Näher befasst mit dem Verb beschubsen und dessen Varianten habe ich mich bereits im letzten Beitrag. Deshalb hier mehr oder weniger nun der eigentliche Eintrag für meine Sammlung umgangssprachlicher Wörter und Wendungen, die meiner Ansicht nach auch in Übersetzungen gehören.
Beschuppen fand ich über die in meinem ersten Beitrag zum Thema genannten Wörterbücher hinaus auch in Johannn Heinrich Campes Wörterbuch der Deutschen Sprache aus dem Jahre 1807.
Beschuppen, v. trs. 1) Der Schuppen berauben. Einen Fisch beschuppen; ihn abschuppen. Hierher gehört vielleicht auch als uneigentliche Bedeutung, einen beschuppen, ihn auf eine etwas grobe Weise betrügen. Er ist arg beschuppt worden. 2) Mit Schuppen versehen, besetzen. Es sind nicht alle Fische beschuppt. Ein beschuppter Panzer, der aus einzelnen Theilen zusammengesetzt ist, die wie Schuppen über einander liegen. Das Beschuppen. Die Beschuppung.
Jemanden »auf eine etwas grobe Weise betrügen«. Interessant ist, dass auch Campe sich nicht sicher ist, ob »beschuppen« tatsächlich etwas mit der Schuppe zu hat. Aber analog zu »jemandem das Fell über die Ohren ziehen« (mehr …)
Wie so einige bemerkt zu haben scheinen, stelle ich hier in dieser kleinen (hier begonnenen) Serie das Sammeln & Analysieren bereits gedruckter Übersetzungen als eine der eher dünn gesäten Fortbildungsmöglichkeiten des Übersetzers vor. Es ist dies eine durchaus aufwändige Methode, sicher, aber man lernt dabei auch mehr als durch irgendeine andere. Und ohne den Willen, ständig weiterzulernen und sich dafür auf den Hosenboden zu setzen, sollte man ohnehin erst gar nicht ans Übersetzen denken. Nach der Einführung letztes Mal folgt am Beispiel der Wendung »in an agony of« diesmal ein Blick in die Wörterbücher, um zu sehen, welche Lösungen sich dort anbieten…
Im letzten Beispiel aus der Frau in Weiß ist der Übersetzer einem falschen Freund aufgesessen. Was übrigens gerade bei dieser Wendung bis auf den heutigen Tag auffallend oft vorkommt. Dass in all diesen Fällen der deutsche Satz schlicht keinen Sinn ergibt, scheint niemandem aufzufallen – »die Todesangst des Mitleids« … hm …
Exkurs: Einer der großen Vorteile dieser Fortbildungsmethode besteht darin, dass man bei anderen die Fehler weit schneller zu sehen und einzusehen geneigt ist als bei sich selbst. Und gerade die blitzartige Erkenntnis »was für ein Unfug« hilft einem beim Verwerfen sich anbietender Lösungen.
Wie auch immer, wir waren bei falschen Freunden: »Agony« hört sich an wie »Agonie«, also – so die irrige Annahme – muss auch der Angelsachse darunter verstehen, was der Deutsche unter dem Fremdwort »Agonie« versteht. Volksnäher ausgedrückt, die Lösung fällt in die Kategorie »nerviger Wörtlichkeit«, die sich bei näherem Hinsehen als das genaue Gegenteil selbiger Wörtlichkeit, sprich als krasser Fehler entpuppt. Einfacher gesagt: Man darf selbst bei vermeintlich bekannten Fremdwörtern den Blick ins zweisprachige Wörterbuch nicht einfach übergehen und leidglich – wenn man überhaupt nachschlägt – in den Fremdwörterduden sehen. (mehr …)
Wie sieht eigentlich die Fortbildung eines Übersetzers aus? Vom ersten Augenblick an, in dem mir vor nunmehr viel zu vielen Jahren über meinem Edgar Allan Poe der Gedanke kam, Übersetzen sei der Beruf für mich, habe ich mich gefragt, wie man das wohl lernen könnte. Und als ich professionell zu übersetzen begann, wurde daraus die Frage, wie man etwas dazulernen, wie man sich wohl sinnvoll fortbilden könnte. Ich spreche hier nicht von hochgestochenen Übersetzungstheorien, die mit dem Berufsalltag herzlich wenig zu tun haben, weil sie einen bei der konkreten Arbeit am Satz im Stich lassen. Sicher, es gibt Wörterbücher, Idiomatiken, zum Teil recht gute Anleitungen. Aber sie alle helfen einem nur bis zu einem gewissen Punkt, und das ist der, in dem aus den Teilen, die man zusammengetragen hat, ein ordentlicher Satz werden soll. Es gibt da eine – zugegeben einigermaßen beschwerliche, aber gerade für den Fortgeschrittenen ausgesprochen lohnende – Methode, die ich Ihnen hier vorstellen will.
