Ich erinnere mich noch, dass wir an der Schule Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre den Spruch hatten, jemand solle hier »nicht den Larry machen«. Bis heute war der Spruch in allen Jahrzehnten zu hören. Und seine Beliebtheit scheint eher zugenommen zu haben als ab. Zumal er mittlerweile mehrere Bedeutungen hat. Aber wer war dieser sagenhafte Larry? Dummerweise hatten wir damals was Besseres zu tun, als dem Ursprung dummer Sprüche nachzugehen…
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Wie bei allen Wendungen, die aus irgendeinem Grund attraktiv, aber in ihrer Bedeutung unklar sind, tritt sich die ursprüngliche Bedeutung, wie immer sie gelautet haben mag, ziemlich rasch breit. Oft bis ins Gegenteil. Man denke an eine Wendung wie etwas »passt wie die Faust aufs Auge«. Das ist hier noch nicht mal der Fall. Dennoch haben wir eine ganze Bandbreite von Nuancen: Ob heute nun einer »den Larry macht«, »einen auf Larry macht« oder »den Larry raushängen lässt« oder das alles mit »Lärri« oder »Lerryn« durchspielt, es bedeutet entweder, dass er (mehr …)
Eine vom übersetzerischen Standpunkt her ganz interessante Geschichte ist bei Larry Kings Interview mit Wladimir Putin passiert: der Dolmetscher, der Putin ins Englische übersetzte, hat zuweilen etwas Schwierigkeiten, zu einem sauberen englischen Satzbau zu finden. Was hin und wieder zu Stellen führt, bei denen erst das Nachlesen der Abschrift die Erkenntnis bringt.
Ein Beispiel dafür ist die Stelle gleich zu Beginn, als Putin in einer durchaus raffinierten Retourkutsche das amerikanische Demokratieverständnis in Frage stellt:
I’d like to recall the fact that twice – twice! – in the history of the United States of America, there were cases, the candidate to the presidency who subsequently became president of the United States were voted by majority of electorate, with the delegates representing the lesser number of electorate as a whole. Is that democracy?
Ich für mein Teil hab’ das beim Hören nicht kapiert. Obwohl ich mir sicher bin, dass ein eiskalter Kunde wie Putin sich im Russischen durchaus klar ausgedrückt hat. Nicht dass das Transkript geholfen hätte. Man verrenkt sich die letzten Synapsen, aber der Satz ergibt erst einen Sinn, wenn man seine paar Brocken Kenntnisse über das amerikanische Wahlsystem aus der Schublade zerrt. Dann könnte man das Ganze folgendermaßen sehen: (mehr …)
Das Schöne an einem Blog ist nicht nur, dass es einen zwingt, den einen oder anderen Gedanken, den man sich merken möchte, so zu formulieren, dass ihn auch ein anderer versteht; das macht ein Blog zu einem ganz brauchbaren Notizblock, der der alten Zettelwirtschaft haushoch überlegen ist. Aber als »Publikation«, ein Blog ist ja weltweit einsehbar, hat es auch den Vorteil, seinen Obsessionen öffentlich für einige Interessierte nachgehen zu können, ohne damit denen auf den Nerv zu fallen, die diese partout nicht interessieren. So im Falle des Wörtchens »«, das mich nicht mehr loslassen mag, seit ich es entdeckt habe. Obsession hin oder her, die Zahl der Leute, die die Suche nach dem Wörtchen auf das Blog führt, ist durchaus erstaunlich.
»Trümmlig«1 – das Wort mag mich einfach nicht in Ruhe lassen. Und nachdem mein Freund Herbert Pfeiffer mich mit dem Schweizerischen Idiotikon2 jüngst auf ein Werk aufmerksam gemacht hat, das ich von Anfang an hätte benutzen sollen, hier nochmal ein Nachwasch (falls es so etwas gibt).
Das Schweizerische Idiotikon. Was für ein Fund! Das Schweizerische aller Zeiten bis ins kleinste Detail seziert, geordnet und auch noch feinsäuberlich in eine Website eingepflegt.3 Das ist genau das, was man sich von allen deutschsprachigen Gegenden wünschen würde.
