ich habe mal rasch nach dem Ursprung des Zitats gesucht und es in Jahns Werk Deutsches Volksthum gefunden, das 1810 erstmalig erschien. Wir befinden uns also mitten in der Zeit der Napoleonischen Kriege, zu einer Zeit, in der – nur um den Aussagen etwas Perspektive zu geben – Deutschland des Öfteren ein Hauptkriegsschauplatz war.1
»In einer Sprache wird man nur groß. Homer und das ganze mustergültige Alterthum, Ariosto, Tasso, Cervantes und Sheakespear verplapperten gewißlich nicht ihre Muttersprache in fremden Wörtern. (mehr …)
Kap. XXV.
Ueber Sprache und Worte
Das Wort des Menschen ist das dauerhafteste Material. Hat ein Dichter seine flüchtigste Empfindung in ihr richtig angepassten Worten verkörpert; so lebt sie, in diesen, Jahrtausende hindurch, und wird in jedem empfänglichen Leser aufs Neue rege.
Die Erlernung mehrerer Sprachen ist nicht allein ein mittelbares, sondern auch ein unmittelbares, tief eingreifendes, geistiges Bildungsmittel. Daher der Ausspruch Karls V: »so viele Sprachen Einer kann, so viele Mal ist er ein Mensch.« (Quot linguas quis callet, tot homines valet.) — Die Sprache selbst beruht auf Folgendem. (mehr …)
Big Brother… Ich wollte erst in der Überschrift von Big Brother sprechen, als mir klar wurde, dass dies das Gros der Zugetackerten heutzutage nicht mehr auf Orwell beziehen würde, sondern sofort auf den gleichnamigen »Idiotencontainer«,1 von dem, wie ich mit Stolz behaupten möchte, selbst mit Durchzappen nicht eine Minute gesehen habe.2
Aber für die, die Big Brother noch mit Orwells 1984 in Verbindung zu bringen vermögen … (mehr …)
Vorab, The Anthology of Rap ist nicht die erste Blütenlese1 des Rap, wie in den Rezensionen allenthalben zu lesen. Ich selbst habe mir bereits 1992 Lawrence A. Stanleys Rap: The Lyrics – The Words to Rap’s Greatest Hits zugelegt. Mit der Begeisterung des Slang-Freaks übrigens, nicht etwa weil ich auch nur einen der in die Sammlung aufgenommenen Tracks gekannt hätte, jedenfalls nicht bewusst. Überhaupt, wie man heute schon hinzufügen muss, das war vor dem Internet für Dummies wie unsereins; es waren praktisch die einzigen Texte, die vorgefertigt verfügbar waren. Wollte man Texte haben, musste man die Teile erst mal in stundenlanger Kleinarbeit abhören, notieren. Wie auch immer, die Village Voice zählt The Anthology of Rap zu den besten Büchern von 2010. Das sind so viele nicht. Man misst dem Buch also eine gewisse Bedeutung bei. Und die Autoren sind auf den ersten Blick auch keine Hohlen, immerhin lehren Adam Bradley und Andrew DuBois, beide Englischprofessoren, an der renommierten Yale University.
Umso ärgerlicher freilich sind dann meine beiden Moniten an diesem Buch: (mehr …)
Je mehr Englisch ich verstand, desto öfter begegnete mir die Verwendung der »Axt« für »fragen«, denn so hatte ich das anfänglich aufgefasst, auch anderswo. Wenn Ray Barone alias Raymond in der amerikanischen Sitcom Everybody Loves Raymond1 etwas wissen wollte, dann sagte er in der Regel so was wie: »Let me axe you something.« Und wenn er darauf bestand, jemanden gefragt zu haben, meinte er: »I did axe him!« Ray wohnte in Long Island, einem Stadtteil von New York. Um die Jahrtausendwende. Und in Rudyard Kiplings Geschichte »The Record of Badalia Herodsfoot« sieht sich jemand in den Slums des Londoner East End »What’s the good o’ that, I arx you?« gefragt. Das war im letzten Quartal des 19. Jhs.
Da ist jetzt mal ein schlappes Jahrhundert dazwischen. (mehr …)
Es geht zunächst um die Frage nach der Entstehung menschlicher Sprache überhaupt, dann um die Frage nach der Entstehung der Grammatik. Wie lässt sich angesichts des Verfalls, der Schopenhauers Ansicht nach allenthalben zu beobachten ist, die Herausbildung eines so komplexen Gebäudes wie unsere Grammatik bzw. der Grammatik des Sanskrit erklären?
Arthur Schopenhauer’s sämmtliche Werke
Parerga und Paralipomena
Kleine philosophische Schriften
Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände
Kap. XXV.
Ueber Sprache und Worte
§. 306.
Die thierische Stimme dient allein dem Ausdrucke des Willens in seinen Erregungen und Bewegungen; die menschliche aber auch dem der Erkenntniß. Damit hängt zusammen, dass jene fast immer einen unangenehmen Eindruck auf uns macht; bloß einige Vogelstimmen nicht.
Beim Entstehen der menschlichen Sprache sind ganz gewiß das Erste die Interjektionen gewesen, als welche nicht Begriffe, gleich den Lauten der Thiere, Gefühle, – Willensbewegungen, – ausdrücken. Ihre verschiedenen Arten fanden sich alsbald ein; und aus deren Verschiedenheit geschah der Uebergang zu den Substantiven, Verben, Pronomina personalia u.s.w. (mehr …)