Ich sammle Übersetzungen, will sagen, das Buch in der Ausgangssprache, in meinem Fall das Englische, und die gedruckte deutsche Übersetzung dazu. Seit den 1970er-Jahren habe ich an die fünftausend solcher »Pärchen« zusammengetragen. Und die nehme ich mir, mehr oder weniger systematisch, vor. Hier und da einen Absatz; das läppert sich zusammen. Vorausgesetzt, man systematisiert die Fundsachen. Dazu braucht es natürlich einen Zettelkasten, der selbstverständlich längst diversen Datenbanken Platz gemacht hat. (mehr …)
Wieder mal so ein Wort, das mich in meiner Ansicht bestärkt, dass man sich nicht so haben sollte, wenn es darum geht, beim Übersetzen auf Wörter und Wendungen aus den deutschen Regionen zurückzugreifen. Vorausgesetzt, dass man sich kundig macht, was ihre Bedeutung angeht. Aber das sollte ja ohnehin zum Repertoire eines ordentlichen Übersetzers gehören. Unsere deutsche Umgangssprache ist im Grunde nichts weiter als ein Fundus von Wörtern und Wendungen, die gesamtdeutsch Karriere gemacht haben. Warum manche Wörter Karriere machen und andere nicht, darüber sollen sich andere Gedanken machen. Ich bin sicher, einer der wesentlichen Gründe dafür ist ihre Griffigkeit, die Tatsache, dass sie ganz präzise eine bestimmte Lücke im gesamtdeutschen Wortschatz füllen; ein weiterer liegt wohl darin, dass sie spontan gefallen, interessant klingen, ansprechen. Und für kaum ein Wort trifft das mehr zu als das Adjektiv »bräsig« und die eine oder andere Ableitung davon.
SlangGuy’s Wörterbuch der deutschen Umgangssprache
(Die Bedeutungen von »bräsig« finden Sie weiter unten.)
»Aus dem anarchischen Exzess ist eine bräsige Vereinstümelei geworden«, meinte dieser Tage im Satire-Gipfel irgendso ein vor Selbstgefälligkeit berstender Profisatiriker in seinen herzlich überflüssigen Betrachtungen über den deutschen Fasching.1 »Bräsig« freilich (mehr …)
Solche sind so überflüssig wie die alljährlichen Reflexionen zum Weihnachtsstress. [↩]
Präsident Obama hatte noch nicht einmal seine Antrittsrede gehalten, da wurde in den Vereinigten Staaten bereits über seinen Nachfolger diskutiert. Und das Thema ist dabei nicht etwa, ob nach einem Schwarzen vielleicht mit Hillary Clinton eine Frau an der Reihe sein könnte, nein, die Gemüter entzünden sich an der Frage, ob es denn – Schock! Horror! – tatsächlich möglich wäre, mit Chris Christie, dem derzeitigen Gouverneur von New Jersey, einen Dicken auf den amerikanischen Thron zu wählen.
Wenn ich was gefressen habe, dann ist das die in ihrer Hirnlosigkeit geradezu pawlowsche Fixation auf bloße Äußerlichkeiten. So viel blinde Reflexhörigkeit finde ich so krass, wie ich sie dick habe…
Etwas »dick haben«… Auch so eine gute deutsche Wendung, die viel öfter in Übersetzungen gehörte, als sie tatsächlich Verwendung findet. Unser guter alter Grimm weiß dazu unter anderem:
dick uneigentlich und bildlich geht es über in die bedeutung von angefüllt, voll, berauscht, aufgeschwollen, drückend, lästig, wüst, verhärtet, stark.