Wie auch immer: »trümmlig« ist hier auf den Punkt gebracht. Wenn auch etwas eingehender, als der beiläufig Nachschlagende sich das wünschen würde. Und ich sehe, dass meinen bisherigen Ausführungen nichts hinzuzufügen ist, ohne sie unnötig zu komplizieren. So möchte ich denn hier auch lieber auf einige verwandte Wörter eingehen, auf die ich beim Nachlesen gestoßen bin. Und da sich das Nachschlagen ob der Fülle von Informationen gar nicht so einfach gestaltet, bereite ich das hier mal auf. (mehr …)
Mit bisher 15 abgeschlossenen Bänden und dem zu fünf Sechsteln erschienenen 16. Band, die zusammen rund 150 000 Stichwörter enthalten, ist das Schweizerische Idiotikon schon vor seinem Abschluss das umfangreichste Regionalwörterbuch im deutschen Sprachraum. Es dokumentiert die deutsche Sprache in der Schweiz vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart, die älteren Sprachstufen genauso wie die lebendige Mundart. Da der Grundstock des Mundartmaterials in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dank der Mitarbeit von gegen 400 Korrespondenten zusammengekommen ist, kann das Werk sonst kaum beschriebene und heute weitgehend verschwundene Bereiche der sprachlichen, geistigen und materiellen Kultur dieser Zeit besonders gut dokumentieren. Es ist Arbeitsinstrument für verschiedenste Wissensgebiete wie Sprach‑, Geschichts- und Rechtswissenschaft, Volks- und Namenkunde. Das Gesamtwerk wird 17 Bände umfassen. Auf den Abschluss hin sind Arbeiten an einem alphabetischen und einem grammatischen Gesamtregister in Gang. Überdies werden eine Kompaktausgabe (Volksausgabe) und eine Online-Ausgabe des Werks vorbereitet. [↩]
Kein Mensch könnte sich das Teil privat leisten, da bin ich mir sicher, auch ohne nach dem Preis geschaut zu haben. Vielleicht klappt es bei der geplanten Volksausgabe. [↩]
Es gibt Wörter, die sich geradezu aufreizend der Übersetzung entziehen, weil sie – in der Regel eine Folge komplexer Unterschiede in Geschichte und Denken der Völker – einfach kein so recht passendes Gegenstück in der Zielsprache haben. „Table“ ist mit „Tisch“ meist problemlos getroffen, selbst wenn es von Abarten nur so wimmelt: »bedside table«, »card table«, »dinner table«, »dressing table«, »extension table«, »gaming table« – alle sind sie definiert und haben im Deutschen ihr Gegenstück.1 Für den Profi gilt: Alle diese Tische sind etwas Konkretes, Fassbares – mit dem passenden Wörterbuch erledigt sich die Übersetzung von selbst.
Anders dagegen verhält es sich mit allem, was nicht buchstäblich fassbar ist, Dingen aus den Humanwissenschaften etwa, Sachverhalten aus dem kulturellen Bereich. So ist auch das Wort »governance« ein eher irritierender Fall. Und was »governance« noch irritierender macht, ist der Umstand, dass es es sich in den letzten Jahrzehnten zum politischen Modewort aufgeschwungen hat. Es begegnet einem, eine Beschäftigung mit dem Zeitgeschehen vorausgesetzt, schier Tag für Tag.
Der einschlägige Eintrag in der Wikipedia bringt das Wissenswerte sehr schön auf den Punkt, (mehr …)
Und die Unsitte, aus einem »coffee table« einen »Kaffeetisch« zu machen statt einen »Couchtisch«, unter dem man sich etwas vorstellen kann, rührt nur daher, dass das Übersetzen längst in die Hände blutiger Amateure gefallen ist, die Wörter übersetzen statt Sinn. [↩]
Dass man nie auslernt, ist natürlich ein ebenso abgewetztes wie wahres Klischee; aber als Übersetzer möchte man schon manchmal verzweifeln, weil man immer wieder so gar nichts zu wissen meint ob der Masse an Wörtern und Wendungen, alten wie neuen, die Tag für Tag so auf einen einstürmen. Man sollte sie eigentlich bereits im Kopf haben, meint man immer. Schließlich spricht man doch Deutsch… Schnickschnack!
