Gaga ist weder caca, noch Gugag, noch Gäggi

Ety­mo­lo­gie ist meist kom­pli­ziert und oft Glück­sa­che, und ver­mu­tet man ein­fach drauf­los, ent­steht gern mal ein Irr­tum, der Ein­fluss auf das Wort selbst nimmt, das sich dann als Volks­ety­mo­lo­gie eine Ewig­keit hält. Wer eine Sprach­kolumne in einer unse­rer bes­ten Zei­tun­gen ver­bricht, soll­te sich das nicht zuschul­den kom­men las­sen und zur Erklä­rung eines Wor­tes nicht unbe­se­hen rasch mal Wör­ter heran­ziehen, die rein zufäl­lig irgend­wie ähn­lich klin­gen  oder ähn­lich aus­se­hen. Sch0n gar nicht, wenn es eines gibt, das haar­ge­nau so klingt und  genau­so aussieht.

Beim Ent­sor­gen der SZ guck ich sel­bi­ge gern noch mal durch, ob nicht viel­leicht noch was her­geht, das auf­zu­be­wah­ren sich loh­nen könn­te, um es dann spä­ter zu ent­sor­gen – nicht gele­se­ner als zuvor. In der Aus­ga­be vom 25./26. Juni fin­de ich im Feuil­le­ton auf Sei­te 15 die Phra­sen­mä­her-Glos­se von gmu mit dem Titel »Alles gaga«. Da ich »gaga« seit Jahr­zehn­ten geklärt wäh­ne, über­flie­ge ich die paar Zei­len inter­es­siert: Was gibt es zu »gaga« noch zu sagen? Gar etwas Neu­es? Offen­sicht­lich ist es im Schwan­ge. Immer noch, wür­de ich sagen, also was soll’s? Dann hor­che ich doch auf: »Wo nur wur­zelt die­se schö­ne neue Gaga-Welt?« Hopp­la! Wie alt ist denn der Autor – oder bes­ser gesagt: wie jung? Und dann heißt es: »Das Schwei­ze­ri­sche Idio­ti­kon klärt…« Wer bei mir hin und wie­der rein­guckt, kennt mich als Freund des schwei­ze­ri­schen Idi­oms, aber so leid’s mir tut: »Gaga«, »Gag-gagg«, »gag­ge­re«, »gag­gen«, »Gage­le«, »Gugag« und »Gäg­gi« haben mit »gaga« eben­so wenig zu tun wie der »›Gagg‹ (vgl. lat. caca­re und caca)«.1

Nicht nur wer­den da viel zu vie­le Wör­ter bemüht, die irgend­wie so ähn­lich sind; das geht mei­ner Erfah­rung nach so gut wie nie gut. Und vor allem: Wenn wir uns ety­mo­lo­gisch schon im Aus­land umschau­en, war­um dann nicht erst mal nach einem Wort, das haar­ge­nau so aus­sieht und klingt. Ich mei­ne, wenn etwas aus­sieht wie eine Ente, quakt wie eine Ente und wie eine sol­che schwimmt, dann ist es meist auch eine Ente.

Und bevor man wis­sen­schaft­lich wird: Fällt einem zu »gaga« nicht vor Lady Gaga erst mal Fred­die Mer­cu­ry ein? (mehr …)

  1. »Gag­ger­la« sind hier im Frän­ki­schen übri­gens die Pro­duk­te vom Huhn; und ein »Gag­gei« ist wei­ter im Süden ein duss­li­ger Mensch. []

WeiterlesenGaga ist weder caca, noch Gugag, noch Gäggi

Fremd­schä­men – eine Lek­ti­on von den Marx Brothers

Vor ein paar Jah­ren schien es plötz­lich einen Begriff für eine Malai­se zu geben, die mich immer schon als ein­zi­gen zu belas­ten schien. Oder jeden­falls konn­te ich sie nie­man­dem ver­ständ­lich machen. Ich spre­che, von dem Bedürf­nis, dem Zwang, Din­ge zu mei­den oder – falls sie im TV pas­sie­ren soll­ten – abzu­schal­ten, die mir für den, der sie sich zuschul­den kom­men lässt, pein­lich sind. Und mit »pein­lich sein« mei­ne ich ein nach­ge­ra­de in der See­le schmer­zen­des Genie­ren. Und plötz­lich soll­te das zur Volks­krank­heit gewor­den sein, sodass es einen Aus­druck dafür braucht? Ich erlau­be mir, Zwei­fel anzu­mel­den, ach was, Protest… 

»Fremd­schä­men«. Geht man danach, wie häu­fig einem der Begriff heu­te unter­kommt, scheint das in den letz­ten – ich weiß nicht, bei­den? – Jah­ren zum Volks­lei­den gewor­den zu sein. Als offen­sicht­lich von Geburt an fremd­schä­mi­ger Mensch kann ich das nicht akzep­tie­ren – nicht in einer bru­ta­len Arsch­gei­gen­kul­tur, in der bereits die Kleins­ten auf dem Spiel­platz ein­an­der ihre tiefs­ten Ängs­te mit einem »Du Opfer!« in die Fres­se hau­en. 1

Ich wage mal zu behaup­ten, dass hier zwei Din­ge durch­ein­an­der gekom­men sind: das ech­te schmerz­li­che Sich-für-den-ande­ren-Genie­ren und das Sich-Auf­gei­len-an-der-Pein­lich­keit-ande­rer. Bei­des sind mensch­li­che Regun­gen, sicher, aber die eine die des­je­ni­gen, der dem ande­ren hilf­reich bei­sprin­gen wür­de, wenn er könn­te, und die ande­re die des Sadis­ten, der den Betrof­fe­nen noch tie­fer in den Dreck tre­ten wür­de, wenn er könn­te. (mehr …)

  1. Bei uns hieß das »Du drei­mo­to­ri­ge Wüs­ten­sau!« Und dann kam als Retour­kut­sche »Du zehn­mo­to­ri­ge Wüs­ten­sau!« Und wem als ers­ter die Zah­len aus­gin­gen, der hat­te ver­lo­ren. Gegen »mil­lionmo­to­rig« war kaum anzu­kom­men, wenn man von »Mil­li­ar­den« kei­nen Schim­mer hat­te. Nicht sehr intel­li­gent viel­leicht, aber mit Sicher­heit nicht mit einem Bein in der Psy­cho­pa­tho­lo­gie. Man hat­te sich abre­agiert und der Käse war geges­sen. []

WeiterlesenFremd­schä­men – eine Lek­ti­on von den Marx Brothers

Das Dre­cki­ge Dut­zend (1)

Ich schaue mir als Über­set­zer sehr vie­le Über­set­zun­gen an; zusam­men mit dem Ori­gi­nal. Satz für Satz. Seit den 1970er-Jah­ren schon. Das ist eine gute Mög­lich­keit, sich das eine oder ande­re abzu­gu­cken. Es gibt immer eine Lösung für ein Pro­blem, die auto­ma­tisch – in einer Daten­bank – parat zu haben, ganz prak­tisch ist; es gibt immer eine, auf die man selbst nicht gekom­men wäre. Und natür­lich fin­det man dabei auch jede Men­ge klei­ne­ren oder grö­ße­ren – auch him­mel­schrei­en­den – Murks. Das hat mich vor eini­gen Jah­ren auf die Idee gebracht, der­lei Klöp­se in einer Glos­se zusam­men­zu­tra­gen. Nicht alle, das wäre nicht zu schaf­fen und lang­wei­lig oben­drein, aber ein Dut­zend pro Titel scheint mir durch­aus ver­tret­bar. Also, bit­te­schön, das ers­te dre­cki­ge Dutzend.