bei unerträglichem geschwätz sagt man es wird mir dick unter den augen und bezeichnet damit den verdrusz den man empfindet. (mehr …)
Falls Sie auch der Meinung sind, dass neues Umgangsdeutsch ausschließlich aus lausig synchronisierten amerikanischen Filmen & Fernsehserien kommen sollte, und es entsprechend lieben, ins Kino zu gehen, anstatt einfach gerne zu gehen, sind Sie zwar falsch hier, sollten das Folgende aber doppelt so gründlich lesen. Und falls Sie der Ansicht sind, ich hätte einen guten Job gemacht anstatt gute Arbeit geleistet, gilt das dreimal. Und ich lege noch eins drauf, falls Sie denken, man müsse die Sprache vor irgendetwas anderem schützen als denen, die sie unter Schutz stellen wollen. Vergessen Sie Ihre albernen Klischees vom Wachsen der Sehnsucht nach Heimat und Zugehörigkeit in einer globalisierten Welt, hier geht es um brauchbaren Wortschatz in einer blutleeren Übersetzungswelt…
»Mundart als Anlass für Diskriminierung« hieß ein netter Artikel im Bayern-Teil der SZ vom Sylvester letzten Jahres.1Hans Kratzer stellt darin den Augsburger Sprachwissenschaftler Werner König, einen der Herausgeber des Bayerischen Sprachatlas, vor. Es hört sich erst mal recht empfindlich an, was der emeritierte Germanist über die Benachteiligung zu sagen hat, die uns Süddeutschen zuteil wird, nur weil wir das »r« rollen, aber letztlich hat er natürlich Recht. Wir Bayern und Baden-Württemberger können zehnmal den Rest dieser Republik wirtschaftlich mit durchziehen, ernst nehmen wollen uns die Preussen oberhalb der Mainlinie nicht. Zu schweigen von der Überheblichkeit, mit der man uns unserer Sprache wegen begegnet. »Eine südliche Färbung« der Aussprache, so meint König, »reicht aus, um im Deutschen Fernsehen als Vollexot vorgeführt zu werden.« Oder als »Volldepp, der kein Deutsch kann«, wie der Autor des Artikels erklärend nachschiebt.
Aber für mich ist das nur die eine Hälfte eines allgemeineren Problems mit den Dialekten, (mehr …)
Süddeutsche Zeitung, Nr. 300, Samstag/Sonntag, 29./30. Dezember 2012, S. 41. [↩]
In Amerika (und letztlich nicht nur dort) kommen zu viele Menschen durch Schusswaffen um, da sind wir uns einig. Und das gilt auch, ohne dass wir mit falschen Zahlen hoffnungslos übertreiben. Genau das macht nämlich die Berichterstattung hierzulande, wenn sie schreibt, es würden in den USA pro Jahr über 30.000 Menschen erschossen. Das ist nämlich falsch. Da wird vermutlich, ganz im Trend der Zeit, nur irgendwo abgeschrieben, anstatt an die Quelle zu gehen. Und das ist doch in Zeiten des Internets nun wirklich nicht schwer.
Ich will hier nicht über Sachen reden, von den ich nichts verstehe; ich habe keine Ahnung, ob die Amerikaner nun zu viele Knarren zu Hause stehen haben oder noch immer zu wenig. Ein Blick nach Australien könnte natürlich die Ansicht nahe legen, der Zusammenhang zwischen Zahl und vor allem Typ der Schusswaffen in Prviatbesitz sei augenfällig, aber wie gesagt, ich habe keine Ahnung, und gemutmaßt wird andernorts genug. Man könnte auch fragen, wie sollte der Run auf die örtlichen Waffengeschäfte, wie wir ihn nach jedem Massenmord an einer Schule erleben, eben diesem Tatbestand abhelfen? Reine Idiotie, die lediglich den einschlägig phantasierenden Kindern weitere Waffen zur Verfügung stellt. Aber sei’s drum, hier geht’s nur um die Recherche, die ein so wichtiger Bestandteil des Übersetzens ist. Und dennoch offensichtlich immer wieder schwieriger als man meinen möchte.