Eigentlich sollte es hier darum gehen, dass mir die Wendung »mit Schnickschnack« im Sinne von »mit allen Schikanen« bis vor kurzem neu war, aber als ich mich nach Anwendungsmöglichkeiten für den Übersetzter umsah, fand ich, dass folgende Ausführungen dem Suchenden vermutlich nützlicher sind. Und zwar geht es um die bekannte englische Wendung »with knobs on«, auf die ich in diesem Zusammenhang kam:
Citroën C4 – French playboy with knobs on (Jeremy Clarkson)
Xbox Kinect: Or is it a more sophisticated Eyetoy with knobs on, much as the Sony PlayStation Move is a more sensitive Wii remote with better graphics?
“It’s a school play with knobs on.
One student described it as “boot camp with knobs on!”
A recession is just ordinary times with knobs on.
“How to survive in a recession?” is: “Do the same as always, with knobs on!”
Beim Übersetzen, ich musste mich erst jüngst wieder schmerzlich daran erinnern lassen, zahlt es sich aus, gerade immer wieder mal die Dinge nachzuschlagen, die man zu wissen meint. Es ist dies eine an sich feste Regel, die man im Eifer des Gefechts – den ganzen lieben langen Tag nachschlagen! – immer weder mal gern vergisst. Auch wenn sie einen hundert mal vor peinlichen Schnitzern bewahrt hat. Aber natürlich gibt es bei jeder Übersetzung nicht zu knapp Neues nachzuschlagen – da meint man schon mal, man könne sich die ollen Kamellen sparen. Zuweilen freilich sitzt man nicht lediglich einem dieser leidigen falschen Freunde auf; zuweilen ergibt die Lösung mit einem solchen im Kontext dessen, was man gerade übersetzt, einfach keinen Sinn.
So verhielt es sich denn mit einem Artikel, den ich eben zu übersetzen hatte, und in dem von einem »Bush moment« die Rede. Es hieß da:
Remember that old witticism of the neocons of the ascendant Bush moment back in 2003: “Everyone wants to go to Baghdad. Real men want to go to Tehran”?1
Nun scheint man ja unter einem »Bush moment« jene Augenblicke zu verstehen, in denen es beim vorletzten ‘kanischen Präsidenten mal kurz aussetzte. Der Begriff »Bushism« scheint in diesem Zusammenhang wohl bekannter zu sein.
Vor Jahren habe ich mal für den Hannibal Verlag einen Band mit Songtexten des Rappers Eminem übersetzt. Eine ebenso interessante wie undankbare Aufgabe, da so etwas zwangsläufig zu einer Gratwanderung zwischen plumper Wörtlichkeit, assoziativer Freiheit, Gereimt- und Ungereimtheit geraten muss. Die Maßgabe, das Ganze Zeile für Zeile rhythmisch lesbar zu halten, ließ sich als einzige durch die Bank erfüllen.
Das Publikum, das solche Übersetzungen liest, ist nicht dasselbe, das Gedichte liest. Es kann mit Freiheiten nichts anfangen; das Internet sorgt dafür, dass es die Texte im Original vorliegen hat, da will man das wiederfinden, was man versteht oder zu verstehen meint. Daraus entsteht grundsätzlich ein fataler Zwang zu einer Wörtlichkeit, die nicht nur der Übersetzerei an sich schadet, sondern sich längst auf die Entwicklung der deutschen Sprache auszuwirken begonnen hat: Wenn heute alles »einen Unterschied macht«, anstatt »eine Rolle zu spielen«, wenn man es heute »liebt, ins Kino zu gehen«, anstatt dies gottverdammtnochmal einfach »gerne« zu tun, wenn ich für mein Handy einen bestimmten Adapter »möchte«, anstatt ihn einfach zu »brauchen«, dann prägen Übersetzungsfehler – und darunter wäre das alles bis in die 1980er gefallen – das heutige Deutsch.
Das Problem begann übrigens seinerzeit schon mit dem Lektorat, des amerikanischen – geschweige denn des Hiphop-Slangs – völlig unkundig, viel zu viel – Gott sei’s gedankt nicht alles! – auf die Übersetzung von Wörtern reduzierte, (mehr …)
Müßiger Leser! Im letzten Teil von Brander Matthews Artikel über die Funktion des Slangs zitiert er Cervantes’Don Quijote, was Bildung und Schicksal neuer Wörter angeht. Da das Buch bereits übersetzt ist, schlägt man als Übersetzer natürlich in dieser bereits vorhandenen Übertragung nach. Nicht weil man zu faul ist, das selber zu erledigen, sondern weil sich das nach den Regeln der Zunft so gehört. Und es ist meist ein rechter Aufwand, der mit Bibliotheksbesuchen und weiß der Kuckuck was sonst noch verbunden ist. Das Internet jedoch macht einem das alles erheblich leichter, geradezu vergnüglich manchmal.