Ich könn­te nicht sagen, ob Über­set­zun­gen heu­te schlech­ter denn je sind, das erfor­der­te etwas umfas­sen­de­re sta­tis­ti­sche Arbeit; ich kann nur sagen, dass sie trotz all der Mög­lich­kei­ten, die sich dem Über­set­zer heu­te bie­ten, nicht bes­ser gewor­den zu sein schei­nen. Aber ehr­lich gesagt, wie soll­ten sie auch? Über­set­zer­sei­tig tum­meln sich heu­te in die­sem Metier mehr blu­ti­ge Ama­teu­re denn je.1 Und ver­lags­sei­tig sieht es nicht viel bes­ser aus. Alles, was zu faul zum Arbei­ten ist, bie­tet sich heu­te als frei­er Lek­tor an. Über das Lek­to­rat – frei oder nicht – habe ich hier im Blog schon das eine oder ande­re gesagt, ich möch­te die ein­schlä­gi­ge Arie hier mal außen vor las­sen; Tat­sa­che ist, der Über­set­zer hat heu­te weni­ger über den Inhalt »sei­ner« Über­set­zung zu bestim­men denn je.2 Des­halb ist »das dre­cki­ge Dut­zend« auch kei­ne Über­set­zer­kri­tik, son­dern eine Über­set­zungs­kri­tik, will sagen eine Kri­tik des fer­ti­gen Pro­dukts, das in jedem Fal­le besag­tes Lek­to­rat zu ver­ant­wor­ten hat.3

Ich habe eben das mehr oder weni­ger ver­kaufs­fer­ti­ge Pro­dukt »mei­ner« vor­vor­letz­ten Über­set­zung zurück­be­kom­men, Teil eines Schnell­schus­ses zu einem aktu­el­len The­ma, bei dem ich einer von vie­len war.4 Im Begleit­schrei­ben aus dem Lek­to­rats­bü­ro heißt es sinn­ge­mäß, Hin­wei­se auf »Böcke« neh­me man gern ent­ge­gen, was natür­lich rei­ne Rhe­to­rik ist. Ich mei­ne, wann hät­te ein Lek­tor schon mal einen Feh­ler gemacht? (mehr …)

  1. Den Grund dafür habe ich mal ange­ris­sen. []
  2. Falls es ande­re Lek­to­ren gibt, kei­ne Ahnung, wie die guten Über­set­zun­gen, die ich so fin­de, zustan­de gekom­men sind, mel­den Sie sich doch bei mir. []
  3. Dar­über dann im Rah­men die­ser Serie ein ander­mal mehr. []
  4. Das Schnell­schüs­se von vie­len gemacht wer­den müs­sen, ist auch so eine Unsit­te der Bran­che, die noch einer nähe­ren Erklä­rung bedarf. Sie folgt irgend­wann in die­sem Thea­ter. []

WeiterlesenDas Dre­cki­ge Dut­zend (1)

Aben­teu­er­lich, selt­sam, son­der­bar – eine wahr­haft gro­tes­ke Unkennt­nis der deut­schen Sprache

bei amazon.com

»Daß Men­schen das­je­ni­ge noch zu kön­nen glau­ben, was sie gekonnt haben, ist natür­lich genug; daß ande­re zu ver­mö­gen glau­ben, was sie nie ver­mochten, ist wohl selt­sam, aber nicht sel­ten.«1 Die­ses Goe­the-Zitat beglei­tet mich seit Jah­ren. Es fällt mir jedes­mal ein, wenn mir wie­der ein­mal so eine Leuch­te mit einem Lan­gen­scheidt Schul­wör­ter­buch das müh­sam auf­ge­bau­te Gebir­ge einer Über­set­zung zer­sto­ßen und in die unfrucht­ba­re Schol­le ihres Unver­mö­gens ein­ge­pflügt hat. Jemand, der kei­ne Ahnung hat, wovon man spricht, wenn man ihm zu erklä­ren ver­sucht, dass hier nicht der Autor erzählt, son­dern ein Erzäh­ler, dass die­ser Erzäh­ler ein Jour­na­list ist, des­sen Höchs­tes im Leben war, Gün­ther Grass inter­viewt zu haben. Und dass der Stil sei­ner Erzäh­lung dies reflek­tiert. Eben auch vom Wort­schatz her. Das kann man eben nicht mit der arg­lo­sen Schlicht­heit einer Aga­tha Chris­tie-Über­set­zung ange­hen.2

Ich bin die­sem Zitat neu­lich wie­der begeg­net – wit­zi­ger­wei­se prak­tisch im sel­ben Kon­text. Bei der Lek­tü­re von Johann August Eber­hards Syn­ony­mi­schem Hand­wör­ter­buch der deut­schen Spra­che, das mir bei einem mei­ner ewi­gen Pro­jek­te, einer Lis­te »schö­ner und brauch­ba­rer Wör­ter«, hilft. Eine Syn­ony­mik soll­te man als Über­set­zer immer bei der Hand haben, am bes­ten natür­lich gleich meh­re­re, und wenn man sich für Wör­ter inter­es­siert, ist es zunächst ein­mal egal, wie alt sie ist. Und Eber­hards ist ein Klas­si­ker. Zu schwei­gen von einem gigan­ti­schen Werk, da es sich beim Hand­wör­ter­buch nur um eine über­ar­bei­te­te Kurz­fas­sung sei­nes 12-bän­di­gen Werks Ver­such einer all­ge­mei­nen deut­schen Syn­ony­mik in einem kri­tisch-phi­lo­so­phi­schen Wör­ter­bu­che der sinn­ver­wand­ten Wör­ter der hoch­deut­schen Mund­art han­delt. (mehr …)

  1. Goe­the, Sämt­li­che Wer­ke XIII, S. 558 []
  2. Was nicht gegen Aga­tha Chris­tie gerich­tet ist; ich mag sie, es ist nur so, dass ihr Stil schlicht und alles ande­re als lite­ra­risch ist. []

WeiterlesenAben­teu­er­lich, selt­sam, son­der­bar – eine wahr­haft gro­tes­ke Unkennt­nis der deut­schen Sprache

Der Über­mensch – Eine wort­ge­schicht­li­che Skizze

Click to order!