Um in diesem Fall an korrekte – oder wenigstens offizielle – Zahlen zu kommen, ist relativ (mehr …)
Eine alte Geschichte: Wann immer in einem deutschen Blatt rasch mal was aus dem Englischen übersetzt wird, sträuben sich dem Übersetzerprofi die Haare. Da liest man einen intelligenten, in bestem Deutsch & stilistisch tadellos gehaltenen Artikel — bis ein Amerikaner zitiert wird. In Übersetzung, meine ich. Der hört sich dann plötzlich an, als wäre er vorzeitig von der Sonderschule abgegangen. Und dann schnurstracks in die Politik… Die heutige Schlagzeile sei Anlass für ein kurzes Plädoyer dafür, doch öfter mal beim Übersetzen einen Profi zurate zu ziehen, wenigstens wenn es um was Wichtiges geht… wie eine Zeitung oder ein Buch …
Da wirft der Übersetzer am Neujahrsmorgen sein Interweb an, und was erwartet ihn? Auf den Titelseiten sämtlicher deutschen Zeitungen, die man bei der morgendlichen Presseschau per SpeedDial so greifbar hat? Einer der ältesten & damit dümmsten Übersetzungsfehler überhaupt. Man fand ihn über 100 Jahre lang in praktisch jedem aus dem Englischen übersetzten Buch. Nur ein Beispiel, das sich hier aufdrängt, weil es mittlerweile korrigiert wurde. In Salingers Klassiker Catcher in the Rye(mehr …)
Wenn Sie – wie meiner Mutter Sohn – Ihre Schwierigkeiten haben, sich bei einer Schlusskorrektur auf einen Text zu konzentrieren, den sie in- und auswendig können, wenn Sie schlicht keine Fehler finden, obwohl Sie wissen, es sind welche drin, dann habe ich vielleicht was für Sie. Wenn Sie sich hundertmal gedacht haben, wenn ich das jetzt noch einmal lesen muss, drehe ich durch, dann lesen Sie mal von einem Hilfsmittel, das bei mir Wunder gewirkt hat: Julia
Ganz und gar nicht mit Ruhm bekleckert habe ich mich bei der Schlusskorrektur meiner ersten Übersetzung eines E‑Books. Mein lieber Scholli! Ich habe ja schon seit jeher großen Respekt vor den Leuten, die bei Verlagen das Produkt nach Rechtschreibfehlern durchsehen. Jetzt gilt das mehr denn je. Auch wenn es nicht eigentlich Rechtschreibfehler waren, die mir da unterlaufen sind. Aber was soll’s, auch ein fehlendes Wort oder ein doppeltes fallen unter »Fehler«. Der Leser will so etwas nicht sehen. Geschweige denn dafür bezahlen…
Nun ist natürlich guter Rat teuer, wenn man dem Autor einen ordentlichen Text zugesagt hat (mehr …)
Umgangsdeutsch für Übersetzer. Ein weiteres solides Wort der gesamtdeutschen Umgangssprache ist das Verb »ackern«. Und ich meine hier nicht die erste Definition »pflügen«, »mit dem Pflug bearbeiten« wie in dem Sprichwort »Mit ungleichen Pferden ist übel ackern.« Ich meine die Bedeutung »arbeiten«, mehr oder weniger hart: »Danach mußte sie als Antifalten-Creme-Model ackern oder erfolglose TV-Movies produzieren.« Und in dieser Bedeutung gehörte es meiner Ansicht nach auch in Übersetzungen. Ich habe es noch leider nie in einer gesehen. Aus SlangGuy’s Wörterbuch der deutschen Umgangssprache für Übersetzer
Nur der Gaudi halber, weil’s gar so schön klingt, die ursprüngliche Bedeutung vom guten alten Adelung Ende des 18. Jahrhunderts:
Ackern, verb. reg. act. von Acker. 1) Überhaupt so viel als pflügen. 2) Besonders, bey der Sommersaat, zum letzen Mahle pflügen, welches auch zur Saat pflügen, und saatfurchen, in der Mark Branderburg aber, in Ansehung der Gerstensaat, streichen, genannt wird. Das letzte Pflügen bey der Wintersaat wird dagegen an den meisten Orten ären genannt. 3) Bey den Kupferstechern bedeutet es die zur schwarzen Kunst bestimmte Platte mit der Wiege aufreißen, um hernach das Licht hinein zu schaben.1
ackern
(1) <Vb.> Schwer / angestrengt / viel arbeiten; sich abmühen; oft aber auch nur synonym zu arbeiten. (mehr …)
Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1970. [↩]
David Graeber ist Professor für Anthropologe. Und er ist Anarchist. Was sicher nicht ganz unschuldig daran war, dass die Eliteuniversität Yale 2007 seinen Vertrag nicht verlängerte. Jedenfalls unterrichtet der Amerikaner…