Vom Don Quijote gibt es mehrere Übersetzungen, von denen die älteren im Web zu finden sind. Die neue und viel gerühmte Übertragung von Susanne Lange steht auf meiner langen Einkaufsliste…
Wie auch immer, bei Brander Matthews heißt es:
It happens that Don Quixote preceded Professor Whitney in this exposition of the law, for when he was instructing Sancho Panza, then about to be appointed governor of an island, he used a Latinized form of a certain word1 which had become vulgar, explaining that “if some do not understand these terms it matters little, for custom will bring them into use in the course of time so that they will be readily understood. That is the way a language is enriched; custom and the public are all-powerful there.“2
oder bei mir:
Ganz zufällig ist Don Quixote Professor Whitney mit dieser Auslegung des Gesetzes zuvorgekommen, denn bei seiner Unterweisung Sancho Pansas, der eben zum Statthalter einer Insel ernannt werden soll, bediente der Mann von der Mancha sich einer latinisierten Form eines gewissen Wortes, das vulgär geworden war, und erklärte dabei: »und wenn auch mancher dieses Wort nicht versteht, so schadet es wenig, denn der Gebrauch wird es mit der Zeit einführen, so daß es alsdann leicht verstanden wird, und dieses heißt die Sprache bereichern, über welche die Menge sowie die Gewohnheit immer ihre Macht ausüben.«3
Die englische Übersetzung, die hier zitiert wird, ist relativ schnell gefunden, (mehr …)
die Rede ist von rülpsen: —Erutar, Sancho, quiere decir regoldar, y éste es uno de los más torpes vocablos que tiene la lengua castellana, aunque es muy sinificativo; y así, la gente curiosa se ha acogido al latín, y al regoldar dice erutar, y a los regüeldos, erutaciones; y, cuando algunos no entienden estos términos, importa poco, que el uso los irá introduciendo con el tiempo, que con facilidad se entiendan; y esto es enriquecer la lengua, sobre quien tiene poder el vulgo y el uso. [↩]
Durchaus interessant ist, dass Brander Matthews – in einem Artikel über Umgangssprache – das Wort selbst nicht erwähnt. [↩]
Miguel de Cervantes Saavedra, Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha Dt. von Ludwig Braunfels. Gibt es hier. [↩]
Brander Matthews
Die Funktion des Slangs
aus Parts of Speech: Essays on English (1901)
Teil VI
(Ende)
Vielleicht ist das Bild von der Aristokratie etwas irreführend, da wir in der englischen Sprache wie im nachrevolutionären Frankreich la carrière ouverte aux talents finden und jedes Wort eine faire Chance auf die höchste Würde – die Aufnahme ins Wörterbuch – hat. Zweifelsohne spielen familiäre Beziehungen nach wie vor eine große Rolle, und einige Wörter tun sich weit leichter damit, im Leben aufzusteigen als andere. Überwiegender Ansicht nach verleihen Krieg, Gesetz und Medizin einem Terminus technicus einen ehrenwerteren Stammbaum als zum Beispiel die Bühne oder der eine oder andere Sport.
Und dennoch verfügt gerade die Welt der Bühne über ein eigenes voluminöses Vokabular, das mit höchster Präzision eingesetzt wird. Das Theater ist eine Brutstätte zeitgenössischen Slangs, der oft nicht weniger gesetzlos, kräftig und ausdrucksstark ist als die Phrasen des amerikanischen Westens; aber es verfügt auch über eine eigene Terminologie mit Hunderten von Wörtern, die stets mit absoluter Präzision eingesetzt werden. Ein mascot, jemand der Glück bringt, und ein hoo-doo, jemand der Pech bringt, sind Begriffe aus der Welt der Bühne, soviel steht fest; und auch bei so manch anderem merkwürdigen Wort wird sie als Quelle genannt. Aber jeder hinter den Kulissen weiß auch, was sky-borders, was bunch-lights, was vampire-traps und raking-pieces sind – allesamt technische Begriffe, die alle mit strenger Präzision eingesetzt werden. Wie die technischen Begriffe eines jeden anderen Metiers auch, sind sie für den Uneingeweihten oft verwirrend, und ein greenhorn könnte noch nicht einmal eine Vermutung anstellen über die Bedeutung von Ausdrücken, die im Konversationszimmer zu hören sind. Welcher Laie vermöchte die Aufgabe eines cut-drop zu erklären, den Sinn einer carpenter’s scene oder die präzise definierten Privilegien, die ein bill-board ticket einschließt?