Nach­dem mir neu­lich die Geschich­te mit der Über-Ente unter­ge­kom­men ist, fiel mir nun der Auf­satz von Richard M. Mey­er1 wie­der ein, den ich hier schon mal ange­bis­sen habe. Es ging dabei um eine kur­ze Dar­stel­lung der Begrif­fe »Wort­ge­schich­te« und »Begriffs­ge­schich­te« am Bei­spiel des Wor­tes »Mit­tel­punkt«. Aber natür­lich waren die­se Betrach­tun­gen ledig­lich als Ein­lei­tung zum eigent­li­chen The­ma von Mey­ers Essay gedacht: Der Über­mensch: Eine wort­ge­schicht­li­che Skiz­ze. Wen also die fol­gen­den Aus­füh­run­gen inter­es­sie­ren, der soll­te also viel­leicht von vor­ne anfan­gen und sich den ers­ten Teil des Essays anse­hen:  Ein­lei­tung. – Wort- und Begriffs­ge­schich­te. – Bei­spiel: »Mit­tel­punkt«.

Wem das zu viel ist, für den sei der zum Haupt­the­ma des Ver­suchs über­lei­ten­de Gedan­ke hier noch ein­mal gesagt: Bei all den Bedeu­tungs­nu­an­cen, die der Begriff »Mit­tel­punkt« im Lauf der Zeit dazu­ge­won­nen hat, sie alle berüh­ren sich noch mit der urp­sprüng­li­chen rein geo­gra­phi­schen bzw. phy­si­schen Bedeutung:

»Immer­hin, der neue Begriff berührt sich noch mit dem alten. Die Welt als geord­ne­ter Kos­mus, von einem selbst­thä­ti­gen Cen­trum aus regiert – das war ja auch die Vor­stel­lung, die Her­der und Goe­the beseel­te, als sie das ein­zel­ne Kunst­werk als eine Welt für sich auf­fass­ten und eben des­halb einen beherr­schen­den »Mit­tel­punkt« for­der­ten. (mehr …)

  1. Prof. Dr. Richard M. Mey­er : 1860 (Ber­lin) – 1914. 1886 Habi­li­ta­ti­on (über Swift und Georg Chris­toph Lich­ten­berg) an der Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät, Ber­lin; 1886 dort Lehr­tä­tig­keit, zunächst als Pri­vat­do­zent; 1901 als ao. Prof. der deut­schen Lite­ra­tur­ge­schich­te []

WeiterlesenDer Über­mensch – Eine wort­ge­schicht­li­che Skizze

Statt Ver­meh­rung der Begrif­fe: Ver­meh­rung der Worte

Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke Parerga und Paralipomena Kleine philosophische Schriften Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände Kap. XXV. Ueber Sprache und Worte § 310 von Schopenhauers Betrachtungen über…

WeiterlesenStatt Ver­meh­rung der Begrif­fe: Ver­meh­rung der Worte

Über­le­ben vs. Über-Leben

Prak­tisch mit Beginn mei­ner eng­lisch­spra­chi­gen Lek­tü­re stieß ich im Eng­li­schen auf ein Wört­chen, das man als Deut­scher natür­lich sofort als deut­sche Prä­po­si­ti­on, bzw. als deut­sches Adverb oder – dar­um geht es letzt­lich hier – als deut­sches Prä­fix erkennt: »über« oder genau­er gesagt »uber«, schließ­lich spre­chen wir hier noch von der Schreib­ma­schi­nen­zeit. Und das ers­te, wor­an einen das Wort als Deut­scher in den 1960er-Jah­ren erin­ner­te, das war der »Über­mensch«. Und der hat­te noch rela­tiv fri­sche und damit hei­ße Kon­no­ta­tio­nen. Die haben sich ja mitt­ler­wei­le, wie so vie­les rela­ti­viert, abge­kühlt, man kann sich das ruhig etwas genau­er ansehen.

Beim Kra­men in der Biblio­thek eines Freun­des fiel mir das hier abge­bil­de­te Bänd­chen auf: Die Über-Ente. Aus dem Jah­re 1910. Und so modisch »über« im Eng­li­schen ist, muss­te ich stau­nen, dass man »über« im Deut­schen bereits vor 100 Jah­ren scherz­haft ver­wen­det haben soll­te. (mehr …)

WeiterlesenÜber­le­ben vs. Über-Leben

Geld von der Regie­rung? Was für ein Quatsch!

Ich tip­pe Scho­pen­hau­ers Betrach­tun­gen über Spra­che und Wor­te hier im Blog nicht nur gau­di­hal­ber ab und weil sie mitt­ler­wei­le gemein­frei sind; sie sind viel­mehr ein Stein­chen im Mosa­ik mei­ner Beschäf­ti­gung mit dem Über­set­zen und – in ihrer öffent­li­chen Dar­stel­lung – Par­ti­kel im Mosa­ik mei­ner Hoff­nung, etwas mehr Bewusst­sein für das Pro­blem des Über­set­zens könn­te der galop­pie­ren­den Ver­lu­de­rung der Bran­che durch den blu­ti­gen Ama­teur in die Zügel fal­len. Oder, was soll’s, viel­leicht auch nur um mei­nen Frust über sel­bi­ge – die Bran­che wie die Ver­lu­de­rung – abzureagieren.

bei amazon.com

Scho­pen­hau­er sprach im letz­ten Abschnitt der hier abge­druck­ten klei­nen Phi­lo­so­phie des Fremd­spra­che­n­er­werbs – und die­ser scheint mir (ist das zuviel ver­langt?)  die Vor­aus­set­zung für das Über­set­zen wie für das Lek­to­rie­ren einer Über­set­zung – davon, bei der »Erler­nung einer frem­den Spra­che, meh­re­re ganz neue Sphä­ren von Begrif­fen in sei­nem Geis­te abzu­ste­cken«, dadurch enstün­den »Begriffs­sphä­ren wo noch kei­ne waren«, weil man eben »nicht bloß Wor­te« erler­ne, son­dern »Begrif­fe« erwer­be. Und die­ses blo­ße »Wor­te-erler­nen«1 ist letzt­lich auch der Hin­ter­grund für das Übel, auch bloß »Wor­te« zu über­set­zen, das heu­te gras­siert, das Übel der »wört­li­chen« Über­set­zung; und ich spre­che hier von »wört­lich« nicht im Sin­ne irgend­wel­cher Über­set­zungs­theo­rien, son­dern von »wört­lich« in sei­nem banal-bür­ger­li­chen Sinn.