Die Übersetzung des Occupy-Buchs von David Graeber, einem der Leute der ersten Stunde bei OWS, ist mehr oder weniger erledigt und soll in ein paar Wochen wohl schon in den Buchhandlungen sein. Graeber ist Anthropologie und lehrt in London, nachdem er als Professor in Yale rausgeflogen war. Er hatte sich mit seinen Aktivitäten als überzeugter Anarchist wohl nicht eben beliebt gemacht. Sein – unter Anthropologen – gefeiertes Buch über Schulden (Schulden — Die ersten 5000 Jahre) ist ebenfalls gerade auf deutsch erschienen. Es hat mit Occupy Wall Street insofern zutun, als ein Gutteil der Besetzer in den USA junge Menschen sind, die sich mit der Bürde eines ungeheuren Schuldendienstes für ihren Studienkredit belastet sehen. Hier ein erstes Kontingent von Schlüsselbegriffen der Bewegung…
99%: Nach dem von David Graeber angeregten und von zwei weiteren Besetzern der ersten Stunde komplettierten Slogan »We are the 99 percent« die Anhänger der Occupy-Bewegung, die sich im Gegensatz zu dem einen Prozent der Superreichen sieht, bei denen sich der Reichtum der USA konzentriert. Die Zahlen dahinter sind komplex, aber eindeutig: Während zwischen 1979 und 2007 laut Angaben des Congressional Budget Office das Einkommen der Amerikaner mit mittlerem Einkommen (60% der Amerikaner) um 40% stieg, legte das Einkommen der Toppverdiener (dem besagten 1%) Amerikas um 275% zu. 2007 konzentrierte sich 34,6% des amerikanischen Gesamtreichtums auf diese eine Prozent der Bevölkerung; 50,5% des Gesamtreichtums gehört den folgenden 19%, so dass 20% der Amerikaner 85% des Reichtums gehören. 80% der Bevölkerung teilen sich die restlichen 15%. Nach der 2007 einsetzenden Großen Rezession gehörten besagten 20% gar 87,7% des Gesamtreichtums. »Wir sind die 99%« steht damit als das Symbol für die ungerechte Verteilung des Reichtums.
Adbusters: Von Kalle Lasn 1989 gegründete Zeitschrift, die sich dem ökologisch orientierten Kampf gegen den Konsum, »gegen die Macht der Konzerne, gegen die Macht der Markenwelt, gegen den Kapitalismus in den Köpfen«1 verschrieben hat. (Ich habe mir ein paar Nummern der Zeitschrift Adbusters aus Kanada kommen lassen; es ist definitiv das schönste Radikalenmagaazin, dass mir je untergekommen ist.)
Anonymous: Ein loses Kollektiv von Internetnutzern bzw. Hackern, das in seinem Kampf gegen Zensur auch mit der Occupy-Bewegung sympathisiert. Auch das Kollektiv bedient sich der Guy Fawkes-Maske.
Culture Jamming: Überbegriff für eine Reihe subversiver Strategien konsumkritischer Bewegungen zur »Störung«2 kultureller Einrichtungen des Mainstreams wie etwa der Werbung sowie der Globalisierung. Sie dienen dem Aufzeigen politisch fragwürdiger Grundannahmen unserer Konsumwelt, wie etwa der der vermeintlichen Freiheit des Konsums und des Rechts der Konzerne auf die Vereinnahmung des öffentlichen Raums. Eine Methode ist etwa die der satirischen Übernahme von Medien und Inhalten. (mehr …)
Jeder kann übersetzen. Natürlich, so wie jeder im Prinzip alles auf dieser Welt kann: kochen, laufen, klempnern, Leute hinsichtlich ihrer Steuern beraten. Jeder von uns kann zu einem hohen Prozentsatz, was jeder andere kann. Nur, wenn Sie dreißig Jahre Motoren bauen, dann sehen Ihre Motoren eben anders aus als der, den sich da gerade ein blutiger Amateurschrauber zusammenzurammeln versucht. Das Problem ist nur, außer beim Übersetzen müsste man das in keinem anderen Metier auf der Welt diskutieren. Weder beim Motorenbau, noch beim Leistungssport. Und auch die Mängel des Amateurprodukts wären überall rasch zu sehen.
Ich höre als Übersetzer immer wieder mal, dass man denn doch lieber mit jemandem arbeiten würde, der »wörtlich« übersetzt und dessen Übersetzungen sich dennoch »gut lesen«. Von mir aus. Als professioneller Übersetzer bin ich diese Diskussion herzlich leid. Ich verkneife mir selbst die Bemerkung, man sollte selbstverständlich dorthin gehen, wo man geliefert bekommt, was man als blutiger Amateur für das Bessere hält; es führte doch wieder nur zur ewig gleichen albernen, weil sinnlosen Diskussion. Nervig ist natürlich, wenn man ein »redigiertes« Manuskript zur Durchsicht zurückbekommt, das sich mehr oder weniger als eben die Interlinearversion entpuppt, die man durch mehrmalige Überarbeitung bewusst hinter sich gelassen hat. Mehr oder weniger, weil plötzlich auch massenweise Fehler drinstehen, die man als Profi nie gemacht hätte.