Es gibt ein Wort, das das allgemeine Vokabular der Öffentlichkeit jüngst dem kleineren des Schauspielhauses entlehnt (mehr …)
Brander Matthews
Die Funktion des Slangs
aus Parts of Speech: Essays on English (1901)
Teil V
Jemanden als boss zu bezeichnen und einen anderen als henchman mag einmal Slang gewesen sein, aber beide Wörter sind heute legitim, weil sie notwendig sind. Nur anhand dieser Wörter lässt sich die genaue Beziehung einer bestimmten Art politischer Führer zu einer bestimmten Art von politischem Mitläufer prägnant zum Ausdruck bringen. Es stehen selbstverständlich, weil sie nicht benötigt werden, noch so einige politische Wörter und Wendungen in Acht und Bann. Einige von ihnen mögen eines Tages eine ganz bestimmte Bedeutungsnuance annehmen, die von sonst keinem anderen Wort ausgedrückt wird. Und wenn dies eintritt, werden sie ihren Platz im legitimen Vokabular einnehmen. Ich bezweifle, dass dieses Glück je eine Anwendung von influence haben wird, die heute in Washington zu hören ist. Der Staatsmann, auf dessen Vorschlag bzw. Ersuchen hin ein Amtsinhaber eingesetzt wurde, wird als influence dieses Amtsinhabers bezeichnet. So erklärte eine arme Witwe, die sich plötzlich, nur weil der henchman eines boss, dessen Gunst ein Senator oder Ressortleiter nicht verlieren wollte, es verlangte, eines Amtes enthoben sah, das sie seit Jahren inne gehabt hatte, einem Freund, ihre Entlassung sei darauf zurückzuführen, dass während des Sommers ihr influence gestorben war. Die unvermeidliche Ausweitung des allein auf Fähigkeit beruhenden Systems im öffentlichen Dienst unseres Landes wird die dauerhafte Übernahme dieser neuen Bedeutung wahrscheinlich verhindern.
Das Vokabular der Politik ist nur eines von einer Vielzahl von Fachvokabularen, (mehr …)
Brander Matthews unterscheidet vier Kategorien von Slang, deren erste drei wir hier vorgestellt haben. Wir erinnern uns, dass die ersten beiden »unwürdig« waren, die dritte dagegen, sie besteht aus alten und vergessenen Wörtern und Wendungen, die jetzt nach langer Brache wieder an die Oberfläche zu kommen versuchen, durchaus akzeptabel, auch wenn sie unter dem Stigma, das den ersten beiden anhaftet leidet. Mit der vierten Kategorie verhält sich das nun völlig anders. Sie umfasst Matthews’ Ansicht nach all jene Begriffe, die sozusagen noch ihre Lehre absolvieren und von denen noch ungewiss ist, ob die offizielle Sprache sie aufnehmen wird. Wenn sie nicht vorher verschwinden, was in der Regel dem »Slang der Metropolen« widerfährt, den Matthews als durch die Bank dumm bezeichnet. Aber was hält sich denn dann?
Brander Matthews
Die Funktion des Slangs
aus Parts of Speech: Essays on English (1901)
Teil IV
Wenn wir jedoch hören, wie ein Autor aus dem amerikanischen Westen die Wirkung von tanglefoot-Whisky beschreibt, so spricht das Adjektiv für sich selbst und bringt damit seine Rechtfertigung mit. Und ganz unmittelbar sehen wir die kühn kondensierte Metapher in dem Schild »Don’t monkey with the buzz-saw«; die Bildhaftigkeit des Wortes buzz-saw wie auch seine Brauchbarkeit leuchten auf den ersten Blick ein. So verstehen wir bei der Lektüre von »Buck Fanshaw’s Funeral« auch ohne weiteres die Wendung »he never went back on his mother« und finden Gefallen an seiner Aussagekraft; desgleichen gilt für die Erklärung des Mannes, der für »Banty Tim« einspringt:
“Ef one of you teches the boy
He’ll wrestle bis hash to-night in hell,
Or my name ’s not Tilman Joy.”