Oder kon­kret gesagt: Erst heu­te mor­gen stieß ich wie­der, wie schon mehr­mals die­ser Tage, auf einen der Kar­di­nal­feh­ler der ama­teur­haf­ten Über­set­zung. Bei der Reche­re­che eines ganz ande­ren Pro­jekts traf ich auf fol­gen­den Satz: (mehr …)

  1. beim Ama­teur sind sie ohne­hin ledig­lich nach­ge­schla­gen bis erra­ten []

WeiterlesenGeld von der Regie­rung? Was für ein Quatsch!

Wie wenig ihr gan­zes Den­ken über die Wor­te hinausgeht…

Arthur Schopenhauer’s sämmt­li­che Werke
Parer­ga und Paralipomena
Klei­ne phi­lo­so­phi­sche Schriften

Ver­ein­zel­te, jedoch sys­te­ma­tisch geord­ne­te Gedan­ken über vie­ler­lei Gegenstände


Kap. XXV.
Ueber Spra­che und Worte 


§. 309.

(Zwei­ter Teil.)

bei amazon.com

Scho­pen­hau­er beschäf­tigt sich hier mit der Bedeu­tung, die das Erler­nen einer Fremd­spra­che auf unse­re Bil­dung und damit auf unser Den­ken hat. Aus dem Umstand, dass jede Nati­on anders denkt, geht her­vor, dass das Erler­nen ihrer Spra­che unse­ren Hori­zont erwei­tert, indem es ihm eben nicht nur neue Wör­ter, son­dern auch neue Begrif­fe hin­zu­fügt. »Meh­re­re neue­re Spra­chen wirk­lich inne haben und in ihnen mit Leich­tig­keit lesen ist ein Mit­tel, sich von der Natio­nal­be­schränkt­heit zu befrei­en, die sonst Jedem anklebt.« Er spricht hier natür­lich nicht von einem Grund­kurs, der es einem erlaubt, es sich im Urlaub gut gehen zu las­sen. Ihm geht es viel­mehr dar­um, das Den­ken einer ande­ren Nati­on in sich auf­zu­neh­men und, auf der ande­ren Sei­te, sich selbst in die­ses Den­ken zu übersetzen.

Dem­ge­mäß liegt, bei Erler­nung einer Spra­che, die Schwie­rig­keit vor­züg­lich dar­in, jeden Begriff, für den sie ein Wort hat, auch dann ken­nen zu ler­nen, wann die eige­ne Spra­che kein die­sem genau ent­spre­chen­des Wort besitzt; wel­ches oft der Fall ist. Daher also muß man, bei Erler­nung einer frem­den Spra­che, meh­re­re ganz neue Sphä­ren von Begrif­fen in sei­nem Geis­te abste­cken: mit­hin ent­stehn Begriffs­sphä­ren wo noch kei­ne waren. Man erlernt also nicht bloß Wor­te, son­dern erwirbt Begrif­fe. Dies ist vor­züg­lich bei Erler­nung der alten Spra­chen der Fall; weil die Aus­drucks­wei­se der Alten von der uns­ri­gen viel ver­schie­de­ner ist, als die der moder­nen Spra­chen von ein­an­der; wel­ches sich dar­an zeigt, daß man, beim Ueber­set­zen ins Latei­ni­sche, zu ganz ande­ren Wen­dun­gen, als die das Ori­gi­nal hat, grei­fen muß. Ja, man muß meis­tens den latei­nisch wie­der­zu­ge­ben­den Gedan­ken ganz umschmel­zen und umgie­ßen; wobei er in sei­ne letz­ten Bestandt­hei­le zer­legt und wie­der rekom­po­nirt wird. Gera­de hier­auf beruht die gro­ße För­de­rung, die der Geist von der Erler­nung der alten Spra­chen erhält. – (mehr …)

WeiterlesenWie wenig ihr gan­zes Den­ken über die Wor­te hinausgeht…

Ueber das not­hwen­dig Man­gel­haf­te aller Uebersetzungen

Arthur Schopenhauer’s sämmt­li­che Werke
Parer­ga und Paralipomena
Klei­ne phi­lo­so­phi­sche Schriften

Ver­ein­zel­te, jedoch sys­te­ma­tisch geord­ne­te Gedan­ken über vie­ler­lei Gegenstände


Kap. XXV.
Ueber Spra­che und Worte 


§. 308.

Das Wort des Men­schen ist das dau­er­haf­tes­te Mate­ri­al. Hat ein Dich­ter sei­ne flüch­tigs­te Emp­fin­dung in ihr rich­tig ange­pass­ten Wor­ten ver­kör­pert; so lebt sie, in die­sen, Jahr­tau­sen­de hin­durch, und wird in jedem emp­fäng­li­chen Leser aufs Neue rege.

bei amazon.com

Wäh­rend Scho­pen­hau­er sich in § 307 mit dem Rät­sel um Ent­ste­hung und Nie­der­gang kom­ple­xer Gram­ma­ti­ken beschäf­tigt, wid­met er sich im fol­gen­den Abschnitt dem Pro­blem gleich­wer­ti­ger Ent­spre­chun­gen für Wör­ter in ver­schie­de­nen Spra­chen oder, genau­er gesagt, er spricht vom Man­gel an sol­chen Ent­spre­chun­gen und den Pro­ble­men, die sich dar­aus für die Über­set­zung erge­ben. Da die­ser Abschnitt län­ger ist, habe ich vor­sichts­hal­ber auf­ge­teilt. Hier also der ers­te Teil.

§. 309.

Die Erler­nung meh­re­rer Spra­chen ist nicht allein ein mit­tel­ba­res, son­dern auch ein unmit­tel­ba­res, tief ein­grei­fen­des, geis­ti­ges Bil­dungs­mit­tel. Daher der Aus­spruch Karls V: »so vie­le Spra­chen Einer kann, so vie­le Mal ist er ein Mensch.« (Quot lin­gu­as quis cal­let, tot homi­nes valet.) — Die Spra­che selbst beruht auf Fol­gen­dem. (mehr …)

WeiterlesenUeber das not­hwen­dig Man­gel­haf­te aller Uebersetzungen

Her­aus­bil­dung und Nie­der­gang des gram­ma­ti­schen Instinkts

bei amazon.com

Scho­pen­hau­er – Über Spra­che und Wor­te. Irgend­wie ganz inter­es­sant, wie vie­le Leu­te das Arti­kel­chen hier auf mein Blog führt – und dann womög­lich ent­täuscht wie­der abzie­hen lässt. Ich habe mir des­halb über­legt, etwas mehr zu die­sem The­ma zu brin­gen, am bes­ten ein­fach para­gra­phen­wei­se und der Rei­he nach. Ich rich­te mich dabei nach dem zwei­ten Teil­band des sechs­ten Ban­des der von Juli­us Frau­en­städt besorg­ten Aus­ga­be von 1891. Der Band trägt den Unter­ti­tel »Ver­ein­zel­te, jedoch sys­te­ma­tisch geord­ne­te Gedan­ken über vie­ler­lei Gegen­stän­de«. »Ueber Spra­che und Wor­te« ist dar­aus das Kapi­tel XXV; und es beginnt mit dem § 306. 