Es ist immer dieselbe Illusion: dass diese offensichtlich so wünschenswerte »Wörtlichkeit« beim Übersetzen die bessere Lösung sei.1 Was man – hier wären eine Reihe von Exkursen über Stil vonnöten – noch als Geschmacksache abtun könnte, läge das erste Gegenargument nicht immer gleich auf der Hand: Diese Art der wörtlichen Übersetzung geht so gut wie immer (es gibt natürlich Übersetzungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade) Hand in Hand mit einer weit geringeren Trefferquote – sprich: einer größeren Zahl von Übersetzungsfehlern. Warum? (mehr …)
Das hat viel mit der Orientierungslosigkeit zu tun, mit denen der Amateur in einem Wald von Wörtern steht. Er sieht noch nicht einmal, dass er in seiner Verzweiflung, sich da durchzufinden, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Man muss aber den Text vorneweg stellen, man muss wissen, was man damit machen will, was für ein Gesicht die Übersetzung haben soll. Da hat der einzelne Satz sich dann eben unterzuordnen. [↩]
Es gibt Songs, die einen nach dem ersten Hören nicht mehr, womöglich nie wieder loslassen. Egal ob “Casta Diva”, “Suzanne” oder “Sweet Home Alabama”, sie wollen einem nicht mehr aus dem Kopf & kommen einem in den merkwürdigsten Augenblicken in den Sinn. Und dann gibt es LPs, die fast voll solcher Songs sind. Wann immer man sie auflegt, denkt man: “Okay, das war’s jetzt, das waren alle guten Songs.” Und dann kommt noch einer und noch einer. Gestern hatte ich, mit jahrelanger Verspätung, wieder mal eine solche – und obendrein uralte – LP in der Post. Anlass, nach fast drei Monaten beruflichen Ärgers eine Kanne Tee aufzubrühen und beim Hören des Schatzes ein bisschen dazu im Web zu wühlen…
Ich weiß nicht mehr, wie ich dazu kam, mir die Platte zu kaufen, vielleicht hat man sie im Bayerischen Rundfunk aufgelegt, vielleicht hatte ich sie im Internat (Internat – nicht Internet!) bei einem Mitschüler gehört, der ein großer Soulfan war und eine Menge einschlägiges Vinyl dazu hatte. Ich spreche von First Take, dem 1969er Debüt der schwarzen Soulsängerin Roberta Flack, die schließlich mit “Killing Me Softly” einen Welthit hatte und dann, nein, nicht wieder verschwand, es gibt sie ja noch, sie hat dieses Jahr bereits eine CD (Let It Be Roberta) herausgebracht, aber irgendwie nie so präsent war, wie eine Interpretin von ihrem Kaliber es verdient hätte. Oder vielleicht lag’s auch an mir…
Wie dem auch sei, First Take ist und bleibt womöglich ihre ganz große Platte und eine Platte mit ausschließlich ganz großen Songs. Und der Song, der mir nicht mehr aus dem Kopf wollte oder den ich als ersten hörte, das war “Angelitos Negros”. Und es ist auch der Song, der mich jüngst wieder auf First Take gebracht hat. Über Umwege. (mehr …)
Unser Globus pfeift auf dem letzten Loch: Klimawandel, Umweltdreck, Arbeitslosigkeit, Erdölfalle. Einige Ideen, ach was, einen fertig ausgearbeiteten Plan, wie alledem beizukommen und die Kurve vor der bevorstehenden Apokalypse vielleicht gerade noch mal so zu kriegen wäre, finden Sie in Jeremy Rifkins neuestem Buch Die dritte industrielle Revolution. Im Rahmen seiner nunmehr gut 50-jährigen Bemühungen, unsere Welt zu retten – oder sie wenigstens ein bisschen besser zu machen – präsentiert die wandelnde Denkfabrik nichts Geringeres als die eierlegende Wollmilchsau. Und sie ist angesichts der Ratlosigkeit des Rests der Welt nicht nur einen näheren Blick wert, die Arbeiten daran sind bereits weiter gediehen als man meinen möchte. Gönnen Sie sich einen interessanten Blick in die Werkstatt eines imposanten Nimmermüden.
Das hört sich ziemlich nach Waschzettel an, ich weiß. Aber dem ist nicht so, wie ich hier gleich darlegen werde. Ich habe mich, nicht zuletzt aus den hier angerissenen Gründen, ziemlich gefreut, den »neuen Rifkin« übersetzen zu dürfen. Auch wenn es furchtbar schnell gehen musste. Mich erfasste bei der Arbeit neben dem Adrenalinstoß, der jeden Schnellschuss zum Spaß für sich macht, auch ein merkwürdiger Optimismus, was unseren Globus angeht. Naiv, natürlich, nicht zuletzt, weil der Autor trotz seines schlicht genialen Planes zur Rettung der Welt selbst weit weniger optimistisch ist. Nicht was seinen Plan angeht, sondern unser aller Bereitschaft, ihn mit ihm zusammen verwirklichen zu wollen. Aber ich werd’ den Teufel und mir meinen Spaß an der Schwarte nehmen lassen.