To wrestle one’s hash ist keine elegante Wendung, wie man zugeben muss, und sie wird wohl kaum Aufnahme in die literarische Sprache finden; aber sie ist wenigstens kraftvoll und keinesfalls dumm. To go back on dagegen hat gute Aussichten auf einen Platz in unserer Sprache, so nützlich und kraftvoll wie diese Wendung ist.
Von den weiten, windigen Ebenen des Westens kam blizzard, und obwohl angeregt wurde, dass es sich bei dem Wort um einen Überlebenden eines britischen Dialekts handle, so gebührt dem amerikanischen Westen dennoch ein Lob dafür, es vor dem Vergessen bewahrt zu haben. Aus den Holzfällerlagern des Nordwestens kam boom, auch das wiederum ein altes Wort, wenn auch mit neuer Bedeutung, und wurde von der Sprache umgehend akzeptiert. Von noch weiter westlich kam der Gebrauch von sand im Sinne von Stehvermögen, Rückgrat – das eben, was man in Neuengland als grit und im alten England als pluck (ein weit weniger ausdrucksvolles Wort) bezeichnet. Aus dem Südwesten haben wir cinch,1 das sich vom Festzurren des Packgurtes an einem Maultier ableitet und somit in übertragener Bedeutung auf einen in jeder Hinsicht besonders festen Halt weist. (mehr …)
nach dem auch die modernen Hifi-Stecker benannt sind, die der Deutsche penetrant falsch »tschintsch«nennt [↩]
£250 Bußgeld muss die böse Cat Lady aus Coventry nun dafür berappen, dass sie im August gaudihalber eine Katze, die ihr auf der Straße untergekommen war, in die nächste Mülltonne geworfen hatte. Das Thema hatte die englische Presse wochenlang bewegt und zu einer Hasskampagne auf Facebook sowie zu Todesdrohungen gegen die Tierquälerin geführt.
Wie’s der Zufall so wollte, saß ich, als ich gestern die Nachricht im Radio hörte, gerade wieder mal über einem meiner Endlosprojekte, einer brauchbaren Dialektdatenbank, insbesondere der britischen Dialekte. Vor dem Hintergrund, dass besagte Dame unter Polizeischutz gestellt werden musste, bietet mein jüngster Neuzugang in Sachen Dialekt einen interessanten Einblick in den weiten Weg, den die englische Volksseele zum Thema Tierquälerei hinter sich hat.
Als Übersetzer wie als Wörterbuchmacher durchsuche ich das Web nach Wörtern. Tagtäglich. Und praktisch den ganzen Tag. Entweder nach neuen Wörtern oder nach brauchbaren Anwendungsbelegen für solche, die ich bereits kenne. Ich stoße dabei stündlich auf Artikel der verschiedensten Sachgebiete, die ich am liebsten gleich lesen würde. Was natürlich nicht geht. Also begnüge ich mich mit dem für mich relevanten Satz und einem sauber gesetzten Lesezeichen – und komme meist doch bestenfalls wieder durch einen Zufall darauf zurück.
Aber einige lese ich natürlich auch gleich, und neulich bin ich auf einen – schon älteren – Essay gestoßen, der die Mühe allemal lohnt: Ludger Lütkehaus, »Die Tyrannei der Lust und die Kunst des Begehrens«. Lütkehaus formuliert anlässlich einer Buchrezension etwas aus, zu dem ich mir die letzten Jahre über selbst immer wieder mal meine Notizen gemacht habe, nämlich die Zwanghaftigkeit des heutigen Lustlebens und die dumpfe Brutalität dieses Zwangs. Nur dass er mir um zehn Jahre zuvor gekommen ist und dass er es mit Sätzen wie »Hedonismus als gestylter, buchstäblich eingefleischter Kadavergehorsam« besser formuliert, als ich das gekonnt hätte – und dass er mehr Ahnung vom psychologischen wie philosophischen Umfeld des Themas hat.