Es geht zunächst um die Fra­ge nach der Ent­ste­hung mensch­li­cher Spra­che über­haupt, dann um die Fra­ge nach der Ent­ste­hung der Gram­ma­tik. Wie lässt sich ange­sichts des Ver­falls, der Scho­pen­hau­ers Ansicht nach allent­hal­ben zu beob­ach­ten ist, die Her­aus­bil­dung eines so kom­ple­xen Gebäu­des wie unse­re Gram­ma­tik bzw. der Gram­ma­tik des Sans­krit erklären?

 


 

Arthur Schopenhauer’s sämmt­li­che Werke
Parer­ga und Paralipomena
Klei­ne phi­lo­so­phi­sche Schriften
Ver­ein­zel­te, jedoch sys­te­ma­tisch geord­ne­te Gedan­ken über vie­ler­lei Gegenstände

Kap. XXV.
Ueber Spra­che und Worte 


§. 306.

Die thie­r­i­sche Stim­me dient allein dem Aus­dru­cke des Wil­lens in sei­nen Erre­gun­gen und Bewe­gun­gen; die mensch­li­che aber auch dem der Erkennt­niß. Damit hängt zusam­men, dass jene fast immer einen unan­ge­neh­men Ein­druck auf uns macht; bloß eini­ge Vogel­stim­men nicht.
Beim Ent­ste­hen der mensch­li­chen Spra­che sind ganz gewiß das Ers­te die Inter­jek­tio­nen gewe­sen, als wel­che nicht Begrif­fe, gleich den Lau­ten der Thie­re, Gefüh­le, – Wil­lens­be­we­gun­gen, – aus­drü­cken. Ihre ver­schie­de­nen Arten fan­den sich als­bald ein; und aus deren Ver­schie­den­heit geschah der Ueber­gang zu den Sub­stan­ti­ven, Ver­ben, Pro­no­mi­na per­so­na­lia u.s.w. (mehr …)

WeiterlesenHer­aus­bil­dung und Nie­der­gang des gram­ma­ti­schen Instinkts

Frost­jack­ing – Väter­chen Frost leis­tet Vorschub

Nach­dem Eng­land letz­tes Jahr bereits einen Rekord­win­ter hat­te, scheint er die­ses Jahr schlim­mer denn je: Tau­sen­de von Schu­len sind geschlos­sen, Leu­te ein­ge­schneit und von der Außen­welt abge­schlos­sen, Lawi­nen­war­nun­gen, die Eng­län­der fah­ren gar Ski! Und selbst­ver­ständ­lich wären wir Men­schen nicht, was wir sind, gäbe es nicht bereits wie­der mal rei­hen­wei­se Oppor­tu­nis­ten, die die Not ande­rer auf die eine oder ande­re Wei­se aus­nut­zen. Die neu­es­te Spe­zi­es davon hat sich dar­auf spe­zia­li­siert, ihren Mit­men­schen das Auto zu klau­en, wäh­rend die­se es zum Auf­tau­en warm­lau­fen und – dum­mer­wei­se – dabei her­ren­los ste­hen las­sen. Man hat die­se Spe­zi­es »frost-jackers« getauft, ihr Ver­bre­chen »frost-jack­ing« bzw. »fros­ting« und das Verb dazu lau­tet »to frostjack«.

Poli­ce forces across the UK are war­ning moto­rists to be extra vigi­lan­te during this peri­od of excep­tio­nal wea­ther as a vehic­le theft crime cal­led “Fros­ting” appears to have swept the coun­try fol­lo­wing the hea­vy snow­falls and icy wea­ther. … Edmund King, AA Pre­si­dent, says, ›Dri­vers should not lea­ve their cars with the engi­ne run­ning to de-ice their winds­creens and return to their hou­ses for a cup of tea. This is when the ‘Jack Frost Car Jackers’ poun­ce and dri­ve off. In the­se cases it is high­ly likely that your car insu­rance will not cover such inci­dents.‹ 1

Ich habe mir, wie hier bereits öfters gesagt, schon immer gewünscht, bei der Geburt eines Wor­tes mit von der Par­tie zu sein. Nun, ich den­ke mal, ich bin gera­de näher dran gewe­sen denn je.Und natür­lich stellt sich dem Wör­ter­buch­ma­cher sofort die Fra­ge nach der Her­kunft des Wor­tes, nach der Etymologie.

Natür­lich haben wir in Ame­ri­ka seit Jah­ren den »car jacker«, der sich eher indi­rekt vom »car hija­cker« ablei­tet, (mehr …)

  1. Inter­na­tio­nal Asso­cia­ti­on of Auto Theft Inves­ti­ga­tors; selbst­ver­ständ­lich müss­te es »vigi­lant« (wach­sam) hei­ßen, nicht »vigi­lan­te« – Tipp­feh­ler oder Freud­scher Lap­sus? []

WeiterlesenFrost­jack­ing – Väter­chen Frost leis­tet Vorschub

Mama & Papa, Pot­sch­am­perl etc. – unge­scheut ver­wüs­te­tes Bayern

Unter die man­cher­lei Ursa­chen, wel­che eine Spra­che ent­stel­len und ver­un­rei­ni­gen, rech­net man beson­ders auch den Krieg. Er gebie­tet, wie über Alles, das er ändern und sich zueig­nen kann, so auch über Zun­ge und Feder, sucht sie ihrer Rech­te und Frei­hei­ten zu berau­ben, oder ihr Eigent­hum unge­scheut zu verwüsten.
Dr. J. F. H e i g e l i n, All­ge­mei­nes Fremd­wör­ter-Hand­buch für Teut­sche, Tübin­gen, Ver­lag von C. F. Osi­an­der, 2. Aufl. l838.