Aber was hat es denn nun auf sich mit dieser »dritten industriellen Revolution« im Titel dieses Buchs? Nun, etwas abstrakt vorweg: Die von Rifkin propagierte Dritte Industrielle Revolution ist nicht eine weitere Phase von vielen in »der großen industriellen Saga«, sondern die letzte. Und sie ist gleichzeitig Übergangsphase – »Interregnum«, wie Rifkin sagt – zu einer neuen Periode der Wirtschaftsgeschichte: dem Zeitalter der Zusammenarbeit oder der kollaborativen Zeit. Den großen Plan dazu liefert er. Nun liegt es an uns ihn die Tat umzusetzen. (mehr …)
Der Leser einer Übersetzung ahnt in der Regel nichts von den kleinen und größeren Problemen, die eine solche mit sich bringt. Etwa dass der Übersetzer, stößt er im Ausgangstext auf ein Zitat, nachschlagen muss, ob das bereits mal übersetzt wurde, und diese Übersetzung dann aufzutreiben hat. Was wiederum seine eigenen Probleme mit sich bringt; ganz zu schweigen davon, dass es Zeit kostet. Aber das gehört eben dazu. Nervig wird es freilich, wenn die nach einigem Suchen aufgetriebene Übersetzung den gesuchten Satz nur halb enthält oder gar nicht. Oder der Satz partout nicht in den Kontext passen will, selbst wenn er nicht falsch übersetzt ist, oder wenn er falsch übersetzt ist, was noch mehr fuchst.
Sean Wilentz stellt seinem Buch Dylan in America ein Zitat von Walt Whitman voran: »Only a few hints – a few diffused, faint clues and indirections…« Die Zeile ist aus dem Gedicht »When I read the book«, und das gemeinte Buch ist eine Biographie. Whitman stellt die Frage, was einem die Biographie eines anderen wirklich zu sagen vermag? Wo doch so offensichtlich Zweifel daran bestehen, ob man selbst so viel über sein Leben weiß.
WHEN I READ THE BOOK.
WHEN I read the book, the biography famous,
And is this then (said I) what the author calls a man’s life?
And so will some one when I am dead and gone write my life?
(As if any man really knew aught of my life,
Why even I myself I often think know little or nothing of my real life,
Only a few hints, a few diffused faint clews and indirections
I seek for my own use to trace out here.)
Nun, ich habe nur ein altes Bändchen hier stehen, was Whitman auf Deutsch anbelangt: die von Wilhelm Schölermann ausgewählte und übertragene Sammlung Grashalme aus dem Jahre 1904.1 Und Schölermann macht aus dem Gedicht folgendes: (mehr …)
Ich schaue mir als Übersetzer sehr viele Übersetzungen an; zusammen mit dem Original. Satz für Satz. Seit den 1970er-Jahren schon. Das ist eine gute Möglichkeit, sich das eine oder andere abzugucken. Es gibt immer eine Lösung für ein Problem, die automatisch – in einer Datenbank – parat zu haben, ganz praktisch ist; es gibt immer eine, auf die man selbst nicht gekommen wäre. Und natürlich findet man dabei auch jede Menge kleineren oder größeren – auch himmelschreienden – Murks. Das hat mich vor einigen Jahren auf die Idee gebracht, derlei Klöpse in einer Glosse zusammenzutragen. Nicht alle, das wäre nicht zu schaffen und langweilig obendrein, aber ein Dutzend pro Titel scheint mir durchaus vertretbar. Also, bitteschön, das erste dreckige Dutzend.