Nur einmal, auf meinem Gebiet, dem der englischen Sprache, vergaloppiert er sich, als er schreibt: »Doch was ist aus der ›Sache selbst‹ geworden, die nun einmal keine Sache ist? Gymnastische Ödnis, die in krudester Vorhersehbarkeit auf dem sexuellen Exerzierplatz den immergleichen Rhythmus vorführt: erstens Cunnilingus, zweitens Fellatio, drittens das Reiterchen, viertens ›let’s do it the doggish way‹.« (mehr …)
Zum Büro des Übersetzers gehören heute nicht nur vier Wände voll mehr oder weniger einschlägiger Wörterbücher…
… sondern auch ein paar Dutzend Websites, die man ständig an den Fingerspitzen haben sollte – mindestens auf einem zweiten Bildschirm, am besten aber gleich auf einem zweiten Rechner, sprich an einem dritten Bildschirm; glauben Sie mir, es zahlt sich aus. So ein zweiter Rechner kann alles mögliche erledigen, während man arbeitet, ohne dass einem diese Aufgaben bei der eigentlichen Arbeit in die Quere kommen. So lassen sich zum Beispiel die Datenbanken mit Unmengen von Beispielsätzen für die verwegensten Konstruktionen füllen, ohne dass man sich groß drum kümmern muss.
Aber wie gesagt, es gibt reihenweise Websites, die man parat haben sollte. Ich spreche natürlich von englischen, da ich aus dem Englischen übersetze und der Ansicht bin, dass es nicht eigentlich seriös ist, aus mehreren Sprachen zu übersetzen – dazu gibt es zu viel zu wissen über eine Sprache und ihr Land. Wenn Sie freilich bei Schwachsinn wie »zahnloser Diener« nicht wissend in Lach- oder Heulkrämpfe verfallen,1 dann ist es vermutlich egal. (mehr …)
immerhin nehmen einem Dumpfbacken, die solche Fehler machen, die Butter vom Brot – egal ob nun der Übersetzer dafür verantwortlich ist oder das Lektorat [↩]
Ich möchte hier ganz und nicht den Eindruck erwecken, ich würde groß Schopenhauer lesen – geschweige denn verstehen. Aber in seinen Paralipomena – oder Restli, wie man hier in Franken wohl sagen würde – geht es im Kapitel XXV nun mal – eher unsystematisch – um »Worte und Sprache«. Und letztlich auch um das Übersetzen. In so etwas schaue ich schon mal rein. Und fühle mich beim ersten Drüberfliegen auch gleich angesprochen von dem alten Knaben. Hier mal – der komplette Schopenhauer-Text folgt unten – zwei kleine Appetithäppchen vorab:
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Falls Sie meine Eindrücke nicht interessierten sollten, kein Problem,
die einzelnen Folgen von Schopenhauers Text finden Sie hier:
›Es kostet mich‹ ist nichts, als ein solenner und prezioser, durch Verjährung akreditierter Sprachfehler. Kosten kommt, eben wie das italiänische costare, von constare. ›Es kostet mich‹ ist also me constat, statt mihi constat. ›Dieser Löwe kostet mich‹ darf nicht der Menageriebesitzer, sondern nur Der sagen, welcher vom Löwen gefressen wird. —
»… ein durch Verjährung akreditierter Sprachfehler« – das ist genau das, was mir – weniger clever ausformuliert – durch den Kopf geht, wenn ich all den pseudodeutschen Mist sehe, der sich aufgrund lausiger, amateurhafter Übersetzungen bei uns eingebürgert hat… (mehr …)
»Im Wörterbuch lauert der Tod«, ist nicht etwa ein Titel aus dem Nachlass von Agatha Christie, es handelt sich vielmehr um eine Erkenntnis des amerikanischen Dichters James Russel Lowell. Und diese Erkenntnis hat letztlich mehr mit Slang zu tun, als Sie je geahnt hätten. Lesen Sie dazu doch die dritte Lieferung von Brander Matthews Essay, in der er auf eine weitere Kategorie von Slang eingeht – wir hatten bisher drei – und unter anderem auf die Unterschiede zwischen dem Slang der Großstadt und dem des amerikanischen Westens…
Brander Matthews
Die Funktion des Slangs
aus Parts of Speech: Essays on English (1901)
Teil III