Wenn ich mal mit mei­ner  Mut­ter auf das eine oder ande­re fran­zö­si­sche Wort im Baye­ri­schen zu spre­chen kom­me, erin­nert sie mich gern mal dar­an, dass schon ihre Mut­ter auf die Inter­na­tio­na­li­tät von uns Bay­ern hin­ge­wie­sen habe. Das Zitat aus Hei­ge­lins Fremd­wör­ter­buch oben erin­ner­te mich wie­der mal dar­an. Und dass ich – und ich bin ver­mut­lich nicht der ein­zi­ge – lan­ge davon aus­ge­gan­gen bin, allein oder in der Haupt­sa­che das Kriegs­ge­sche­hen im süd­deut­schen Raum habe für all die fran­zö­si­schen Wör­ter im Baye­ri­schen gesorgt. Dem ist aller­dings nicht ganz so…

bei amazon.com

Zunächst ein­mal ver­bin­det uns Deut­sche ja schon mal eine lan­ge durch­läs­si­ge Gren­ze mit unse­ren fran­zö­si­schen Nach­barn. Bereits im Mit­tel­al­ter sind von »Aben­teu­er« über »Har­nisch« und »Sold« bis »Tur­nier« eine gan­ze Rei­he Wör­ter ein­deu­tig fran­zö­si­scher Her­kunft belegt. Dazu kamen im Spät­mit­tel­al­ter wei­te­re nütz­li­che Wör­ter von »Bas­tard« bis »rund« (oh ja). Die »Jop­pe«,1 scheint dazu zu gehö­ren, auch wenn die natür­lich bei wei­tem weni­ger baye­risch ist als der »Jan­ker«. Und wo wir schon gera­de gesamt­deutsch sind, auch der heu­ti­ge »Kum­pel« kam sei­ner­zeit erst mal als »Kum­pan«2 aus dem Französischen.

Aber um auf den Krieg zurück­zu­kom­men. Ab dem Spät­mit­tel­al­ter ging es in Euro­pa recht­schaf­fen wüst zu; ent­spre­chend kommt viel Mili­tä­ri­sches zu uns, die »Kaval­le­rie«, zum Bei­spiel; dafür haben wir den Fran­zo­sen mit dem »lans­que­net« unse­ren wacke­ren »Lands­knecht« ver­passt. Im 30-jäh­ri­gen Krieg ging es völ­lig drun­ter und drü­ber; da kamen eine gan­ze Men­ge Wör­ter ins Land.

Krieg hin oder her, mit dem aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter (mehr …)

  1. »anlie­gen­des klei­dungs­stück bei­der geschlech­ter, jacke. das wort ist zunächst aus den roma­ni­schen spra­chen ein­ge­drun­gen: ital. giub­ba, giup­pa, span. al-juba, prov. jupa, franz. jupe (neben ital. gib­ba, churw. gip­pa, was in der mhd. form gip­pe, neben jop­pe, zu tage tritt), die span. form aber weist auf das arab. alg ̓ubbah, alg ̓obbah, baum­wol­le­nes unter­kleid, vgl. DIEZ etym. wb. der rom. spra­chen 1, 214. die mhd. form ist jop­pe und jup­pe, neben dem dim. jup­pel« Jacob und Wil­helm Grimm, Deut­sches Wör­ter­buch []
  2. mhd. kom­pan aus alt­franz. com­pain; heu­te natür­lich der copa­in []

WeiterlesenMama & Papa, Pot­sch­am­perl etc. – unge­scheut ver­wüs­te­tes Bayern

Meis­ter Pro­per der teut­schen Spra­che (2)

Heu­te ohne gro­ße Vor­re­de das Vor­wort zur ers­ten Aus­ga­be von J.F. Hei­ge­lins Fremd­wör­ter­buch aus dem Jah­re 1818 nach der zwei­ten Auf­la­ge von 1838.

All­ge­mei­nes Fremd­wör­ter-Hand­buch für Teut­sche, oder Erklä­rung aller fremd­ar­ti­gen Aus­drü­cke der teut­schen Con­ver­sa­ti­ons-Spra­che zur Ver­stän­di­gung, Aus­schei­dung und Wür­di­gung der in teut­schen Schrif­ten und in der Kunst- und Umgangs­spra­che vor­kom­men­den fremd­ar­ti­gen Wör­ter, Aus­drü­cke, Namen und Redensarten.
Ein gemein­nüt­zi­ges Hand­buch für alle Stän­de, Berufs­ar­ten, Küns­te, Gewer­be, Schul- und Bil­dungs-Anstal­ten, so wie für Geschäfts­män­ner, Zei­tungs­le­ser und für jeden teut­schen Vaterlandsfreund.

von
Dr. J. F. H e i g e l i n, Pro­fes­sor der teut­schen Spra­che etc.
Zwei­te sehr ver­bes­ser­te und ver­mehr­te Auflage
Tübin­gen, Ver­lag von C. F. Osi­an­der, l838.


Vor­re­de zur ers­ten Aus­ga­be1

Unter die man­cher­lei Ursa­chen, wel­che eine Spra­che ent­stel­len und ver­un­rei­ni­gen, rech­net man beson­ders auch den Krieg. Er gebie­tet, wie über Alles, das er ändern und sich zueig­nen kann, so auch über Zun­ge und Feder, sucht sie ihrer Rech­te und Frei­hei­ten zu berau­ben, oder ihr Eigent­hum unge­scheut zu ver­wüs­ten. In Län­dern, wo die­ser Feind oft und viel ein­bricht und sein Lager auf­schlägt, rich­tet er immer ein sol­ches Unheil an. Teutsch­land war von jeher sein Schlacht- und Tum­mel­feld. Alle Völ­ker Euro­pens haben sich mehr oder min­der und 1813 inge­sammt dar­auf geschla­gen. Doch trie­ben hier vor­mals die Römer und nach ihnen die Fran­zo­sen ihr Unwe­sen am öftes­ten und kläg­lichs­ten. Das Sie­gel ihrer Herr­schaft drückt sich noch so man­cher teut­schen Zei­le auf, und hängt noch an so vie­ler Mund und Her­zen, daß es der Doll­met­schun­gen und Wör­ter­bü­cher bedarf, um den Lands­mann zu ver­ste­hen, oder sich ihm ver­ständ­lich zu machen. Gerichts- und Schul­stu­ben, Spiel‑, Tanz- und Hör­sä­le, Hüt­ten und Paläs­te haben des latei­ni­schen, fran­zö­si­schen und ande­ren Sprach­keh­rigs noch in Men­ge. Sein Weg­schaf­fen wird immer bespro­chen und betrie­ben; er gleicht aber den Hyd­ra­köp­fen in der Fabel und den Pil­zen, die über Nacht aus­schie­ßen. Wie ein Opiz von Bober­feld2 vor bald 200 Jah­ren über die Ver­un­rei­ni­gung der teut­schen Spra­che in sei­ner Poe­terey (1624) jam­mer­te und klag­te; wie ein Leib­nitz3 wie­der durch sein Ver­bes­se­rungs-Beden­ken dem Uebel zu steu­ern such­te, so erneu­er­ten sich in unse­ren Tagen die­se Kla­gen fast aller Orten un …4 … ner von Geist und Herz tra­ten auf, um das Unkraut vom … sich­ten, uns­rer alten, rei­chen, kräf­ti­gen und sin­ni­gen Spra­che … heit, Wür­de und Selb­stän­dig­keit wie­der zu geben. (mehr …)

  1. die Her­vor­he­bun­gen sol­len der Les­bar­keit die­nen und stam­men eben­so von mir wie die Absät­ze []
  2. Mar­tin Opiz, * 23. Dezem­ber 1597 in Bunz­lau; † 20. August 1639 in Dan­zig. []
  3. sic! Gott­fried Wil­helm Leib­niz (1646−1716), deut­scher Uni­ver­sal­ge­lehr­ter []
  4. hier ist lei­der eine Ecke des Buches mini­mal abge­ris­sen []

WeiterlesenMeis­ter Pro­per der teut­schen Spra­che (2)

Wer zum Gei­er war Larry?