Ich könnte nicht sagen, ob Übersetzungen heute schlechter denn je sind, das erforderte etwas umfassendere statistische Arbeit; ich kann nur sagen, dass sie trotz all der Möglichkeiten, die sich dem Übersetzer heute bieten, nicht besser geworden zu sein scheinen. Aber ehrlich gesagt, wie sollten sie auch? Übersetzerseitig tummeln sich heute in diesem Metier mehr blutige Amateure denn je.1 Und verlagsseitig sieht es nicht viel besser aus. Alles, was zu faul zum Arbeiten ist, bietet sich heute als freier Lektor an. Über das Lektorat – frei oder nicht – habe ich hier im Blog schon das eine oder andere gesagt, ich möchte die einschlägige Arie hier mal außen vor lassen; Tatsache ist, der Übersetzer hat heute weniger über den Inhalt »seiner« Übersetzung zu bestimmen denn je.2 Deshalb ist »das dreckige Dutzend« auch keine Übersetzerkritik, sondern eine Übersetzungskritik, will sagen eine Kritik des fertigen Produkts, das in jedem Falle besagtes Lektorat zu verantworten hat.3
Ich habe eben das mehr oder weniger verkaufsfertige Produkt »meiner« vorvorletzten Übersetzung zurückbekommen, Teil eines Schnellschusses zu einem aktuellen Thema, bei dem ich einer von vielen war.4 Im Begleitschreiben aus dem Lektoratsbüro heißt es sinngemäß, Hinweise auf »Böcke« nehme man gern entgegen, was natürlich reine Rhetorik ist. Ich meine, wann hätte ein Lektor schon mal einen Fehler gemacht? (mehr …)
Falls es andere Lektoren gibt, keine Ahnung, wie die guten Übersetzungen, die ich so finde, zustande gekommen sind, melden Sie sich doch bei mir. [↩]
Darüber dann im Rahmen dieser Serie ein andermal mehr. [↩]
Das Schnellschüsse von vielen gemacht werden müssen, ist auch so eine Unsitte der Branche, die noch einer näheren Erklärung bedarf. Sie folgt irgendwann in diesem Theater. [↩]
»Hiphop ist tot. Ist mir egal, was andere sagen, aber Hiphop liegt in den letzten Zügen.« Dieser Satz fiel mir gestern auf, nicht zuletzt weil man ihn so oder so ähnlich seit über zwanzig Jahren immer wieder mal liest. Kaum ein Genre dürfte man so oft totgesagt haben wie Hiphop. Es gehe im Hiphop, so lese ich da, nicht mehr um Spaß und Kreativität; jeder möchte im Gefolge von NWA und Geto Boys Gangsta sein. Aber was, so heißt es weiter, haben die Leute wirklich erreicht? Einige verdienen einen Haufen Geld, sicher, aber letztlich nur Kleingeld gegenüber den wirklich Reichen. Und gehören tue ihnen auch nichts– Hier stutze ich und suche nach dem Datum des Artikels. Interessant…
Beim Aufräumen meines Archivs fand ich gestern einen Artikel aus dem Jahre 1998 mit dem Titel »Why Hip hop is dead«. Geschrieben hat ihn ein »vom Hiphop zunehmend frustrierter junger Mann« unter dem Pseudonym Lethal Wonder. Ich denke, ich habe ihn mal auf Davey D’s Hip Hop Corner abgegriffen; er ist jedoch auch im Frühjahr 1999 in Crossroads erschienen, einer revolutionären Postille aus Chicago, die sich dem Kampf der Schwarzen Amerikas und Afrikas im Sinne der Black Panthers verschrieben zu haben scheint. Jedenfalls hört sich die Rhetorik, überfliegt man die einzelnen Ausgaben, ganz danach an. Aber zurück zum Thema.
Wie gesagt, die Argumente der Nachrufe auf den Hiphop als Genre sind immer dieselben; es sind die oben genannten und vor allem, dass die Leute die Kunstform nicht mehr interessiere, es gehe allen nur ums Geld. Und trotzdem, so der Autor des Artikels aus dem Jahre 1998, gehöre den Schwarzen nichts. Man müsste jetzt nachsehen, was die schwarzen Rapper damals mit ihrem Geld gemacht haben, sicher, aber das lohnt noch nicht mal; wir brauchen nur noch mal auf das Datum sehen: 1998. Das ist von den Zahlen her ein Jahr bevor der große Katalysator explodierte, der wie einst Elvis dem Rock ’n’ Roll dem Rap zum großen Durchbruch bei der zahlungskräftigen weißen Jugend verhalf: Eminem. Und weiß hin oder her, Em wirkte auf den Verkauf des Genres. Was immer vorher verdient worden war, märchenhaft wurden die Zahlen erst mit Eminem. Und mit 50 Cent hat er wenigstens einem der Großverdiener der Nullerjahre selbst zu Ruhm und Knete verholfen.
Und was diese Leute haben? Außer Geld. Nun, ich habe keine Ahnung, was die anderen, die älteren Großverdiener der Musikbranche »haben«, Paul McCartney etwa, Mick und Keith; bei John Lennon hätte man (mehr …)