Gar noch wichtiger als diese dritte Klasse von Slang ist die vierte, die all jene Begriffe umfasst, die sozusagen noch ihre Lehre absolvieren und von denen noch ungewiss ist, ob man sie schließlich in die Gilde guter Sprache aufnehmen wird. Diese Begriffe sind entweder nützlich oder nuztlos; sie schließen entweder eine Lücke oder sie schließen keine; sie leben oder sterben also entsprechend der allgemeinen Einschätzung ihres Wertes. Wenn sie sterben, dann landen sie im Verließ vergessenen Slangs, und was Vergessen anbelangt, gibt es kein dunkleres Loch. Wenn sie überleben, dann weil sie in die literarische Sprache Aufnahme finden, nachdem sie dem Gespür eines Meisters der Sprachkunst, des Sprachhandwerks genehm waren, unter dessen Patenschaft man sie dann als vollwertiges Mitglied aufnahm. Daran sehen wir, dass Slang eine Vorbereitungsschule für neue Ausdrücke ist; nur die besten Schüler bekommen das Langlebigkeit verleihende Diplom; die anderen wird unweigerlich ihr Schicksal ereilen. (mehr …)
Man kennt das: in einer anderen Sprache klingt alles irgendwie tiefer, scheint alles mehr Gewicht zu haben. Ich könnte Dutzende von Beispielen allein aus der Musik anführen, von Leonard Cohen bis Michael Stipe. Als Übersetzer spürt man das doppelt. Die Übersetzung ist in der Tat oft nur ein platter Abklatsch eines sprachlichen Reliefs. Und dann staunt man immer wieder, wenn Ausländer, sagen wir mal in Songs und Chansons, plötzlich deutsch singen – und man spürt, dass sie das Deutsche für tiefer, faszinierender halten. Sind Fremdwörter hier ein Mittelweg? Eine Brücke? Krücke? Oder sind sie, wie ich das empfinde, über die Fachsprache hinaus alberne Angeberei?
Brander Matthews, dessen Artikel über die Funktion des Slangs ich hier in Übersetzung erstmals dem deutschen Interessierten vorstellen möchte, zitiert seinen Landsmann, den Dichter James Russell Lowell, zu einigen einheimischen Wendungen. Da man als Übersetzer grundsätzlich in der Pflicht ist, von Zitaten die Originale zu finden, habe ich nach einiger Suche die Cambridge Edition von Lowells Complete Poetical Works aufgetan; hier findet sich im Anhang die »Introduction to the Second Series of the Biglow Papers« und hier wiederum das Zitat.1
Wie auch immer, Lowell erwähnt im selben Abschnitt, in dem es um das Verhältnis des Sprechers zur eigenen und zur fremden Sprache geht, (mehr …)
Matthews hat seine Quelle nicht angegeben, nur Lowell genannt. Vor Zeiten des Interwebs hätte einem so eine Suche Tage geraubt, jetzt sind es zehn Minuten – und die sind Keine Mühe, sondern eine Freude. [↩]
Brander Matthews teilt den Slang grob in vier Kategorien, die in diesem zweiten Teil seines Essays umrissen werden. Es wird sicher viele erstaunen, dass Slang über das unmittelbare Gaudium hinaus eine wichtige Funktion innerhalb unserer Sprache hat. Interessant sind auch die Zeiträume, von denen hier die Rede ist: dass Wörter binnen drei Jahrhunderten aus der Gosse aufsteigen und wieder in der Gosse verschwinden können, hat nun sicher nichts mehr von der »Rasanz«, von der Matthews in diesem Zusammenhang spricht. In dieser Hinsicht müsste man heute natürlich der Beschleunigung der Zeit Rechnung tragen. Und sicher müsste man auch »vulgär« und »Gosse« neu definieren. Aber das machen wir, wie gesagt, später. Bleiben wir mal bei den Grundlagen. Es hat sich hierzulande praktisch nie jemand wirklich damit befasst.
Brander Matthews
Die Funktion des Slangs
aus Parts of Speech: Essays on English (1901)
Teil II
Eine Analyse modernen Slangs offenbart uns die Tatsache, dass sich die Wörter und Wendungen, aus denen er sich zusammensetzt, grob in vier Kategorien einteilen lassen, alle recht unterschiedlichen Ursprungs und sehr verschiedenen Werts. Zweien dieser Kategorien gegenüber mag die Verachtung zulässig sein, die dem Slang als Ganzes gegenüber so oft zum Ausdruck gebracht wird. Den beiden anderen Kategorien gegenüber ist ein solches Gefühl ganz und gar nicht gerechtfertigt, da sie der Sprache einen unschätzbaren Dienst erweisen. (mehr …)