Ich erin­ne­re mich noch, dass wir an der Schu­le Ende der 60er, Anfang der 70er Jah­re den Spruch hat­ten, jemand sol­le hier »nicht den Lar­ry machen«. Bis heu­te war der Spruch in allen Jahr­zehn­ten zu hören. Und sei­ne Beliebt­heit scheint eher zuge­nom­men zu haben als ab. Zumal er mitt­ler­wei­le meh­re­re Bedeu­tun­gen hat. Aber wer war die­ser sagen­haf­te Lar­ry? Dum­mer­wei­se hat­ten wir  damals was Bes­se­res zu tun, als dem Ursprung dum­mer Sprü­che nachzugehen…

~~~

Wie bei allen Wen­dun­gen, die aus irgend­ei­nem Grund attrak­tiv, aber in ihrer Bedeu­tung unklar sind, tritt sich die ursprüng­li­che Bedeu­tung, wie immer sie gelau­tet haben mag, ziem­lich rasch breit. Oft bis ins Gegen­teil. Man den­ke an eine Wen­dung wie etwas »passt wie die Faust aufs Auge«. Das ist hier noch nicht mal der Fall. Den­noch haben wir eine gan­ze Band­brei­te von Nuan­cen: Ob heu­te nun einer »den Lar­ry macht«, »einen auf Lar­ry macht« oder »den Lar­ry raus­hän­gen lässt« oder das alles mit »Lär­ri« oder »Ler­ryn« durch­spielt, es bedeu­tet ent­we­der, dass er (mehr …)

WeiterlesenWer zum Gei­er war Larry?

»Trüm­mel« – (m)eine klei­ne Obsession

Klick zu amazon.com!

Das Schö­ne an einem Blog ist nicht nur, dass es einen zwingt, den einen oder ande­ren Gedan­ken, den man sich mer­ken möch­te, so zu for­mu­lie­ren, dass ihn auch ein ande­rer ver­steht; das macht ein Blog zu einem ganz brauch­ba­ren Notiz­block, der der alten Zet­tel­wirt­schaft haus­hoch über­le­gen ist. Aber als »Publi­ka­ti­on«, ein Blog ist ja welt­weit ein­seh­bar, hat es auch den Vor­teil, sei­nen Obses­sio­nen öffent­lich für eini­ge Inter­es­sier­te nach­ge­hen zu kön­nen, ohne damit denen auf den Nerv zu fal­len, die die­se par­tout nicht inter­es­sie­ren. So im Fal­le des Wört­chens »«, das mich nicht mehr los­las­sen mag, seit ich es ent­deckt habe. Obses­si­on hin oder her, die Zahl der Leu­te, die die Suche nach dem Wört­chen auf das Blog führt, ist durch­aus erstaunlich.

»Trümm­lig«1 – das Wort mag mich ein­fach nicht in Ruhe las­sen. Und nach­dem mein Freund Her­bert Pfeif­fer mich mit dem Schwei­ze­ri­schen Idio­ti­kon2 jüngst auf ein Werk auf­merk­sam gemacht hat, das ich von Anfang an hät­te benut­zen sol­len, hier noch­mal ein Nach­wasch (falls es so etwas gibt).

Das  Schwei­ze­ri­sche Idio­ti­kon. Was für ein Fund! Das Schwei­ze­ri­sche aller Zei­ten bis ins kleins­te Detail seziert, geord­net und auch noch fein­säu­ber­lich in eine Web­site ein­ge­pflegt.3 Das ist genau das, was man sich von allen deutsch­spra­chi­gen Gegen­den wün­schen würde.

Wie auch immer: »trümm­lig« ist hier auf den Punkt gebracht. Wenn auch etwas ein­ge­hen­der, als der bei­läu­fig Nach­schla­gen­de sich das wün­schen wür­de. Und ich sehe, dass mei­nen bis­he­ri­gen Aus­füh­run­gen nichts hin­zu­zu­fü­gen ist, ohne sie unnö­tig zu kom­pli­zie­ren. So möch­te ich denn hier auch lie­ber auf eini­ge ver­wand­te Wör­ter ein­ge­hen, auf die ich beim Nach­le­sen gesto­ßen bin. Und da sich das Nach­schla­gen ob der Fül­le von Infor­ma­tio­nen gar nicht so ein­fach gestal­tet, berei­te ich das hier mal auf. (mehr …)

  1. sie­he dazu , & . []
  2. Mit bis­her 15 abge­schlos­se­nen Bän­den und dem zu fünf Sechs­teln erschie­ne­nen 16. Band, die zusam­men rund 150 000 Stich­wör­ter ent­hal­ten, ist das Schwei­ze­ri­sche Idio­ti­kon schon vor sei­nem Abschluss das umfang­reichs­te Regio­nal­wör­ter­buch im deut­schen Sprach­raum. Es doku­men­tiert die deut­sche Spra­che in der Schweiz vom Spät­mit­tel­al­ter bis in die Gegen­wart, die älte­ren Sprach­stu­fen genau­so wie die leben­di­ge Mund­art. Da der Grund­stock des Mund­art­ma­te­ri­als in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts dank der Mit­ar­beit von gegen 400 Kor­re­spon­den­ten zusam­men­ge­kom­men ist, kann das Werk sonst kaum beschrie­be­ne und heu­te weit­ge­hend ver­schwun­de­ne Berei­che der sprach­li­chen, geis­ti­gen und mate­ri­el­len Kul­tur die­ser Zeit beson­ders gut doku­men­tie­ren. Es ist Arbeits­in­stru­ment für ver­schie­dens­te Wis­sens­ge­bie­te wie Sprach‑, Geschichts- und Rechts­wis­sen­schaft, Volks- und Namen­kun­de. Das Gesamt­werk wird 17 Bän­de umfas­sen. Auf den Abschluss hin sind Arbei­ten an einem alpha­be­ti­schen und einem gram­ma­ti­schen Gesamt­re­gis­ter in Gang. Über­dies wer­den eine Kom­pakt­aus­ga­be (Volks­aus­ga­be) und eine Online-Aus­ga­be des Werks vor­be­rei­tet. []
  3. Kein Mensch könn­te sich das Teil pri­vat leis­ten, da bin ich mir sicher, auch ohne nach dem Preis geschaut zu haben. Viel­leicht klappt es bei der geplan­ten Volks­aus­ga­be. []

Weiterlesen»Trüm­mel« – (m)eine klei­ne Obsession

Dop­pelt und drei­fach – mit Schnick­schnack und allen Schikanen

bei amazon.com

Dass man nie aus­lernt, ist natür­lich ein eben­so abge­wetz­tes wie wah­res Kli­schee; aber als Über­set­zer möch­te man schon manch­mal ver­zwei­feln, weil man immer wie­der so gar nichts zu wis­sen meint ob der Mas­se an Wör­tern und Wen­dun­gen, alten wie neu­en, die  Tag für Tag so auf einen ein­stür­men. Man soll­te sie eigent­lich bereits im Kopf haben, meint man immer. Schließ­lich spricht man doch Deutsch… Schnickschnack!

Eigent­lich soll­te es hier dar­um gehen, dass mir die Wen­dung »mit Schnick­schnack« im Sin­ne von »mit allen Schi­ka­nen« bis vor kur­zem neu war, aber als ich mich nach Anwendungsmöglich­keiten für den Über­setz­ter umsah, fand ich, dass fol­gen­de Aus­füh­run­gen dem Suchen­den ver­mut­lich nütz­li­cher sind. Und zwar geht es um die bekann­te eng­li­sche Wen­dung »with knobs on«, auf die ich in die­sem Zusam­men­hang kam:

Citro­ën C4 – French play­boy with knobs on (Jere­my Clarkson)

Xbox Kinect: Or is it a more sophisti­ca­ted Eye­toy with knobs on, much as the Sony Play­Sta­ti­on Move is a more sen­si­ti­ve Wii remo­te with bet­ter graphics?

“It’s a school play with knobs on.

One stu­dent descri­bed it as “boot camp with knobs on!”

A reces­si­on is just ordi­na­ry times with knobs on.

“How to sur­vi­ve in a reces­si­on?” is: “Do the same as always, with knobs on!”

(mehr …)

WeiterlesenDop­pelt und drei­fach – mit Schnick­schnack und allen Schikanen

Recher­che als müßi­ges Aben­teu­er – eini­ge Betrachtungen

Müßi­ger Leser! Im letz­ten Teil von Bran­der Matthews Arti­kel über die Funk­ti­on des Slangs zitiert er Cer­van­tes’ Don Qui­jo­te, was Bil­dung und Schick­sal neu­er Wör­ter angeht. Da das Buch bereits über­setzt ist, schlägt man als Über­setzer natür­lich in die­ser bereits vor­han­de­nen Über­tra­gung nach. Nicht weil man zu faul ist, das sel­ber zu erle­di­gen, son­dern weil sich das nach den Regeln der Zunft so gehört. Und es ist meist ein rech­ter Auf­wand, der mit Biblio­theks­be­su­chen und weiß der Kuckuck was sonst noch ver­bun­den ist. Das Inter­net jedoch macht einem das alles erheb­lich leich­ter, gera­de­zu ver­gnüg­lich manchmal.

Check it out!

Vom Don Qui­jo­te gibt es meh­re­re Über­set­zun­gen, von denen die älte­ren im Web zu fin­den sind. Die neue und viel gerühm­te Über­tra­gung von Susan­ne Lan­ge steht auf mei­ner lan­gen Einkaufsliste…

Wie auch immer, bei Bran­der Matthews heißt es:

It hap­pens that Don Qui­xo­te pre­ce­ded Pro­fes­sor Whit­ney in this expo­si­ti­on of the law, for when he was ins­truc­ting Sancho Pan­za, then about to be appoin­ted gover­nor of an island, he used a Lati­ni­zed form of a cer­tain word1 which  had beco­me vul­gar, explai­ning that “if some do  not under­stand the­se terms it mat­ters litt­le, for cus­tom will bring them into use in the cour­se of  time so that they will be rea­di­ly unders­tood. That is the way a lan­guage is enri­ched; cus­tom  and the public are all-powerful the­re.“2

oder bei mir:

Ganz zufäl­lig ist Don Qui­xo­te Pro­fes­sor Whit­ney mit die­ser Aus­le­gung des Geset­zes zuvor­ge­kom­men, denn bei sei­ner Unter­wei­sung Sancho Pan­sas, der eben zum Statt­hal­ter einer Insel ernannt wer­den soll, bedien­te der Mann von der Man­cha sich einer lati­ni­sier­ten Form eines gewis­sen Wor­tes, das vul­gär gewor­den war, und erklär­te dabei: »und wenn auch man­cher die­ses Wort nicht ver­steht, so scha­det es wenig, denn der Gebrauch wird es mit der Zeit ein­füh­ren, so daß es als­dann leicht ver­stan­den wird, und die­ses heißt die Spra­che berei­chern, über wel­che die Men­ge sowie die Gewohn­heit immer ihre Macht aus­üben.«3

Die eng­li­sche Über­set­zung, die hier zitiert wird, ist rela­tiv schnell gefun­den, (mehr …)

  1. die Rede ist von rülp­sen: —Erut­ar, Sancho, quie­re decir regold­ar, y éste es uno de los más tor­pes voca­blos que tiene la len­gua cas­tel­la­na, aun­que es muy sini­fi­ca­tivo; y así, la gen­te curio­sa se ha aco­gi­do al latín, y al regold­ar dice erut­ar, y a los regüel­dos, erut­a­cio­nes; y, cuan­do algu­nos no enti­en­den estos tér­mi­nos, impor­ta poco, que el uso los irá intro­du­ci­en­do con el tiem­po, que con facil­idad se enti­en­dan; y esto es enri­que­cer la len­gua, sob­re qui­en tiene poder el vul­go y el uso. []
  2. Durch­aus inter­es­sant ist, dass Bran­der Matthews – in einem Arti­kel über Umgangs­spra­che – das Wort selbst nicht erwähnt. []
  3. Miguel de Cer­van­tes Saa­ve­dra, Leben und Taten des scharf­sin­ni­gen Edlen Don Qui­xo­te von la Man­cha Dt. von Lud­wig Braun­fels. Gibt es hier. []

WeiterlesenRecher­che als müßi­ges Aben­teu­er – eini­ge Betrachtungen